Ausgleich für wen?

Der Mehrwertausgleich war in den letzten Jahren im Zürcher Gemeinderat so etwas wie ein alter Bekannter, der sich immer mal wieder blicken lässt. Die eine Ratsseite war gut auf ihn zu sprechen, die andere nicht. Die Linken inklusive Grünliberale ermahnten den Stadtrat, dem Kanton Beine zu machen, damit die Planungsgewinne möglichst rasch abgeschöpft werden könnten. Die andere Ratsseite forderte das Gegenteil: Per Postulat verlangten die SVP-, FDP- und CVP-Fraktion vom Stadtrat, «auf eine Voranwendung eines Mehrwertausgleichs, solange eine gesetzliche Grundlage im Kanton Zürich fehlt, auch bei (…) sogenannt freiwilligen Beiträgen zu verzichten». Anlass für diesen Vorstoss bildete der private Gestaltungsplan «Quai Zürich», und der Wunsch der drei Fraktionen wurde nicht erfüllt: Die Zürich Versicherungs-Gesellschaft konnte ihren Konzernhauptsitz am Mythenquai erneuern, verpflichtete sich aber, als Mehrwertausgleich rund acht Millionen Franken an die Aufwertung der Hafenpromenade Enge zu zahlen.

 

Der Mehrwertausgleich ist keine linke Erfindung: Seit dem 1. Mai 2014 sind das revidierte eidgenössische Raumplanungsgesetz und die dazugehörige Verordnung in Kraft. Diesem Gesetz stimmten 71 Prozent der Stimmberechtigten im Kanton Zürich zu. Mit dessen Inkrafttreten haben die Kantone den Auftrag gefasst, innert fünf Jahren den Ausgleich von planungsbedingten Mehr- und Minderwerten zu regeln. Sollte der Kanton nach Ablauf dieser Frist kein solches Regelwerk geschaffen haben, können keine neuen Bauzonen mehr ausgeschieden werden. Allzuviel Zeit bleibt somit nicht mehr. Letzte Woche hat der Regierungsrat immerhin seine Vorlage an den Kantonsrat überwiesen.

 

Dass die Vorlage eher der rechten als der linken Ratsseite passen dürfte, war zu erwarten gewesen, schliesslich haben im Kanton Zürich seit eh und je die Bürgerlichen das Sagen. Doch wie erste Reaktionen zeigen, ist es aus linker Sicht noch um einiges schlimmer herausgekommen, als zu befürchten war. Die SP Kanton Zürich bezeichnet die Vorlage in ihrer Medienmitteilung als «schlechten Scherz der Kantonsregierung». Weiter kritisiert sie, dass der Mehrwertausgleich auf das vom Bund vorgeschriebene Minimum von 20 Prozent beschränkt werden soll – «und nicht nur das: Von diesem mickrigen Betrag beansprucht der Kanton bei Auf- und Umzonungen auch noch einen Teil für sich. Bei Einzonungen will er sogar gleich den gesamten Betrag selber einstreichen».

 

In der Medienmitteilung der AL heisst es, der Entwurf sei «eine eigentliche Zwangsjacke für die Gemeinden» und lasse «jede Flexibilität vermissen». Die AL kommt zum Schluss, dass der «rigide» Gesetzesentwurf «völlig unzureichend auf die planerischen Bedürfnisse namentlich der Städte und Agglomerationsgemeinden» eingehe, die «gemäss Auftrag des Kantons die Hauptlast der baulichen Verdichtung tragen sollen».

 

Auch die Grünen Kanton Zürich stossen ins selbe Horn: «Der Gesetzesentwurf der Regierung zum Mehrwertausgleich taugt nicht. Der Entwurf schafft kaum Anreiz für die Gemeinden zur Verdichtung. Für die fortschrittlichen Gemeinden ist der Gesetzesentwurf sogar ein Rückschritt, da die bisherige Praxis mit städtebaulichen Verträgen eingeschränkt wird.» Die Grünen erinnern auch daran, worum es bei dieser Vorlage eigentlich gehen müsste: «Wenn Gemeinden Planungsmehrwerte schaffen durch Ein-, Um- oder Aufzonung, dann ist ein Grundstück von heute auf morgen mehr wert. Der Mehrwertausgleich soll dazu führen, dass die Gemeinden von diesem Mehrwert finanziell profitieren. Schliesslich tragen sie die kompletten Kosten für die Erweiterung der Infrastruktur.»

 

Oder anders gesagt: Wer über Nacht reicher wird, ohne dafür einen Finger rühren zu müssen, der soll etwas von diesem Reichtum an die Gesellschaft zurückgeben. Mir zumindest leuchtet das ein. Zumal die Mehrwertabgabe erst dann fällig wird, wenn das Grundstück effektiv überbaut oder verkauft wird. Das kann Jahre dauern. Kommt hinzu, dass die Mehrwertabgaben gemäss Gesetzesentwurf des Regierungsrats als «anrechenbare Aufwendungen» anzusehen sind und folglich den Grundstückgewinn schmälern. Die Grundstückgewinnsteuern erheben jedoch die Gemeinden, nicht der Kanton, und sie dürfen den ganzen Ertrag daraus behalten. Wenn es im Entwurf folglich heisst, «erste Grobeinschätzungen (…) zeigen, dass sich die jährlichen Einnahmen der Gemeinden aus der Grundstückgewinnsteuer bei einem Abgabesatz von 20 Prozent um knapp acht Millionen Franken oder im Durchschnitt um weniger als zwei Prozent verringern», dann redet der bürgerlich dominierte Regierungsrat endlich Klartext: Er möchte offensichtlich am liebsten gar keine Mehrwertabgabe. Doch weil ihn der Bund nun mal dazu verknurrt hat, bringt er halt eine Vorlage ganz im Sinne «Hauptsache, der Kanton kassiert». Und betont, dass die Gemeinden ja weiterhin städtebauliche Verträge mit Privaten abschliessen dürfen. Allerdings haben «bisherige kommunale Erhebungsregime» nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes «keinen Raum mehr». Wer also bisher bis zu 50 Prozent herausholen konnte wie etwa die Stadt Zürich für die Hafenpromenade Enge, hat Pech gehabt: In diesem Beispiel lägen künftig nicht mehr acht, sondern nur noch weniger als vier Millionen Franken drin.

 

Richtig hübsch wirds aber, wenn sich der Regierungsrat mit den Auswirkungen des neuen Gesetzes befasst: «Entscheidend wird für Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer die Form des kommunalen Mehrwertausgleichs sein. Wird der Ausgleich über einen städtebaulichen Vertrag geregelt, können die – neben der jedenfalls zu leistenden Abgabe an den kantonalen Fonds – fälligen Mittel für das eigene Grundstück oder in der direkten Umgebung eingesetzt werden.» Aha: Ein Teil der Abgabe, die erhoben wird, wenn ein Grundstück über Nacht und ohne Dazutun des Besitzers mehr wert wird, kann so verwendet werden, dass es besagtem Grundstück zugute kommt. Und «weil der Kanton Zürich über umfangreiche bauliche Reserven im Bestand» verfügt, heisst es in der Vorlage weiter, kann die Zusatznachfrage in erster Linie über eine – abgabefreie, versteht sich – «Beanspruchung dieser Reserven» erfolgen: «Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Umfang der abgabepflichtigen Mehrwerte infolge Auf- und Umzonungen deutlich geringer ausfällt, als gemeinhin angenommen wird.»

 

Kein Wunder, haben die Bürgerlichen keine Medienmitteilungen verschickt. Sie dürften rundum zufrieden sein: Wieder mal hat ihre Regierung eine potenziell mühsame, da auf den Geldbeutel der Vermögenden zielende Idee der Linken elegant gebodigt. Und die Moral von der Geschicht›? Wer hat, dem wird gegeben. Amen.

 

Nicole Soland

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