Bauer, Ritter, König, Schachmatt?

Nach den letzten Wahlen lag die Mitte nur noch einen Hauch hinter der FDP. Rund 0,2 Prozentpunkte. Ein Rechenfehler des Bundesamts für Statistik hatte sogar noch kurz den Eindruck erweckt, als hätte die Mitte die FDP überholt. Das löste natürlich auch Diskussionen aus um die Zusammensetzung des Bundesrats. Die Mitte solle zwei Sitze haben anstelle der FDP, hiess es teilweise. Gerhard Pfister, machtbewusster Präsident der Mitte hörte dies natürlich gerne.

Etwas mehr als ein Jahr später, kurz nachdem Gerhard Pfister seinen Rücktritt bekannt gegeben hatte, folgt der Rücktritt von Mitte-Bundesrätin Viola Amherd. Nach nur sechs Jahren, wohl früher als erwartet. Und wie man bald merkt, offensichtlich unabgesprochen mit der Partei. Was darauf folgt, ist ziemlich einzigartig. Mindestens kann ich mich an nichts Vergleichbares erinnern.  Reihenweise und offensichtlich unkoordiniert sagen die Favoriten ab. Fast an vorderster Front die Parteispitze. Gerhard Pfister meinte, er wäre nicht glücklich als Bundesrat. Fraktionspräsident Phi­lipp Bregy wäre es wohl schon, aber seine Familie etwas weniger. Auch weitere Favorit:innen sagen ab: Nationalrat Martin Candinas fehlt das innere Feuer, Ständerätin Isabelle Chassot die Lust, Lust zu haben. Weitere Absagen folgen: Ständerat Benedikt Würth (nicht Teil der Lebensplanung), genauso wenig für die Ständerät:innen Heidi Zgraggen oder Peter Hegglin, die immerhin früher einmal wollten. Auch Nationalrat Philipp  Kutter will nicht, genauso wenig wie der Aargauer Regierungsrat Markus Dieth. Die forschen Ankündigungen zu Beginn der Mitte-Frauen oder Teile des Präsidiums nach einer breiten Auswahl oder einer Frauenkandidatur werden leiser. 

Nur einer wollte. Markus Ritter, Bauernlobbyist und St. Galler Nationalrat. Der Königsmacher will nun selbst König werden. Bis kurz vor Ablauf der Frist war unklar, ob er der einzige bleiben würde. Eine der letzten Hoffnungen der Mitte-Frauen, Ständerätin Andrea Gmür, erklärte ihren Verzicht am Freitag. Der Walliser Staatsrat und Ex-Parteipräsident Christophe Darbellay käme, sagte die Gerüchteküche: Er habe am Sonntag eine Pressekonferenz anberaumt. Und wer mache schon eine PK, um abzusagen? Offensichtlich Christophe Darbellay. Am Montag, kurz vor Ablauf der Frist sagten noch die letzten Frauenhoffnungen ab: Die Nationalrätinnen Nicole Barandun und Elisabeth Schneider-Schneiter nahmen sich aus dem Rennen. Letztere nicht ohne Kritik an der Parteileitung: Man solle doch künftig frühzeitig und nachhaltig Frauen berücksichtigen. Zeitgleich hatte der letzte, der noch nicht abgesagt hat, ein Einsehen: Martin Pfister, Regierungsrat aus dem Kanton Zug meldete seine Kandidatur an. Ganz offensichtlich hat er die Geschichte nicht gross vorbereitet. Eine Pressekonferenz hat erst einige Tage nach seiner Ankündigung stattgefunden, auf seiner Website gibt es nur ein paar dürre Zeilen. Doch immerhin hat er die Mitte vor einer grossen Blamage erspart.

Derweil ist Markus Ritter weitaus professioneller unterwegs. Er kann dabei nicht nur auf seine eigene Erfahrung zählen, laut Medienberichten wird er auch von der Agentur furrer.hugi unterstützt. In einem grossen Gespräch mit dem ‹Tages-Anzeiger› präsentiert er sich als grosser Chrampfer: «Ich bin es gewohnt, fast 365 Tage im Jahr zu arbeiten, ich bin Bauernpräsident, Nationalrat – und in meiner freien Zeit helfe ich hier daheim. (…) So sind viele auf dem Land: Die Work-Life-Balance wird anders gelebt.» Ganz im Gegenteil zu den Leuten in der Stadt: «Sie schaffen auch viel. Aber vielleicht haben sie ein etwas anderes Verständnis davon. Vielleicht denken sie, 45 Stunden oder 50 Stunden sind genug. Ich bin aber überzeugt, im Bundesrat musst du 60, 70, 80 Stunden arbeiten und präsent sein, anders geht es nicht.» Auch sonst ist Ritter ein harter Kerl: «Ich selbst gehe nur zum Arzt, wenn ich den Kopf fast unter dem Arm tragen muss.»

Um fair zu bleiben, ist es Ritter durchaus zuzutrauen, dass er ein Departement führen kann. Und dass er sich mit der gleichen Hartnäckigkeit und politischem Geschick, mit dem er heute für die Bauern weibelt, auch mehr Mittel für die Armee organisieren kann (wobei das mit den heutigen Mehrheitsverhältnissen auch nicht schwierig ist). Nur ist da jetzt nichts, was aus linker Perspektive besonders  vielversprechend ist. Zumal er auch in anderen Politikfeldern der SVP weit näher ist als uns. Er ist gesellschaftlich konservativ, fiskalpolitisch rigid und ein Verhinderer einer Ökologisierung der Landwirtschaft. 

Ob sein Konkurrent eine passable Alternative ist, ist unklar. Zu wenig ist über den Zuger bekannt. Er sei ein typischer Regierungsrat, heisst es, ein typischer Vertreter der Zuger Mitte, die auch nicht für ihre Linkslastigkeit bekannt ist. Rein optisch sehen sich Pfister und Ritter ähnlich. Sind sie es auch politisch? Das werden die nächsten Wochen zeigen. 

Für die Mitte ist die Übung ein Debakel. Bundesratswahlen sind die Gelegenheit für Parteien, ihr Personal und ihre Politik zu präsentieren. Auch wenn das Spektakel, das medial veranstaltet wird, vielleicht nicht immer der Bedeutung gerecht wird, denn schliesslich ist es keine Volkswahl und die Strippen werden auch nicht in der Bellevue-Bar gezogen. Aber dennoch hat man als Partei nur selten so viel Gratis-Aufmerksamkeit.

Die Mitte präsentierte das Gegenteil: Schlechte Kommunikation und Koordination, angedeutete Intrigen und Grabenkämpfe. Und bis zum Schluss drohte das Szenario eines unfreiwilligen Einer-Tickets mit einem Kandidaten, der selbst bei der eigenen Fraktion nicht nur auf Gegenliebe stösst. 

Der ehemalige SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann hat aufgrund der fehlenden Auswahl die Grünliberalen ins Spiel gebracht. Die Idee stiess nur bei Fabian Renz vom ‹Tages-Anzeiger› auf Anklang. Die Grünliberalen selber winken ab und o b die ins Spiel gebrachten Köpfe wie Tiana Angelina Moser, Melanie Mettler oder Kathrin Bertschy dann tatsächlich für den Bundesrat zur Verfügung stünden, ist ebenso unklar.  Das Gleiche gilt für allfällige Planspiele für Sprengkandidierende.

In der aktuellen Lage ist Ritter klarer Favorit. Er dürfte wohl auf recht starke Unterstützung der SVP hoffen, ausser vielleicht bei jenen, die gerne Esther Friedli als zukünftige Bundesrätin sähen. Damit hat er bereits ein solides Polster hinter sich. Wie Ignazio Cassis bewiesen hat, ist dieses Polster recht hilfreich. Da zu erwarten ist, dass Ritter auch aus der Mitte und der FDP einige Stimmen erhalten wird, kann er mit einer gewissen Zuversicht in die Wahl gehen, zumal der Wahlkörper erfahrungsgemäss gerne Leute wählt, die er kennt.

«Wer als Papst in das Konklave geht, verlässt es als Kardinal», heisst es. Auch Favoriten können also straucheln. In diesem Fall würde ich allerdings nicht darauf wetten.