Basteln, zimmern und gute Filme zeigen

Seine Wurzeln hat das Sofakino Xenix im Autonomen Jugendzentrum und in der 80er-Bewegung. Seit 1984 ist es fix installiert auf dem Kanzleiareal und hat dort schon manchen Sturm überstanden. Obwohl die grosse Party zum 40jährigen Jubiläum flachfällt wegen Corona, schauen Jenny Billeter und Eric Staub im Gespräch mit Suzanne Zahnd wohlgemut zurück und voraus.

 

Das Xenix war erst aus einer (zum Glück erfolgreichen) Rettungsaktion im Jahr 2017 draussen, und schon kam Corona. Was hat das mit Euch gemacht?

Eric:  Es hat alle Pläne zunichte gemacht. Das Jubiläumsjahr 40 Jahre Xenix wird definitiv in die Geschichte eingehen. Ich musste praktisch von einem Tag auf den anderen alles stornieren. Anstatt dass ich das Jubiläumsfest weiter planen konnte, musste ich Kurzarbeit eingeben, Geld zusammenkratzen, Absagen machen… Ich hab keine Minute weniger gearbeitet, aber völlig andere Sachen als sonst.

 

Jenny: Wir hatten vor dem Lockdown schon eine Übergangsphase, in der bereits Sicherheitsregeln eingehalten werden mussten. Das März-Programm «True Crime» wurde dann mittendrin abgebrochen. Das war der erste Schreck. Ich habe dann alles unternommen, um die Filme zu verschieben. Es war ein gutes Gefühl, dass ich wusste, dass dass alles im Herbst nachträglich noch stattfinden kann und ich nicht einfach alles killen musste. 

 

Heisst das, ihr macht gar nicht vorher wieder auf?

Jenny: Doch, doch, wir öffnen am 8. Juni. Aber weil wir jeweils Monatsprogramme mit rund 20 Filmen und einem Begleittext vorbereiten, haben wir die Päckli für April, Mai und Juni in den Herbst verschoben. Wir möchten im Juni aber trotzdem öffnen und haben deshalb ein Programm zusammengestellt, bei dem mehr Leute einbezogen worden sind als sonst. Normalerweise wird das nur von drei Leuten gemacht, von René Moser, Stefanie Rusterholz und mir. Wir wollten es simpel halten, sprich Lieblingsfilme. Es durfte auch nicht allzu viel kosten, also mussten es Filme von Schweizer Verleihern sein und möglichst solche, für die bereits ein Text besteht, die also schon mal im Xenix gelaufen sind. 

 

Eric: Wenn fast nichts mehr reinkommt, hast du schlicht und ergreifend irgendwann kein Geld mehr. Die Prioritäten waren klar: Erst ging es mal darum, die Löhne und Sozialleistungen zu garantieren. Wichtig war auch, dass wir die offenen Rechnungen unserer Lieferanten und Dienstleister zahlen konnten. Denen gehts ja auch nicht gut. Wenn die Situation länger angedauert hätte, dann hätten wir gravierende Probleme bekommen. Ich freue mich, dass wir wieder loslegen können. Es wird sicher nicht so toll sein unter diesen Rahmenbedingungen, aber…

 

Aber die Leute sind doch auch ausgehungert, die freuen sich bestimmt aufs Xenix.

Eric :Ja, aber sie sind auch vorsichtig.

 

Eric, Du bist seit dem Winter 1984/85 beim Xenix dabei und seither geblieben. Zwischen dem Abriss des AJZ und der Baracke auf dem Kanzleiareal hatte die Kinogruppe eine superflexible Struktur, wo ihr mal da mal dort Filme gezeigt hat. Habt ihr Euch nie überlegt, ob ihr ähnliche Aktionen machen könntet während des Lockdowns?

Eric: Nein, das haben wir uns nicht überlegt. Wir hätten das technische Knowhow schon noch gehabt, aber es wäre in dieser Zeit der Pandemie nicht vernünftig gewesen. Die Prioritäten lagen anders.

 

Jenny: Es ist auch eine völlig andere Situation als in den 1980er-Jahren. Im März war es richtig, sich zurückzuziehen, und jetzt können wir langsam darüber nachdenken, wie wir wieder Kulturveranstaltungen nach aussen tragen. Natürlich haben wir uns überlegt, ob wir streamen sollen. Aber wir hatten keine Lust da­rauf. Wir fanden es super, dass andere das machen, aber für uns kams nicht infrage. Wir haben dieses spezielle Kino und die Leute dürfen das auch mal vermissen. Unser Pu­blikum war sehr solidarisch, viele haben Gutscheine gekauft, manche haben gespendet und fast alle Mitgliedschaften wurden verlängert, obwohl das Kino geschlossen war. Es ist auch so, dass ich sehr stark an den Ort denke, wenn ich Filme programmiere. 

 

Jetzt sind wir beim Streaming angelangt. Die Frage nach den Sponti-Aktionen wollte eigentlich darauf hinaus, dass in den 80ern Leute wie ihr sich sicher an keine staatlichen Verbote gehalten hätten. Heute hält sich das gegenteilige politische Spektrum nicht an die Regeln. Natürlich kann man die Situationen nicht 1:1 vergleichen, aber es ist schon auffällig, wie sehr sich die Rechte den rebellischen Gestus der ehemaligen ‹Bewegung› angeeignet hat. 

Jenny: Ja, der ‹Feind› ist jetzt ein ganz anderer. Man hat ja den Kontext dieser Pandemie. Das nehme ich ernst. Ich hatte keine Sekunde das Gefühl, dass man in dieser Situation Gruppenanlässe machen sollte. Das Streaming ist vielleicht die heutige Alternative zum ‹wilden› Vorführen. Und dann gab es ganz einfach auch Wichtigeres im Moment, als ums Verrecken einen Film zu zeigen.

Wir sind auch nicht mehr Kulturleichen… In den 1980erJahren gab es immer wieder Überschneidungen mit dem Milieu – nicht nur für das AJZ-Kino und künftige Xenix, das im Sexkino Walche Filme zeigen konnte. Wäre das heute noch denkbar?

 

Eric: Ich finde es nicht undenkbar, auch heute mit Edi Stöckli zusammenzuarbeiten. Er war uns damals einfach sehr gut gesinnt, offen für die Kultur, sonst hätte er uns ja auch nicht das Walche-Kino für ein Jahr zur Verfügung gestellt. Es gab keine Räume, da hat man einfach genommen, was man bekam. Es war ein super Jahr, da in der Walche! Ein kurzer Traum, rückblickend. Der Tessinerplatz war auch ein schöner Standort, halt mega klein, das war ein Ladenlokal. Und die Technik war ohnehin bescheiden. Wir hatten gerade mal einen 16mm-Projektor. Mit dem heutigen Standort hat sich wirklich eine neue Perspektive eröffnet für uns. 

 

Das «Gseh nix», wie es heute noch dasteht.

Eric: Der Name war gar nicht unsere Erfindung, das hats schon vorher gegeben, in Amsterdam. Da gab es ein Off-Kino, das Xinix hiess. Bedeutet aber auf holländisch auch «Gseh nix». Ich finds immer noch einen Superbrand für ein Kino. 

 

Wie seid ihr damals an die ganzen Filme herangekommen? Es war sicher nicht selbstverständlich, dass ein Verleih irgendwelchen dahergelaufenen Bewegten Filme überlässt.

Eric: Ja, das war ein furchtbares Geknorze. Ciryl (Thurston, der heute die vom Kino unabhängige Distributionsfirma Xenix leitet, Anm. d. Redaktion) hatte Beziehungen zu Fredy Buache von der Cinémathèque Suisse. Das war fast unsere einzige Chance, ab und zu mal einen 35mm-Film auszuleihen. Dieser kleine Zugang zur Cinématèque war sehr wichtig. Allerdings mussten wir immer warten, bis Herr Buache gute Laune hatte. Das war ein spezieller Typ. Da hast du mit der Sektretärin telefoniert und du hörtest ihn von hinten reinbrüllen: «Nein, den Film haben wir nicht!» Und dann kam ein Fax zurück mit unserer Liste, alles durchgestrichen und vielleicht bei einem Film hatte es einen Haken, was hiess «den könnt ihr haben». Wir waren total abhängig. 

 

Jenny: Aber Fredy Buache war der Chef, dann wart ihr also Chefsache, oder?

 

Eric: Absolut, das war der oberste Chef – er hat die Cinémathèque Suisse aufgebaut. 

 

Jenny: Das weiss ich, aber mich wundert, dass er persönlich mit dem Xenix kommuniziert hat… Wie auch immer, heute haben wir ein Abo bei der Cinémathèque.

 

Eric: Der fixe Standort hat für uns einen grossen Aufschwung bedeutet. Auch wenns eine Kindergartenbaracke war und nichts daran kinotauglich. Wir konnten uns endlich fest installieren. In den Wanderjahren konnten wir nie eine vernünftige Infrastruktur aufbauen. Klar, wir haben viel aufgebaut, aber nach sechs Monaten musstest du wieder gehen. Insgesamt haben wir damals sicher mehr gebastelt und gezimmert als Filme gezeigt. Das AJZ-Kino ist ein gutes Beispiel. Das war eigentlich ein sehr schönes Kino, aber es war praktisch nie offen. Weil das AJZ ständig wieder zu war. Den 16mm-Projektor von damals haben wir aber immer noch. 

 

Das Xenix auf dem Kanzleiareal wurde sofort zu einem beliebten Szenetreffpunkt. Die meisten Leute kamen, um Gleichgesinnte zu treffen, nicht um ins Kino zu gehen. Ging diese Bedeutung verloren in den letzten 20 Jahren?

Jenny: Das Xenix ist zu einer Oase geworden in einer gentrifizierten Umgebung. Die Leute schätzen, dass es nicht so chic ist und die Preise fair sind. Die Gäste sind sehr international, es ist vielleicht nicht mehr unbedingt die Kulturszene, aber die Offenheit ist geblieben. 

 

Eric: Und die alternden Apéro-Stammgäste, die gibt’s natürlich auch immer noch. Das sind zum Teil dieselben wie in den 80igern.

 

Ihr schreibt euch nach wie vor «nichtkommerziell» auf die Fahne. Was heisst das heute konkret?

Eric: Im Prinzip bedeutet es, dass wir nicht gewinnorientiert programmieren. Das steht auch klar so in den Statuten. Natürlich müssen wir daneben etwas erwirtschaften, weil ein Programmkino per se defizitär ist. Unseres wird von der Gastronomie querfinanziert. Das heisst, wir sind immer noch ein Verein, es wird also Ende Jahr kein Gewinn oder eine Dividende ausgezahlt. Das ist auch eine Grundvoraussetzung dafür, dass wir Subventionen erhalten.

 

Gleichzeitig hat sich das ganze Vetriebssystem enorm verändert. Seid ihr da in einer schwachen Position?

Jenny: International hat sich einiges verändert; zum Guten, dass digital die Filmkopien einfacher aufzutreiben sind, zum Schlechten, dass die Rechte teurer wurden. Aber Schweizer Verleiher haben weiterhin spezielle Konditionen für Studiokinos. Davon können wir immer noch profitieren. 

 

Wie positioniert ihr Euch in der Kinolandschaft Zürichs mit Kosmos, Houdini, RiffRaff und Filmpodium, die das Heu filmästhetisch gesehen auf einer ähnlichen Bühne haben wie ihr?

Jenny: Wir sind ein Programmkino, kein Premierenkino, also fischen Kosmos und RiffRaff in einem anderen Teich. Wir sind eher mit dem Filmpodium vergleichbar, aber wir kommen uns nicht in die Quere. Es gibt so eine ungeschriebene Halbregel: ab Farbfilm ists Xenix, schwarzweiss ist Filmpodium. Oder vor Punk ists Filmpodium und alles nachher ist Xenix. Was uns aber grundsätzlich eint, ist, dass wir als einzige Kinos in Zürich noch Filme von 35mm-Kopien zeigen.

Einen Zuschauerrückgang haben sowieso alle Kinos zu verzeichnen, schon vor Corona. Ich denke aber, dass die Xenix-Kundschaft genau das schätzt, dass wir eben eine sorgfältige Vorauswahl machen für sie, mit Expertise. Das funktioniert auch beim Streaming. Seiten wie Mubi, die ihre Programme kuratieren, die laufen gut. Das machen heute auch die Arthouse-Kinos, also Reihen wie etwa «Psychotherapie und Film», das läuft gut. Das Xenix ist auch ein guter Ort für lokale Filme. Zum Beispiel der Film über Doris Stauffer – das war ein wunderschöner Abend. Oder der Film von Pio Corradi über Varlin – da kommt das ganze Dörfli in den Kreis 4 rüber.

 

Jenny, du bist erst vor drei Jahren dazugestossen zum Xenixteam. Was wolltest du hier reinbringen?

Jenny: Das Erbe der 80er-Generation ist mir nicht fremd. Ich fühl mich da zu Hause. Ich ging in der Roten Fabrik in den Kindergarten, ich war im AJZ, ich war in der Kinderbar im Kanzlei. Direkt bevor ich im Xenix begonnen habe, war ich aber vor allem von zehn Jahren Tätigkeit für Filmfestivals geprägt. Ich möchte hier im Xenix noch mehr neues, thematisch kuratiertes internationales Kino zeigen. René Moser und ich ergänzen uns da sehr gut. Er stellt gerne Retrospektiven zusammen, arbeitet aus dem Archiv heraus. Das ist natürlich alles nicht absolut, er zeigt auch mal einen neuen oder ich einen alten Film. Wir haben grosse Freiheit beim programmieren, das schätze ich sehr.

 

Sagt, was passiert jetzt mit Eurem grossen 40- Jahre-Jubiläumsfest?

Eric: Das wird verschoben auf nächstes Jahr. Das ist dann halt die ü40-Party. 

 

Jenny: Wir vom Programm fokussieren jetzt auf unser OpenAir im Sommer und befassen uns damit, was da überhaupt möglich ist, mit Publikumsbeschränkung und Hygienemassnahmen etc. Es wär schon sehr schön, wenn das diesen Sommer doch noch stattfinden könnte.

 

Das Xenix startet am 8.6. um 18 Uhr mit Fatih Akins «Soul Kitchen» und endet am 8.7. mit «Systemsprenger». Alles dazwischen auf www.xenix.ch

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