Begabte Kinder besser fördern

Der Zürcher Gemeinderat hat eine Mutterschaftsentschädigung beschlossen und sich darüber gestritten, ob es bei der Förderung begabter Schulkinder auch darauf zu achten gilt, dass beispielsweise Kinder aus Migrantenfamilien nicht benachteiligt werden.

 

Mit einem Beschlussantrag seiner Geschäftsleitung startete der Zürcher Gemeinderat in seine Sitzung vom Mittwochabend. Es ging um eine Teilrevision der Entschädigungsverordnung, wie Kommissionssprecher Martin Bürki (FDP) ausführte, konkret um ein Problem, das wegen GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy bekannt geworden war: Sie hatte bereits während des Mutterschaftsurlaubs ihre Tätigkeit als Nationalrätin wieder aufgenommen, worauf die Sozialversicherungsanstalt einen Teil ihrer Mutterschaftsentschädigung zurückforderte. Kathrin Ber­tschy focht diesen Entscheid bis vor Bundesgericht an, unterlag jedoch. Wenn die Tätigkeit als gewählte Parlamentarierin die Mutterschaftsversicherung aufhebe, dann komme das einem Politikverbot während der Mutterschaft gleich, sagte Martin Bürki. Die Kommission habe verschiedene Varianten diskutiert, die SVA habe jedoch alle abgelehnt, weshalb jetzt der Gemeinderat die Kosten übernehme. Diese betragen rund 19 000 Franken pro Gemeinderätin im Mutterschaftsurlaub. Das entspreche in etwa dem Betrag, der fällig würde, wenn jede der gemeinderätlichen Kommissionen pro Jahr eine Sitzung mehr abhalten würde, erklärte Martin Bürki. Er betonte auch noch, dass damit selbstverständlich kein Zwang begründet werde, während des Mutterschaftsurlaubs am Ratsbetrieb teilzunehmen. Doch Parlamentarierinnen, die dies wollten, sollten deshalb keine finanziellen Einbussen erleiden müssen.

 

Die SVP werde sich der Stimme enthalten, gab Roger Bartholdi bekannt. Was die Mehrheit vorschlage, sei «keine Lösung» beziehungsweise höchstens eine Zwischenlösung. Es brauche eine Klärung der Regelung auf eidgenössischer Ebene. Zudem sei es rechtlich nicht klar, ob die Lösung des Gemeinderats wirklich hieb- und stichfest sei – und es sei auch nicht richtig, dass «der Steuerzahler es ausbaden muss». Anjushka Früh (SP) hingegen erinnerte daran, der Gemeinderat sei ein «Volksparlament», das die Bevölkerung abbilden sollte, und «auch frisch gebackene Mütter sind Bevölkerung». Mit 98:0 Stimmen bei 14 Enthaltungen (der SVP) stimmte der Rat dem Antrag der Geschäftsleitung zu. Die Vorlage geht nun an die Redaktionskommission, und die Schlussabstimmung erfolgt in ein paar Wochen.

 

Unbestritten war sodann ein Kredit für den Umbau der Heilpädagogischen Schule. Es folgten drei weitere Schul-Vorlagen, die alle plusminus gleich begründet wurden: Sowohl die Schulanlage Feld als auch die Schulanlagen Stettbach und Rebhügel müssen umgebaut werden. Im Hinblick auf die Einführung der Tagesschule per August 2023 müssen insbesondere grössere Küchen sowie Räume für Verpflegung und Aufenthalt bereitgestellt werden. Gegen diese Vorlagen wandte sich nur die SVP. Wie Stefan Urech ausführte, akzeptiere die SVP den Volkswillen beziehungsweise das Ja an der Urne zu den Tagesschulen. Seine Fraktion lehne die Vorlagen trotzdem ab, und zwar, um den Menschen in der Stadt, die sich gegen die Tagesschule ausgesprochen hatten, eine Stimme zu geben.

 

Wie fördern – und wen?

Viel mehr zu reden gab eine weitere Schulvorlage: Es ging um gesetzliche Grundlagen für die Begabungs- und Begabtenförderung, die das bisherige Begabtenförderprogramm Universikum ablösen sollen. Balz Bürgisser (Grüne) erklärte, das neue Konzept sei an zehn Pilotschulen getestet und dieser Test wissenschaftlich begleitet worden. Man müsse unterscheiden zwischen Begabungs- und Begabtenförderung: Begabungsförderung richte sich an alle, denn «jeder Mensch hat Fähigkeiten, die entwickelt werden können». Begabtenförderung sei für jene gedacht, die in einem oder auch mehreren Bereichen eine hohe Begabung hätten. Gefördert werde auf drei Ebenen: In der Volksschulklasse würden Fähigkeiten weiterentwickelt. In den Schulen gebe es sogenannte Pull-Out-Programme, die ein breites Spektrum an Begabtenförderung umfassen und die, beispielsweise an einem Halbtag pro Woche, klassenübergreifend stattfinden können. Für SchülerInnen mit «exzellenten Leistungen oder dem Potenzial dazu», mit Kreativität und Leistungswillen schliesslich stehe im Schulkreis das Forschungszen­trum zur Verfügung. In der Stadt Zürich seien rund 18 Forschungszentren vorgesehen.

 

Balz Bürgisser begründete auch noch den Änderungsantrag seiner Fraktion, die verlangt, dass für die Aufnahme in das schulinterne Förderprogramm und das Forschungszen­trum der Chancengerechtigkeit, «insbesondere bezüglich Geschlecht, sozialer Herkunft, Mi­grationshintergrund und körperlicher Behinderung», Rechnung zu tragen sei. Diese Forderung rühre daher, dass es in den Pilotschulen in den Pull-Out-Programmen deutlich mehr Buben als Mädchen habe. Zudem würden Schweizer Eltern «alles daran setzen, dass ihr begabtes Kind gefördert wird», was angesichts der beschränkten Platzzahl dazu führe, dass Kinder aus «sozial benachteiligen Familien» und Kinder mit Migrationshintergrund sowie Kinder mit körperlichen Behinderungen weniger gute Chancen hätten.

 

Stefan Urech (SVP) hatte dafür kein Verständnis: Hier werde «ein Missstand herbeigeredet» und versucht, «die woke Ideologie aus den USA einzuführen». Bei elf Knaben und sieben Mädchen könne doch nicht von einer Benachteiligung die Rede sein, fuhr er fort. In der Stadt seien zudem 70 Prozent der LehrerInnen Frauen, in der Primarschule seien es noch viel mehr, sechs von sieben SchulpräsidentInnen seien Frauen und fünf davon in der SP: «Dass dies zur Diskriminierung von Mädchen und Frauen führt, glauben Sie doch selbst nicht», sagte er.

 

Yasmine Bourgeois (FDP) sprach von einem «gut durchdachten Konzept», das zudem viel flexibler sei als das frühere. Doch es gebe «ein grosses Aber»: Im jetzigen Schulsystem müssten alle integriert werden, was insbesondere für die KlassenlehrerInnen «einen riesigen Aufwand» bedeute – «und dann muss man jene, die mehr können, wieder raus nehmen». Das sei «völlig absurd». Und jetzt verlangten die Grünen auch noch, die Begabtenförderung an Bedingungen wie Geschlecht und Herkunft zu knüpfen: Das sei «sexistisch und rassistisch». «Wollen Sie die Schule noch schlechter machen?», rief sie in den Saal. Was die Grünen wollten, sei «Sozialismus pur» und führe lediglich dazu, dass noch mehr reiche Eltern ihre Kinder in Privatschulen schickten. Mit 72:40 Stimmen (der SVP, FDP und Mitte-EVP) kam der Änderungsantrag der Grünen durch. Auch diese Vorlage geht erst noch an die Redaktionskommission, bevor die Schlussabstimmung erfolgen kann.

 

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