Böhmische Dörfer

Alles wird gut: Ein nie dagewesener Wahlerfolg von Frauen, Stefan Gärtner (WoZ) thematisiert das Unding der weiblichen Intimrasur, die angeblich knabenfeindliche Schule wird in der ‹NZZ am Sonntag› als Hokuspokus entlarvt, Kindergarten-Lehrerinnen wollen für ihre älteren Kolleginnen Lohngleichheit erstreiten. Da kann ich ja getrost verreisen!

 

Zum Beispiel nach Böhmen. Von dieser mir gänzlich fremden Gegend träumte ich kürzlich die tollsten Dinge. In Böhmen, so lehrte mich mein Traum, trage ich dicke braune wollene Kleider, die ich nirgends waschen kann. Auf einem Parkgaragendach sind Dachzinnen wie Kaffeewärmer, wie Waffeln oder Pilzhüte. Sie laufen auf mich zu und setzen mit tierischen Riesensprüngen über mich hinweg. Aber keine Angst – sie sind nur aus Zuckerwatte. Die böhmischen Süssigkeiten-automaten spucken Themenkekse aus. Ich kaufe kleine Kätzchen mit Katzenklo aus Meringues und Vermicelles. Mein Ex-Ex-Ex-Ex ist auch da. Er erklärt mir den Weg mit einem dreidimensionalen Kuchenmodell, das seine Worte spontan nachbildet. Ein Bote kann meine Rede und sich selbst in einen gelben Briefumschlag verwandeln, der durch die Luft und in Häuser, in Computer fliegt. Ich frage eine Frischvermählte, nach Basler Fasnacht Aussehende, ob sie Deutsch spreche. Sie bleibt stumm und abweisend, aber ich darf ein Glas Champagner trinken. Im Hotel gibt es eine Devotionalienecke für eine tote Persönlichkeit, die mich schaudern lässt. Und über allem liegt eine dicke Schicht rosa Zuckerguss. Als ich aufwache, fällt mir ein, dass ich Geld wechseln muss.

 

Nun glaube ich ja nicht an weissagende Träume – und es kam denn auch alles ganz anders. Im Kurort namens Marienbad nahm ich an einer intensiven Gruppenlesung des «Spiegelstadiums» des französischen Psychoanalytikers Jacques Lacan teil (alleine lesend versteht eine bei seinen furchteinflössend komplexen Theorien nur Bahnhof). Die dortige Unterstadt sieht fast aus wie ein Schweizer Dorf, nur dass alles auf Tschechisch, Russisch, Englisch und selten einmal Deutsch angeschrieben ist. Die Oberstadt ist in prunkvoller Manier herausgeputzt, die Fassaden in süssen Farben bemalt und dick mit Stuck beladen. Der Herbst war wunderschön und rundum golden gelb – wie auch der mährische Wein, der köstlich und überaus erschwinglich war, und die Parkanlagen standen voller Pilze. Und überall Cafés, böhmisches Glas, Oblaten-Waffeln, Knödel, und mit dem 50-Kronen-Stück die schönste Münze der Welt … Nur baden gelang mir dort nicht, die Bäder waren unauffindbar, nicht öffentlich oder in Revision. Mit der Gastfreundschaft war es so eine Sache. Das Hotel, piekfein und blitzeblank, rühmte sein Personal, des Deutschen mächtig zu sein und die ausgefallensten Wünsche erfüllen zu wollen. Das Ansinnen, einmal zwei Spiegeleier zu essen zu bekommen, stiess jedoch auf grosses Unverständnis, sowohl sprachlich wie kulturell. Ob alles Servicepersonal sauer schaute, weil man Deutsch sprach, mit Euro statt Kronen zahlte oder nicht genug Trinkgeld gab, wird ein ungelöstes Rätsel bleiben. Meinen Liebsten in Zürich und Basel schickte ich rosa Postkarten mit einem Barbapapa-Einhorn, das einen Regenbogen … furzt. (Tschechischer Humor ist ja weltberühmt, auch wenn man ihn nicht immer versteht.)

 

Nun möchten Sie wohl wissen: Warum liest eine Feministin den alten Macker Lacan? Das kommt einem doch Spanisch vor! Aber davon ein andermal mehr.

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