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Ayn Rands «Atlas Shrugged» – ein Buch, das hilft, Trump zu verstehen
Ayn Rands «Atlas Shrugged» (Deutsch: «Wer ist John Galt» oder «Der Streik»), erschienen 1957, gilt bis heute als Bibel des (Neo-)Liberalismus und insbesondere aller Superreichen in den USA. Es wurde in mindestens 14 Sprachen übersetzt, über 10 Millionen Mal verkauft, und in den USA werden jährlich noch immer rund 100 000 Exemplare verkauft.
Ayn Rand, geboren 1905 als Alissa Sinowjewna Rosenbaum in St. Petersburg, verliess 1926 die kommunistische Sowjetunion und emigrierte in die USA, wo sie vor allem als Drehbuchautorin arbeitete. Sie galt als radikale, gefühllose, messerscharf und elitär denkende Analystin und ab der Veröffentlichung von «Atlas Shrugged» als neokonservative Vordenkerin mit grosser, prominenter Anhängerschaft.
In dem geschickt konstruierten dystopischen Roman schildert sie in überspitzter Manier einen zerfallenden Staat, der die Kontrolle über Wissenschaft, Medien und Wirtschaft übernimmt. Unqualifizierte, unfähige, aber loyale Gefolgsleute übernehmen «zum Wohle der Allgemeinheit» die Leitung – bis unter der Führung eines genialen Industriellen die reichen und einflussreichen Unternehmer sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen und ihre Wirtschaftsimperien zerfallen lassen. So soll das Volk erkennen, wer die wahren Schöpfer ihres (verschwindenden) Wohlstands waren. Und erst nach dem Zusammenbruch des an die Sowjetunion erinnernden Systems wollen die Kapitalisten das Land nach ihren eigenen Regeln wieder aufbauen.
Dabei wird jegliche Idee von sozialen Gesetzen und Solidarität, wie wir sie in Europa kennen, verspottet und bösartig karikiert – wohl der Hauptgrund, weshalb das Buch in Europa nicht auf die gleiche Resonanz stossen konnte wie in den USA und weshalb sich die beiden Kulturen unterschiedlich entwickelt haben.
Nach zwei, drei Generationen, die das Buch gelesen und verinnerlicht haben, ist vieles von Ayn Rands Gedankengut in den heutigen USA in breiten Gesellschaftskreisen kritiklos akzeptiert. Auf diesem Boden versucht Donald Trump mit Hilfe von 13 Milliardären, die seinem Kabinett und Beraterstab angehören, staatliche Institutionen und Regeln auszuhebeln und zu zerstören, so dass sich – gewissermassen auf den Trümmern – Ayn Rands Forderung nach einem uneingeschränkten Primat der freien, kapitalistischen Wirtschaft über den Staat voll entfalten kann, mit noch mehr Materialismus und Egoismus.
In den 1950er-Jahren schien die Erde grenzenlos ausbeutbar, steckte das Umweltbewusstsein noch nicht einmal in den Kinderschuhen, und so hatte Ayn Rand keinerlei Ahnung von «Grenzen des Wachstums» – mit der tragischen Folge, dass ihre Anhänger noch heute von der irrigen Annahme ausgehen, die Umwelt lasse sich ad infinitum ausbeuten und zerstören, und alle Probleme der Menschheit liessen sich lösen, wenn man die Wirtschaft von allen Vorschriften befreie.
In der Politik gewinnt oft nicht, wer die Fakten auf seiner Seite hat, sondern wer die bessere Geschichte erzählen kann. Diesbezüglich ist die Kombination von Ayn Rand und Donald Trump fast unschlagbar. Bessere Geschichten gibt es – doch wo sind die Menschen, die eine von Grund auf neue, menschen- und naturgemässere Gesellschaft und Politik zu entwickeln und durchzusetzen in der Lage sind?
Die folgende Zusammenstellung von unkommentierten Zitaten aus dem Buch versucht zu illustrieren, welchen Ideen Trump, sein Kabinett und Beraterstab sowie weltweit die meisten Superreichen huldigen. Man muss seine Gegner kennen, um sie bezwingen zu können.
Trumps Regierungsstil
«Wahrheitsfragen spielen in sozialen Zusammenhängen keine Rolle. Wahrheiten sind sozial völlig unbeachtlich.»
«Was leitet dann das Handeln der Menschen?»
«Die Zweckdienlichkeit des Augenblicks.»
«Die Menschen sind der Wahrheit und der Vernunft nicht zugänglich. Ein vernünftiges Argument vermag sie nicht zu erreichen. […] Wenn wir etwas vollbringen wollen, müssen wir ihnen etwas vorgaukeln, damit sie es uns vollbringen lassen. Oder wir müssen sie zwingen. Etwas anderes verstehen sie nicht.»
«Wollen Sie sich auf die Wahrheit berufen? […] Die Wahrheit hat keinen Platz in der gesellschaftlichen Ordnung. Grundsätze haben keinen Einfluss auf die Politik. Die Vernunft hat keine Macht über Menschen. Alle Logik ist steril. Moral ist überflüssig.»
«Kümmern Sie sich nicht um kleinere Einzelheiten. Die Hauptsache ist, dass unsere Politik in ihren grossen Linien klar umrissen ist. Wir werden die Macht haben. Wir werden jedes Problem lösen und jede Frage beantworten können.»
«Er sprach über Disziplin, Einigkeit, Gehorsam dem Gesetz gegenüber und die patriotische Pflicht, vorübergehende Härten zu ertragen.»
Trump und Justiz
«Es ist nicht ungesetzlich, denn das Parlament hat im letzten Monat ein Gesetz angenommen, das ihn dazu befugt, Verordnungen zu erlassen.»
«Das Gericht musste zugunsten des Gesetzesverächters entscheiden. Das Gesetz war zum Beschützer des Unrechts geworden.»
«Glauben Sie wirklich, es sei unser Wunsch, dass die Gesetze befolgt werden? […] Wir wollen, dass man sich gegen sie vergeht. […] Unschuldige Menschen kann man nicht regieren. Die einzige Macht jeder Regierung ist die Macht, gegen Verbrecher vorzugehen. Wenn es nicht genug Verbrecher gibt, dann macht man sie. Man stempelt so vieles zum Verbrechen, dass die Menschen nicht leben können, ohne Gesetze zu übertreten. Wer wünscht eine Nation von gesetzestreuen Bürgern? Wem nützt das etwas? Aber man erlasse einfach Gesetze, die weder befolgt noch durchgesetzt noch objektiv ausgelegt werden können, und schon schafft man eine Nation von Gesetzesbrechern, und dann lässt man sich die Schuld bar bezahlen. Das ist das System.»
Loyalität statt Kompetenz
«Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da man von ihm erwartet hatte zu denken. Jetzt sollte er nicht denken, sondern nur gehorchen. Man wollte auch nicht mehr, dass er ein Gewissen hatte.»
«Mangel an Vertrauen ist das Einzige, was wir fürchten müssen! Wenn wir Vertrauen in die Pläne unserer Führer haben, dann werden diese Pläne gelingen, und wir alle werden im Wohlstand leben, ja, im Überfluss. Die Burschen, die herumlaufen und alles kritisieren und unsere Moral zerstören: Sie sind schuld daran, dass es uns schlecht geht, dass wir hungern. Doch wir lassen sie nicht länger gewähren. Wir werden das Volk vor ihnen zu schützen wissen, und, glauben Sie mir, wenn wir einen von diesen oberschlauen Zweiflern erwischen, dann werden wir’s ihm zeigen.»
Rolle des Staates
«Die einzigen moralisch berechtigten Organe einer Regierung sind: die Polizei, um euch vor Verbrechen zu schützen; die Armee, um euch vor fremden Eindringlingen zu schützen; die Gerichte, um euer Eigentum zu schützen, eure Verträge zu garantieren und Streitigkeiten zu schlichten nach vernünftigen Gesetzen, die einem objektiven Recht entsprechen. Doch eine Regierung, die den Gebrauch der Gewalt einführt gegen Menschen, die gegen niemanden gewalttätig waren, die bewaffneten Zwang anwendet gegen waffenlose Opfer, ist ein Höllenapparat, dazu bestimmt, die Moral zu vernichten […] Eine solche Regierung setzt an die Stelle der Moral die folgende Regel sozialen Verhaltens: Du darfst deinem Mitmenschen antun, was immer du willst, vorausgesetzt, du bist stärker als er.»
Gott
«Sie sagen, sie besässen Mittel des Erkennens, die dem Verstand überlegen sind, eine Art von Bewusstsein, die der Vernunft überlegen ist – als hätten sie eine besondere Vereinbarung getroffen mit einem Verwaltungsbeamten des Universums, der ihnen geheime, anderen verschlossene Auskünfte gibt.»
«Jahrhundertelang tobte der Kampf um Moral zwischen denen, die behaupteten, euer Leben gehöre Gott, und denen, die behaupteten, es gehöre euren Nachbarn… zwischen denen, die predigten, das Gute sei Selbstaufopferung für Geister im Himmel, und denen, die predigten, das Gute sein Selbstaufopferung für Unfähige auf der Erde. Und keiner kam und sagte, dass euer Leben euch gehört, und dass das Gute darin besteht, es zu leben.»
Entwicklungshilfe und soziale Projekte
«Als ersten Schritt auf dem Wege zur Selbstachtung lernt, jede Forderung eines Menschen, ihm zu helfen, als Kennzeichen von Kannibalismus zu betrachten. Wer fordert, beansprucht euer Leben für sich – und so verächtlich ein solcher Anspruch sein mag, es gibt etwas, das noch verächtlicher ist: eure Zustimmung.»
«Können Sie sich vorstellen, wie es wäre, wenn Sie leben und arbeiten müssten und dabei an alle Katastrophen und alle Simulanten auf unserem Planeten gefesselt wären? Arbeiten – und wenn irgendwo jemand versagt, dafür aufkommen zu müssen. Arbeiten – ohne eine Chance aufzusteigen, wobei noch gleichzeitig Ihr Essen, Ihre Kleidung, Ihre Wohnung und Ihr Vergnügen von jedem Schwindel, jeder Hungersnot, jeder Pestilenz irgendwo in der Welt abhängen. Arbeiten – ohne die Chance einer Extraration, ehe nicht die Leute in Kambodscha gesättigt sind und die Patagonier alle das College besucht haben.»
Handel
«Mein Markt? Mein Profit? Ich arbeite hier für den Nutzen, nicht für den Profit – für meinen Nutzen und nicht für den Profit der Plünderer. Nur diejenigen, die mein Leben bereichern, sind mein Markt. Nur diejenigen, die schaffen, nicht diejenigen, die nur verbrauchen, sollten auf dem Markt zugelassen sein. Ich handle nur mit denen, die mir etwas zu bieten haben, und nicht mit denen, die nur etwas haben wollen, und das möglichst umsonst.»
Geld regiert die Welt
«Wenn ich Ihnen das stolzeste Merkmal der Amerikaner nennen soll, dann sage ich – weil es alle anderen enthält: Sie waren das Volk, das den Ausdruck ‹Geld machen› geschaffen hat. Keine andere Sprache oder Nation hat je zuvor dieses Wort gekannt; die Menschen haben Reichtum immer für etwas Statisches gehalten – dessen man sich bemächtigte, das man erbettelte, erbte, teilte, raubte oder als Geschenk erhielt. Die Amerikaner waren die ersten, die begriffen, dass Reichtum geschaffen werden muss. In dem Ausdruck ‹Geld machen› drückt sich das Wesen der menschlichen Moral aus.»
«Wenn Sie nicht begreifen, dass Geld die Wurzel alles Guten ist, gehen Sie ihrer eigenen Zerstörung entgegen. […] Blut, Peitschen und Gewehre – oder Geld. […] Es gibt nichts Drittes.»
Trumps Charakter
«Der Mann, der sich selbst verachtet, versucht, durch sexuelle Abenteuer Selbstachtung zu gewinnen – aber das ist unmöglich, denn das Geschlechtliche ist nicht die Ursache, sondern Wirkung und Ausdruck dessen, was ein Mann unter seinem eigenen Wert versteht.»
«Je höher entwickelt der Verstand, um so weiter vorausschauend die Planung.»
«Nur sage ich nicht, dass ich für das Wohl meiner Leute arbeite, denn ich weiss, ich tue das nicht. Ich weiss, dass ich die armen Teufel der Sklaverei ausliefere und weiter nichts. Und sie wissen es ebenso. Aber sie wissen auch, dass ich ihnen hin und wieder einen Brocken hinwerfen muss, wenn ich die Zügel in der Hand behalten will. […] Und darum, wenn sie sich schon einmal einer Peitsche beugen müssen, ist es ihnen lieber, ich habe sie in der Hand als Sie. […] Ich bin ein Gangster – aber ich weiss es, und meine Leute wissen es, und sie wissen, dass ich dafür zahlen werde.»
Widerstand gegen Trump
«In Kalifornien geht alles drunter und drüber. […] Dort ist ein Bürgerkrieg im Gange – wenn es einer ist, wessen niemand ganz sicher zu sein scheint. Sie haben erklärt, sie wollen von der Union abfallen, doch niemand weiss, wer jetzt die Macht hat. Überall im Staat toben Kämpfe zwischen einer ‹Volkspartei› […] und einer Bande, die sich ‹Zurück zu Gott› nennt.»
«Die volle und schwerste Schuld trifft diejenigen unter euch, die die Fähigkeit besassen, zu sehen und zu erkennen, es aber vorzogen, die Wirklichkeit zu verleugnen, diejenigen, die bereit waren, ihre Intelligenz in die Sklaverei der Gewalt zu verkaufen.»
«Ihr, die ihr verkommen genug seid zu glauben, dass ihr euch der Diktatur eines Mystikers [eines Verführers] anpassen und ihn besänftigen könnt, indem ihr seinen Befehlen gehorcht: Es gibt keine Möglichkeit, ihn zu besänftigen; wenn ihr ihm gehorcht, wird er seine Befehle umkehren; er will Gehorsam um des Gehorsams willen und Zerstörung um der Zerstörung willen. Ihr, die ihr feige genug seid zu glauben, dass ihr euch mit einem Mystiker arrangieren könnt, indem ihr seinen Erpressungen nachgebt: Es gibt keine Möglichkeit, sich von ihm loszukaufen; das Lösegeld, das er verlangt, ist euer Leben.»
Vernunft
«Der Mensch, dessen Werkzeug des Überlebens sein Verstand ist, unterlässt es nicht nur, seinem Kind das Denken beizubringen, sondern weiht die Erziehung des Kindes dem Zweck, sein Gehirn zu zerstören, es davon zu überzeugen, dass Denken nutzlos und böse ist.[…] Die Menschen würden erschauern, wenn sie einen Vogel sähen, der seinen Jungen die Federn ausreisst und sie aus dem Nest wirft. Doch genau das taten sie mit ihren Kindern.»
«Ich bin, also will ich denken.»
«Denken ist die einzige grundlegende Tugend des Menschen. Alle anderen gehen aus ihr hervor.»
Tag der Befreiung
«Alle diese traurigen Volksstaaten auf der ganzen Erde haben nur von den Almosen gelebt, die Sie aus diesem Land herausgepresst haben.»
«Uns aus dem Osten zurückziehen? Ich denke eher, wir sollten uns überlegen, ob wir nicht weiter vorstossen sollten. So wie die Dinge jetzt liegen, kann uns keiner hindern. Wir brauchen nur die Hand auszustrecken – vielleicht nach Mexiko oder Kanada? Das sollte kinderleicht sein.»
«Das politische System, das wir errichten werden, beruht auf einem einzigen moralischen Grundsatz: Kein Mensch darf von einem anderen irgendeinen Wert durch Anwendung physischer Gewalt erlangen. Jeder Mensch wird stehen oder fallen, leben oder sterben nach dem Massstab seines denkenden Verstandes. Wenn er ihn nicht nutzt und fällt, wird er sein einziges Opfer sein. Wenn er fürchtet, dass sein Verstand nicht ausreicht, sein Ziel zu erreichen, wird ihm kein Gewehr gegeben werden, um nachzuhelfen.»
«Wir werden Amerika wieder aufbauen auf den moralischen Grundsätzen, auf denen es errichtet worden war.»
«Wir hatten uns keine Frist gesetzt, als wir begannen. […] Wir wussten nicht, würden wir den Tag der Befreiung der Welt erleben, oder müssten wir unseren Kampf und unser Geheimnis der nächsten Generation überlassen. Wir wussten nur, dass dies das einzige Leben war, das uns lebenswert erschien. Doch jetzt wissen wir, dass wir den Tag unseres Sieges und unserer Rückkehr erleben werden, und zwar bald.»
Jean-Marc Weber ist ehemaliger Sekundarlehrer, Gründungspräsident der Grünen des Bezirks Pfäffikon ZH und ehemaliges Mitglied im Vorstand der Grünen des Kantons Zürich.