Bio boomt – vor allem in den Köpfen

 

Glaubt man der Bevölkerung, ist der Schweizer Biomarkt riesengross. In Wirklichkeit aber stammen nur sieben Prozent aller Nahrungsmittel aus biologischer Produktion. Beim besonders umweltrelevanten Fleischkonsum ist dieser Anteil noch kleiner.

 

Hanspeter Guggenbühl

 

Das Bundesamt für Statistik veröffentlichte kürzlich die Ergebnisse ihrer «Omnibus»-Erhebung 2015 zum Thema Umweltqualität und umweltrelevantes Verhalten. Eine Frage lautete: Wie oft kaufen sie Nahrungsmittel aus biologischer Produktion? «Immer», antworteten 7 Prozent. «Meistens», erklärten 33 Prozent der Befragten. Weitere 34 Prozent gaben an, «gelegentlich» Bio-Produkte zu kaufen. Nehmen wir konservativ an: «Immer» heisst hundert Prozent, «meistens» sechzig und «gelegentlich» zehn Prozent. Wenn diese Selbstdeklaration stimmte, müssten 30 Prozent aller in der Schweiz konsumierten Nahrungsmittel aus biologischer Produktion stammen.

Der Reporter staunte und besuchte eine der Metzgereien im Lande, die Bio-Fleisch mit dem Label Fidelio anbieten. «Fidelio oder konventionell?», fragte der Metzger. Neun von zehn Kunden wählten «konventionell», also weder umweltverträglich noch tierfreundlich. Der Anteil des (teureren) Biofleisches mache bloss 10 bis 12 Prozent seines Umsatzes aus, bestätigt der Ladeninhaber. War der Reporter im falschen Geschäft? Oder lügen sich die Leute bei Umfragen in die eigene Tasche?

Die Antwort liefert Bio Suisse. Das ist der Verband der Schweizer Bio-Landwirtschaft, der die «Bio-Produkte», die seine Anforderungen erfüllen, mit der Knospe kennzeichnet. Gemäss Bio-Suisse-Statistik übers Jahr 2014 beträgt der wertmässige Anteil aller Bio-Produkte (Knospe- und weitere Bio-Produkte) am Schweizer Nahrungsmittelmarkt 7,1 Prozent. Das zeigt: Der wahre Bio-Lebensmittelmarkt ist insgesamt nur etwa ein Viertel so gross wie die deklarierten Bio-Einkäufe der befragten Personen. Bei den 7,1 Prozent handelt es sich um alle biologisch erzeugten Nahrungsmittel zusammen. Je nach Art gibt es deutliche Abweichungen: Am höchsten ist der Bio-Anteil bei den Eiern; bei Milch, Brot, Gemüse und Früchten liegt er ebenfalls über dem Mittelwert. Deutlich unter dem Durchschnitt liegt der Bio-Anteil bei Süsswaren, Getränken, Käse und Fleisch (siehe Grafik).

Beim Fleisch ist der geringe Bio-Anteil deshalb relevant, weil die Produktion von Fleisch die Umwelt besonders stark belastet. Denn bei der Umwandlung von pflanzlichem Futter zu Fleisch gehen viele Nahrungskalorien verloren. Bei der Produktion von konventionellem Fleisch ist der Anteil von Kraftfutter wie Mais, Weizen oder importiertem Soja deutlich höher als bei Bio-Fleisch. Denn Vieh, das die Anforderungen der Bio-Labels erfüllt, frisst mehr einheimisches Gras oder Heu, also Raufutter, das sich nicht anders als zur Fleisch- und Milchproduktion verwerten lässt. Zudem sind in Bio-Betrieben die Anforderungen an den Tierschutz strenger als bei gewöhnlichen Mastbetrieben. Den geringen Anteil an Bio-Fleisch begründet Beat Kohli, Leiter der Organisation Fidelio, mit der Preisdifferenz: Bio-Fleisch sei in letzter Zeit eher teurer, konventionelles Fleisch billiger geworden. Zudem sei das Angebot begrenzt, weil die Bio-Produktion beim Fleisch besonders anspruchsvoll sei und je nach Saison schwanke. Fidelio beliefert primär Bio-Fachgeschäfte, Restaurants und rund zehn Metzgereien in der Schweiz.

Der Schweizer Bio-Lebensmittelmarkt erzielte 2014 einen Umsatz von total 2,2 Milliarden Franken, zeigt die Statistik weiter. Davon entfallen knapp 20 Prozent auf den Bio-Fachhandel sowie die Direktvermarktung. Den Löwenanteil der Bio-Produkte verkaufen die beiden Grossverteiler Coop und Migros; sie erreichen zusammen einen Marktanteil von 75 Prozent. Coop allein erzielt annähernd die Hälfte des Schweizer Bio-Umsatzes; dies primär mit Knospe-Produkten. Die Migros als Nummer zwei setzt auf eigene Bio-Labels, erfüllt damit aber ähnlich hohe Anforderungen. Speziell lobt die Migros-PR-Abteilung ihr Angebot an Bio-Weidefleisch. Der Anteil von Bio am gesamten Migros-Fleischabsatz betrage heute vier Prozent.

 

Starkes Wachstum auf tiefem Niveau

Gemessen am Schweizer Lebensmittelmarkt ist der siebenprozentige Anteil von Bio-Produkten heute noch bescheiden. Doch die Wachstumsraten liegen weit über dem Durchschnitt: Allein von 2010 bis 2014, so zeigt die Bio-Suisse-Statistik, stieg der wertmässige Absatz von Bio-Produkten in der Schweiz um 32 Prozent auf die erwähnten 2,2 Milliarden Franken. Während in diesem vierjährigen Zeitraum das Wachstum beim Bio-Fachhandel (plus 22 Prozent) und beim Marktleader Coop (plus 28 Prozent) unterdurchschnittlich ausfiel, verzeichneten Migros (plus 46 Prozent) und die Direktvermarktung (plus 36 Prozent) bei Bio-Produkten ein überdurchschnittliches Wachstum. Im übrigen Detailhandel inklusive Warenhäuser stiegen die Bio-Verkäufe – auf tiefem Niveau – um 30 Prozent.

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