Basishilfe und Wohnanteil

Der Zürcher Gemeinderat sprach am Mittwoch einen Nachtragskredit von zwei Millionen Franken für die wirtschaftliche Basishilfe und bereinigte eine Vorlage für eine Änderung der Bau- und Zonenordnung, die beinhaltet, dass temporär vermietete Wohnungen künftig nicht mehr dem Wohnanteil angerechnet werden.

 

Im Vorfeld, konkret in einem Artikel im ‹Tages-Anzeiger› vom Samstag, hatte es nach grossem Ärger getönt: Die wirtschaftliche Basishilfe, die Stadtrat Raphael Golta im Mai angekündigt hatte (vgl. P.S. vom 14. Mai), drohe im Rat zu scheitern. An der Doppelsitzung des Zürcher Gemeinderats vom Mittwoch, der letzten vor den Sommerferien, waren nun im Rahmen der ersten Serie der Nachtragskredite auch die zwei Millionen Franken für «Beiträge zur Existenzsicherung ausserhalb der Sozialhilfe» traktandiert. Gleichzeitig behandelte der Rat ein Begleitpostulat der Fraktionen von SP, Grünen und AL. Sie forderten den Stadtrat auf, zu prüfen, wie er dem Gemeinderat «so rasch wie möglich eine Weisung zur Aufstockung des Pilotprojekts zur finanziellen Unterstützung von Menschen in Notlagen, die einen risikobehafteten oder keinen Zugang zur Sozialhilfe haben, vorlegen kann». Womit man sich fragen kann, weshalb angesichts eines gemeinsam eingereichten Postulats der rot-grünen Mehrheit die Gefahr eines Scheiterns bestehen solle?

Doch der Reihe nach: Zum besagten Nachtragskredit über zwei Millionen Franken lagen mehrere Anträge vor. Sie sind im Antrag der Rechnungsprüfungskommission zusammengefasst: Die SP unterstützte den Antrag des Stadtrats. Die SVP wollte die zwei Millionen Franken streichen mit der Begründung, Beiträge ausserhalb der Sozialhilfe und der Sozialversicherungssysteme seien nicht gerechtfertigt. Die FDP und die GLP wollten den Kredit ebenfalls nicht bewilligen. Ihre Begründung: «Die rechtliche Legitimation des Pilotprojekts ist nicht gegeben. Neben der Nothilfe ist das soziale Netz in Zürich eng gestrickt. Fragen zur Missbrauchskontrolle, zu Doppelspurigkeiten und zur konkreten Umsetzung sind unzureichend geklärt.» Die AL und die Grünen wollten nur den Anteill des beim Stadtrat für eine Laufzeit von eineinhalb Jahren beantragten Kredits von zwei Millionen Franken bewilligen, der 2021 benötigt wird. Bei höherem Bedarf könne mit der zweiten Serie der Nachtragskredite 2021 eine Erhöhung des Budgets beantragt werden. Kurz: Die linke Ratsseite war sich inhaltlich einig, strittig war lediglich die Vorgehensweise. Damit war absehbar, dass der Kredit am Schluss durchkommen würde.

 

«Reale Probleme»

Ausführlich debattiert wurde natürlich trotzdem: Susanne Brunner (SVP) erklärte, die «Spezialsozialhilfe für Sans-Papiers und Ausländer» sei formal nicht korrekt und verstosse gegen übergeordnetes Recht. Zudem befürchtete sie, die Basishilfe könnte eine «Sogwirkung» entfalten und Zürich ein «Mekka für Sans-Papiers aus der Schweiz und dem Ausland» werden. Walter Angst (AL) erinnerte an die 1970er-Jahre, als man« Arbeiter holte und Menschen kamen». Damals hätten die Städte solche Menschen im Winter unterstützt und dafür gesorgt, dass ihre Kinder die Schule besuchen konnten. Der Bericht der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW, den der Stadtrat in Auftrag gegeben habe, zeige auf, dass wir uns heute wieder in einer Situation befänden, «auf die wir reagieren müssen». Alan David Sangines (SP) erinnerte an die Corona-Hilfspakete für Gewerbe, Kultur etc., die der Gemeinderat gesprochen habe, doch die Krise habe vor allem die Schwächsten voll getroffen. Würde man nur eine Million Franken bewilligen, wäre möglicherweise schon im November kein Geld mehr da.

Markus Baumann (GLP) befand, ein Problem innerhalb der Sozialhilfe müsse man auch dort lösen. Mit der wirtschaftlichen Basishilfe schaffe der Stadtrat jedoch eine «Parallelwelt». Alexander Brunner (FDP) erklärte, hier werde die ganze Zeit über etwas diskutiert, von dem seine Fraktion nichts wisse. Die SP weigere sich zu streiten, sie betreibe bloss Wahlkampf. Darüber, dass er nichts weiss, gibt Alexander Brunner in der NZZ vom Donnerstag immerhin ein Interview, Titel: «Stadtrat Golta verhält sich wie ein Provinzialfürst». Dem Interview ist zu entnehmen, dass Brunner eine Aufsichtsanzeige beim Bezirksrat einreichen wird. Zum Schluss der gemeinderätlichen Debatte erklärte Stadtrat Golta, die Stadt sei mit «realen Problemen» konfrontiert, und in den vergangenen eineinhalb Jahren habe der Rat viel darüber diskutiert, Opfer der Corona-Pandemie zu schützen. Hier gehe es nun um jene, die nicht auf die Sozialhilfe als letztes Netz zurückfallen könnten. In den Abstimmungen erreichten SVP, FDP und GLP in der ersten Runde 54 Stimmen, die SP 42 und Grüne und AL 25. Damit fielen letztere raus und schlugen sich auf die Seite der SP, womit der Antrag des Stadtrats mit 67:54 Stimmen durchkam. Das Postulat wurde mit 81:37 Stimmen bei 4 Enthaltungen (der EVP) überwiesen.

 

Erstwohnungen schützen

Als zweitletztes Geschäft der bis nach 23 Uhr dauernden Sitzung (als letztes kamen die Alterswohnungen dran, siehe Artikel Seite 14) nahm sich der Rat noch einen «alten Bekannten» vor, die Änderung der Bau- und Zonenordnung bezüglich «Nichtanrechenbarkeit an Wohnanteil» und die Abschreibung zweier Motionen. Ausgelöst hatten das Geschäft ursprünglich eine Motion von Niklaus Scherr (AL/nicht mehr im Rat) vom 18. November 2009 sowie sein Postulat für die «Nichtanrechnung auf den Wohnanteil von Zweitwohnungen, Hotelnutzungen & Business-Appartements» (P.S. berichtete). Der Stadtrat beantragte beides mit einem ausführlichen Bericht am 7. März 2012 zur Ablehnung, wie Kommissionssprecherin Nicole Giger (SP) ausführte. Doch der Gemeinderat wies den Antrag zurück und verlangte vom Stadtrat einen Ergänzungsbericht zu einem erweiterten Fragenkatalog, der ihm am 4. April 2018 vorgelegt wurde. Am 8. Januar 2020 beschloss der Gemeinderat, vom Bericht Kenntnis zu nehmen, aber die Motion nicht abzuschreiben, sondern dem Stadtrat eine Nachfrist von zwölf Monaten einzuräumen, innert derer er eine Teilrevision der BZO vorlegen sollte. Ziel: Erstwohnungen in Wohnhäusern sollten im Umfang der Wohnanteilspflicht geschützt bleiben.

Die Mehrheit stimme der Vorlage, die «einen grosser Schritt in die richtige Richtung» bedeute, zu, erklärte Nicole Giger. Das sah Cathrine Pauli (FDP) ganz anders: Mit dieser Vorlage ändere sich wegen der Besitzstandswahrung gar nichts, und zudem bedeuteten die dadurch nötig werdenden Kontrollen einen grossen Mehraufwand. Walter Angst erklärte, wenn es vom Einreichen eines Vorstosses bis zur Vorlage zwölf, dreizehn Jahre dauere, dann habe man diese Jahre tatsächlich verloren: «Wir führen nun eine Regelung für die Zukunft ein.» Hochbauvorsteher André Odermatt fand nichtsdestotrotz, «was lange währt …» Gegen die Stimmen der FDP hiess der Rat sodann die Änderungsanträge gut. Die Vorlage geht nun an die Redaktionskommission, die Schlussabstimmung folgt nach den Sommerferien.

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