Seit den Wahlen anfangs September in Sachsen und Thüringen ist ein Blick auf die Geschichte der Weimarer Republik (1918 bis 1933) nicht nur wie immer spannend, sondern auch aktuell. Wobei ich die Aktualität relativieren möchte: Auch wenn ich im Gegensatz zum NZZ-Chefredaktor Erich Gujer keinen vernünftigen Grund sehe, Bernd Höcke zum Ministerpräsidenten von Thüringen zu wählen und ich die Fremdenfeindlichkeit der AfD und ihr Deutschtum, das an Rassismus zumindest grenzt, schrecklich finde, gibt es mindestens zwei zentrale Punkte, die die oft verwendeten Parallelen der AfD zum Nationalsozialismus fragwürdig erscheinen lassen. Die AfD definiert sich und lebt nicht vom Antisemitismus. Zweitens unterhält sie keinen bewaffneten Stosstrupp und der politische Mord gehört nicht in ihr Repertoire. Ganz im Gegensatz zur Zeit von 1918 und der beginnenden Weimarer Republik. Judenhass und Freikorps, die ihr Heil in Strassenschlachten suchten, diente vielen Rechtsparteien und Gruppe als gemeinsamer Nenner.
Diese Grundschwierigkeit samt dem Vertrag von Versailles schildert Volker Ullrich eingehend. Aber der Untertitel seines Buches lautet: «Das aufhaltsame Scheitern der Weimarer Republik» und es gelingt ihm bestens, zu zeigen, dass es falsch ist, das Ende der Weimarer Republik als alternativlos darzustellen. Er zeigt in elf Kapiteln, die jeweils eine Ereignis detailliert schildern, wie es um die Republik mal besser und mal kritischer stand, aber dass selbst die Machtübernahme durch Hitler nicht zwangsläufig erfolgte, sondern dass der Staatspräsident Hindenberg sie ihm trotz Alternativen verlieh.
Die Republik entstand im November 1918 durch eine Art Revolution. Der Kaiser musste abdanken, die Mehrheitssozialisten der SPD riefen mit Friedrich Ebert als neuem Staatspräsidenten die Republik aus und installierten eine parlamentarische Demokratie, die dem Staatspräsidenten recht viel Macht gab. Die Linkssozialist:innen und die Kommunist:innen setzten auf Arbeiter- und Soldatenräte, bei den bürgerlichen Parteien war die Anzahl der Vernunftdemokrat:innen gross. Dazu und sehr relevant: Die regierende SPD verband sich zu sehr mit dem Militär und der alten Bürokratie, die Linke strebte eine weitergehende Revolution wie in Russland an, obwohl die revolutionäre Situation in Deutschland nicht gegeben war. Es kam einerseits zur Münchner Räterepublik samt ihrer brutalen Niederschlagung und zum rechten Kapp-Lüttwitz-Putsch, der am Generalstreik scheiterte. In den Wahlen danach hatte die Republik eine parlamentarische Mehrheit, wobei das Parlament immer schwach blieb und eine stabile Zusammenarbeit zwischen der SPD und den bürgerlichen Parteien, die zur Republik standen, nie wirklich gelang.
Die nächste Belastung war die Ermordung von Aussenminister Walther Rathenau. Es war kein Attentat der drei ausführenden Täter, sondern ein Auftragsmord der Organisation Consul, einem Geheimclub, der offen die Republik und den Juden Walter Rathenau ganz direkt bekämpfte, weil er versuchte, die Reparationskosten in Verhandlungen zu senken und als Verräter galt. Seine Ermordung stärkte zwar kurzfristig die Demokratie, da aber die Täter und ihre Hintermänner nicht wirklich bestraft wurden, sanktionierte dies langfristig die politische Gewalt. Dann kam das schreckliche Jahr 1923 mit der Hyperinflation und der Ruhrbesetzung durch Frankreich, die Deutschland mit passivem Widerstand konterte, der wirtschaftlich zum Ruin führte. Trotzdem und obwohl 1925 Staatspräsident Ebert starb und Alt-General und Junker Hindenburg für ihn gewählt wurde, erlebte die Republik bis zur Weltwirtschaftskrise von 1929 eine relativ stabile Zeit.
Das Ende ist rasch erzählt: Hindenburg reagierte auf die Krise mit präsidialen Verfügungen, ernannte immer rechtere Kanzler, die meist unfähig waren und meinten, mit einer rigorosen Sparpolitik die Wirtschaftskrise und die Arbeitslosigkeit lösen zu können. Dazu kam, dass SPD und KPD sich heftig bekämpften und die Gefahr der aufkommenden Nazis unterschätzten, bis es zu spät war. Sie und noch mehr die Adligen und das Militär trauten Hitler nicht zu, dass er seine Ankündigung wahr machen könnte, dass er einmal an der Macht sehr vieles sehr rasch verändern würde.
Volker Ullrich schildert die Entwicklung sehr anschaulich und in gut verständlicher Sprache mit vielen Zitaten aus Zeitungen und Augenzeug:innen.
Volker Ullrich: Schicksalsstunden einer Demokratie, C.H. Beck Verlag, 20224, 383 Seiten, ca 40 Franken.