Bezauberndes Kleinod

Die Gruppenarbeit «Mein blaues Herz» über die rumänische Sängerin Maria Tanase ist eines der eher raren Exemplare von Kunstherstellung auf Bühnen oder Leinwänden, bei denen alle Einzelkomponenten stimmig ineinanderspielen und so ein nur beglückendes Resultat ergeben.

 

Maria Tanase (1913 – 1963) war schon zu Lebzeiten eine überlebensgrosse Künstlerin mit einem sagenhaft spannenden Leben in turbulenten Zeiten und ist noch heute für nachgeborene Exil-Rumän­Innen eine Projektionsfigur für schwelgerisches Heimweh. Eine solche Figur kann einzig als Heroin gefeiert werden, was häufig mit einer Hit-Aneinanderreihung mit einem Anflug von Pomp gelöst wird und dafür den Preis potenzieller Langweile kostet. Die reine Kritik an einer ausschweifenden Lebensführung und dem sportlichen Anpassen an mehrere, wechselnde Regimes, um weiterhin auftreten zu dürfen, kann zur verkopften Dekonstruktion führen und dabei jeglichen empathischen Zugang zur von ihr mit Gesang ausgelösten Begeisterung unterschlagen und damit jedes sinnliche Erlebnis kosten. Einem rein persönlichen Zugang wiederum als dritte mögliche Variante einer künstlerischen Bearbeitung von Leben, Werk, Mythos droht die Schieflage den/die RezipientIn zu gewichtig wirken zu lassen und damit das eigentliche Ziel zu verfehlen. Sollen Begeisterung, kritische Hinterfragung und individueller Zugang miteinander zu einem stimmigen Einklang verwoben werden, gleicht diese Aufgabe für den Idealfall des Reüssierens einem zirzensischen Balanceakt, und genau dieser ist Sebastian Krähenbühl (Regie), Iriana Ungureanu (Gesang), Vivianne Mösli (Schauspiel) und Vera Kappeler (Musik) nachgerade kongenial geglückt.

 

Es ist nicht einfach, aber wirkt exakt so
Ein geflüsterter frommer Wunsch eröffnet den elegant-filigranen Balanceakt, in dem sogar das einfach-raffinierte Bühnenbild von Beni Küng als stummer Darsteller amtet. Ein einfacher Holzverschlag mit Häkeldeckenvorhängen, der mit der manuellen Kurbel einen Aufstieg auf die Bretter der Welt auf dem kleinen Dach genauo trefflich illustrieren kann wie die Showtreppe, die rückwärts bewältigt, auch den regimebefohlenen Untergang mit öffentlicher Plattenzertrümmerung als konstante Drohung mitverhandelt und dessen – mühselig von Frauenhand ange­stossene – Drehfunktion gleichermassen den Schwindel eines kometenhaften Aufstiegs wie auch die prekäre Grosswetterlage ständig wechselnder politischer Machthaber und Systeme darstellt. Sich in voller Fahrt singend auf dem Dach zu halten wird zur sinnbildlichen Kombination aller Elemente. Während Vivianne Mösli als Erzählerin zur beschönigenden Heldinnenverehrung tendiert, unterbricht sie Irina Ungureanu mit Präzisierungen, die ein nicht ganz so glamourös-märchenhaftes Bild ergeben. Vergleichbar raffiniert ist der Umgang mit den Moralvorstellungen von heute, wenn sie eine fantasiereich aufrechterhaltene Karriere inklusive vollem Körpereinsatz zur simplen Mittäterschaft, also letztlich der Schuld per se abstempeln will. In der schönsten Volksliedmelodie beginnen Klaviersaiten zu scheppern und das Naturell von Kindheitserinnerungen, das gesamte Farbspektrum mit reinem Rosa zu übertünchen, stellt das zeitgleiche, kritische Hinterfragen den Schwebezustand latenter Unsicherheit gegenüber dem Tatsächlichen wieder her. Denn vieles ist in dieser nicht chronologischen Annäherung nicht abschliessend verifizierbar und wie sehr sich das Team dessen bewusst ist, blitzt immer mal wieder jedes publikumsseitige Versinken in Schwelgerei brechend auf. So ist «Mein blaues Herz» alles zugleich: Eine huldvolle Würdigung des gesanglichen Werks, eine kritische Betrachtung eines ausgeprägten Divenbewusstseins in der Attitüde, eine relativierende Verortung der Vielzahl von Gerüchten und Anekdoten über einen ausschweifenden Lebenswandel, Übersetzung und Interpretation von rumänischem Liedgut mit gleichenfalls mitgeliefertem Zweifel am Begriff ‹Volks›lied, Koketterie mit Witz und Wissen und merkliches, furchtbar aufrichtiges Inte­resse am Untersuchungsgegenstand, das sich im Spiel wie von allein in Charme verwandelt. Also auch die ausgelösten Gefühle von Freude bis zur Schwermut in einer fein austarierten Balance behält. Wie wenn die grösste akrobatische Kunstanstrengung so leicht von der Hand ginge, als wäre das ganz einfach. Wenn ich etwas zu melden hätte, «Mein blaues Herz» wäre für die Auswahl des nächsten Schweizer Theatertreffens gesetzt.

 

«Mein blaues Herz. Eine Spurensuche nach Maria
Tanase», 12.12., Theater Winkelwiese, Zürich.
Nächstmals: So, 13.1.19, Theater Ticino, Wädenswil.

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