«Biodiversität bedeutet auch Lebensqualität» 

Gegen bürgerlichen Widerstand hat das Wädenswiler Parlament eigens eine Fachstelle zur Förderung der Biodiversität bewilligt. Umweltnaturwissenschaftler Markus Hohl (47), der seit etwas über hundert Tagen im Amt ist, gibt im Gespräch mit Arthur Schäppi Auskunft über seine Tätigkeit und sagt, warum er in der Förderung der Biodiversität auch einen lokalen Beitrag gegen die Folgen des Klimawandels sieht.

 

Arthur Schäppi 

 

Wädenswil ist zumindest im Bezirk Horgen die bislang einzige Gemeinde, die explizit eine Fachstelle zur Förderung der Biodiversität geschaffen hat. Ist Wädenswil also eine Pionierstadt?

Markus Hohl: Selbstverständlich kümmern sich auch andere Gemeinden um ökologische Belange wie etwa die Biodiversität. Die in Wädenswil eigens geschaffene Stelle «Naturschutz und Biodiversität» aber bringt schon im Namen explizit zum Ausdruck, dass die Förderung der Biodiversität für die Stadt einen hohen Stellenwert hat, und auch für mich als zuständiger Sachbearbeiter steht diese im Vordergrund. Die Förderung der Biodiversität auf kommunaler Ebene ist nicht nur aus ökologischer Sicht dringlich und notwendig, sie entspricht auch einem stetig wachsenden Bedürfnis breiter Bevölkerungskreise.

 

Inwiefern? 

Der qualitative und quantitative Rückgang der Artenvielfalt als Folge etwa von Zersiedelung oder Verarmung von Lebensräumen bereitet breiten Bevölkerungskreisen grosse Sorgen, zumal es dabei ja um einen schleichenden Verlust unserer Lebensgrundlagen geht. Gerade in städtischen Gebieten und Agglomerationen ist denn auch das Bedürfnis nach einer möglichst naturnahen, vielfältigen und strukturreichen Umgebung in den letzten Jahren spürbar gestiegen. Der hohe Wert dieser Erholungs- und Freiräume zeigt sich in der Coronakrise geradezu exemplarisch. Denn Biodiversität bedeutet eben auch Lebensqualität.

 

Als das Stadtparlament vor Jahresfrist dank einer hauchdünnen Mehrheit von Mitte-links an der Budgetdebatte 150 000 Franken für die neue Stelle bewilligte, monierten bürgerliche Opponenten, dass «auf Gutdünken hin» eine neue  Fachstelle geschaffen werde, «ohne dass deren Aufgaben definiert» worden seien. Was sind denn nun genau Ihre Aufgaben?

Mein Jobprofil ist sehr vielfältig. Meine Aufgabe ist es etwa, die diversen Abteilungen der Stadtverwaltung und der städtischen Werke in ökologischen Fragen mit fachmännischem Know-how zu unterstützen und auch dafür zu sorgen, dass beispielsweise bei Unterhaltsarbeiten an Strassen, Plätzen oder Pärken sowie von Naturschutzgebieten oder bei städtischen Bauprojekten die Umweltanliegen und Fragen rund um die Biodiversität die gebührende Beachtung finden. Mit der vor zwei Jahren erfolgten Eingemeindung der ländlich geprägten Gemeinden Schönenberg und Hütten zu Ortsteilen von Wädenswil ist die Stadt zu zusätzlichen grossflächigen Lebensräumen und Landschaften gekommen, die aus Sicht der Biodiversität sehr wertvoll sind.  Da macht es auch Sinn, die für die Stadt dort und anderswo anfallenden Pflegemassnahmen und Verantwortlichkeiten an einer Verwaltungsstelle zu bündeln und zu koordinieren. Gleichzeitig funktioniert die Fachstelle auch als Schnittstelle der Stadt zu anderen Akteuren in diesem Bereich.

 

Wer ist damit gemeint?

Etwa der Kanton, Umweltorganisationen, Nachbargemeinden, Firmen, Landwirte oder andere Private. Ein wichtiger Schwerpunkt bildet sodann die Umsetzung von Massnahmen zum Erhalt oder zur Förderung der Biodiversität, wie sie im städtischen Landschaftsentwicklungskonzept definiert wurden. Dabei geht es etwa um die Biodiversität in der Umgebung von öffentlichen Bauten und Anlagen, die Verbesserung der Vernetzungskorridore oder die Ausdolung von Bachabschnitten. Ich verstehe mich im Übrigen nicht nur als Lobbyist für die Natur, sondern auch als Dienstleister für die Öffentlichkeit.

 

Was heisst das konkret?

Zu meinem Job gehört nicht zuletzt auch die Beratung der BürgerInnen bei Fragen rund um das Thema Biodiversität und Natur und zu entsprechenden gesetzlichen Vorschriften. Und beispielsweise auch die Begleitung von Bauherren und Architekten bei Baugesuchen und Bauten in ökologisch sensiblen Zonen oder etwa bei der Revitalisierung von Fliessgewässern. 

 

Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen in Ihrem Amt?

Eher kurzfristig gesehen gehört dazu sicher die aktuelle Siedlungsentwicklung in der Nachbarschaft zur Halbinsel Au und insbesondere die dort anstehende Realisierung des AuParks, eine Grossüberbauung mit Wohnungen, Gewerbelokalitäten, Park und Kantonsschule. Da will ich mich dafür einsetzen, dass im Rahmen des von den Stimmbürgern gutgheissenen Gestaltungsplans soweit wie möglich auf die Natur Rücksicht genommen wird. Generell stellt natürlich der globale Klimawandel und dessen Auswirkungen auch die Förderung der Biodiversität auf lokaler Ebene vor grosse Herausforderungen. Mit Begrünungen etwa können Hitzeinseln vermieden werden, mit Gewässerrevitalisierungen auch Überschwemmungen. Mit dem Klimawandel verändern sich indes auch Flora und Fauna. Bestehende Arten werden verschwinden – neue hinzukommen. Hier gilt es die richtigen Anpassungsmassnahmen einzuleiten.

 

Sie waren bis zum Stellenantritt im letzten Oktober während zehn Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundesamts für Bevölkerungsschutz tätig. Was reizt Sie am Jobwechsel?

Ich habe Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich studiert und habe mich bereits zu Beginn der Jahrtausendwende in meiner Dissertation mit den Veränderungen der Biodiversität befasst. Seit 15 Jahren setze ich mich zudem als Präsident des Naturschutzvereins Schönenberg für die Natur hier in der Region ein. Mit der neuen Stelle kehre ich nun gewissermassen zu meinen Wurzeln zurück und kann gleichzeitig meine Leidenschaft für die Natur und Landschaft hier zum Beruf machen.

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