- Gemeinderat
«Ausserordentlich wertvoll als Kulturgut»
Vor einer Woche ging es an dieser Stelle unter anderem um die Siedlung Frohburg, ein Wohnbauprojekt der Helvetia, das der Zürcher Gemeinderat ausführlich behandelte. Es gab etliche Zahlen zu notieren, wovon in meinem Bericht leider nicht alle richtig ankamen – hier deshalb nochmals: In der Siedlung Frohburg sollen 120 Zimmer in 36 (nicht 42) Wohneinheiten dem studentischen Wohnen dienen, und die Wohnungen jener knapp 90 (nicht 80) Mietparteien, die vor 2016 einen Vertrag hatten, werden günstiger. Damit zur Sitzung vom vergangenen Mittwoch.
Zum Auftakt begrüsste Ratspräsident Guy Krayenbühl Serra Bucak, die Co-Oberbürgermeisterin der Stadt Diyarbakır. Sie weilte auf Einladung des Brückenschlags Diyarbakır/Amed in Zürich, war bei der Lokalpolitik zu Besuch und richtete nun eine Grussbotschaft an den Rat (siehe auch das Interview mit ihr auf den Seiten 12/13 dieser Ausgabe).
Pogrom gegen Jüd:innen
Kommissionssprecherin Sophie Blaser (AL) stellte sodann ein Geschäft mit Seltenheitswert vor – eines, das der Rat einstimmig verabschieden werde. Es handelt sich um die Umsetzungsvorlage des Stadtrats zu einer dringlichen Motion von Jehuda Spielman (FDP) und Walter Angst (AL, nicht mehr im Rat) und acht Mitunterzeichner:innen, die sie am 6. Juli 2022 eingereicht hatten. Ausserordentlich daran sei, dass Mitglieder aus allen Fraktionen sie gemeinsam eingereicht hätten, betonte Sophie Blaser. Mit der Motion wurde ein Investitions- und Betriebsbeitrag «zur Sicherstellung und Förderung des Museums ‹Schauplatz Brunngasse›» gefordert. Dafür sollten insbesondere Vereinbarungen mit Liegenschaften Zürich getroffen werden, dass die Trägerschaft des Museums die für den Museumsbetrieb benötigten Objekte in der Liegenschaft Brunngasse 8 «dauerhaft nutzen und angemessen umgestalten» könne. Zudem sollten wiederkehrende Mittel gesprochen und dem Gemeinderat zur Beschlussfassung unterbreitet werden.
Zur Begründung ihrer dringlichen Motion hielten Jehuda Spielman und Walter Angst fest, es sei erwiesen, dass es in der Stadt Zürich schon seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts eine jüdische Gemeinschaft gab. Die komplette jüdische Gemeinde inklusive ihres prominenten Rabbiners Moses Ben Menachem sei jedoch im Jahre 1349 bei einem während der damaligen Pestepidemie erfolgten Pogrom vertrieben oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden: «Im Jahre 1436 belegten Bürgermeister und Räte die Zürcher Jüdinnen und Juden mit einem endgültigen Niederlassungsverbot. Bis ins Jahr 1862 durften Personen jüdischen Glaubens keinen festen Wohnsitz in der Stadt Zürich haben. Trotz dieser langen Geschichte gibt es in dieser Stadt bisher kein einziges Museum oder eine besondere Institution, die diese Geschichte erforscht, lehrt und öffentlich zugänglich macht.»
1996 seien bei der Renovation der städtischen Liegenschaft «Zum Brunnenhof» an der Brunngasse 8 mittelalterliche Wandmalereien entdeckt worden, die der Rabbiner Moses Ben Menachem, dessen Mutter Frau Minne und Bruder Mordechai in Auftrag gegeben hätten, schrieben die Motionäre weiter. Die Fragmente dieser «kulturgeschichtlich ausserordentlich bedeutsamen» Wandmalereien wurden restauriert. Eine davon findet sich im Treppenhaus und ist somit relativ einfach zugänglich, weitere sind in einer Wohnung und waren deshalb bis 2020 nur eingeschränkt zu besichtigen. Als die einstige Mieterin altersbedingt auszog, konstituierte sich der Verein Brunngasse 8. Er betreibt seither unter dem Titel «Kleinmuseum für jüdische Malereien» den ins Kulturleitbild der Stadt Zürich aufgenommenen «Schauplatz Brunngasse».
«Im breiten öffentlichen Interesse»
In der am Mittwoch behandelten Umsetzungsvorlage «anerkennt der Stadtrat die Bedeutung dieses einzigartigen Ortes», wie Sophie Blaser betonte. Die Sicherstellung und Vermittlung der Malereien und der Erhalt des Museums seien «im breiten öffentlichen Interesse», heisst es in der Vorlage weiter: «Der Stadtrat ist bereit, die Weiterführung und Optimierung des Museumsbetriebs zu ermöglichen und zu unterstützen.» Die finanziellen Beiträge, die der Stadtrat vorsehe, seien in dessen eigener Kompetenz, fuhr sie fort. Der Rat hatte somit ‹nur› einen Bericht zur Kenntnis zu nehmen. Mit einer separaten Vorlage habe der Gemeinderat bereits 2023 150 000 Franken jährlich gesprochen, fuhr Sophie Blaser fort. Der Stadtrat habe diese Beiträge von 2025–2027 in eigener Kompetenz um 40 000 Franken erhöht, womit sich ein jährlicher Betriebsbeitrag von 190 000 Franken ergibt. Die in der Wohnung entdeckten Malereien seien «ein Zufall, ein Glücksfund, eine Sensation», die es zu schützen gelte. Die Kommission sehe die mit der Motion verlangte langfristige Sicherung als erfüllt an und beantrage dem Rat deshalb einstimmig, dem Bericht sowie der Abschreibung der Motion als erledigt zuzustimmen.
Auch für Schulklassen
Stefan Urech (SVP) befand ebenfalls, es sei «ausserordentlich», dass eine Vorlage eine solch grosse Zustimmung über alle Fraktionen hinweg bekomme. Er verwies aber auch auf die «Wichtigkeit des Schauplatzes in der aktuellen Zeit» – es gehe nicht zuletzt um ein Thema, das in letzter Zeit leider zunehmend zu reden gebe, nämlich den Antisemitismus in Zürich. Jüdische Familien hätten es «nicht einfach», sagte er und fügte an, es sei wichtig, dass auch dieses Museum von Schulklassen besucht werde.
Jehuda Spielman sprach noch von der persönlichen Bedeutung, die dieses Geschäft für ihn habe. Denn nach dem oben erwähnten Pogrom habe das Niederlassungsverbot für Jüd:innen rund 500 Jahre Bestand gehabt. Sein Ur-Urgrossvater sei einer der allerersten jüdischen Menschen, die sich seit dem Pogrom in der Stadt hätten niederlassen dürfen: «Es ist schön, dass ein solches Geschäft so ohne kritische Stimmen durch den Rat geht.»
Stadtpräsidentin Corine Mauch erklärte, die um 1330 entstandenen mittelalterlichen Wandmalereien seien «das Hauptexponat» des Museums. Es sei eines der ältesten Zeugnisse jüdischen Wohnraums im Mittelalter in Europa und deshalb «ausserordentlich wertvoll als Kulturgut». Die Malereien gäben ebenfalls Einblick in ein «zumindest zeitweise» friedliches Zusammenlebens in der Stadt Zürich. Nichtsdestotrotz sei auch die Familie Menachem 1349 von der Vernichtung und Vertreibung der jüdischen Bevölkerung in Zürich betroffen gewesen. Der Stadtrat anerkenne die Bedeutung dieses «einzigartigen» Ortes und wolle die Malereien und den Erhalt des Museums sicherstellen wie auch, dass beides «niederschwellig zugänglich» sei. Mit 116:0 Stimmen nahm der Rat den Bericht zur Kenntnis und schrieb die Motion mit 114:0 Stimmen als erledigt ab.