Aus den Augen, aus dem Sinn?

Die Asylsuchenden, die im «Erlenhof» in Zürich in Quarantäne waren, sind ins Rückkehrzentrum Urdorf zurückgekehrt. Von der Schliessung ihrer unterirdischen Unterkunft will die Sicherheitsdirektion offensichtlich nichts wissen.

 

Die abgewiesenen Asylsuchenden, die positiv auf Covid-19 getestet und deshalb im Pflegezentrum Erlenhof in Zürich in Quarantäne gebracht worden waren, sind wieder im Rückkehrzentrum in der Zivilschutzanlage in Urdorf untergebracht. Dies meldete die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich am Montag. Die Medienmitteilung war in einem sachlichen, neutralen Tonfall abgefasst – ganz anders als die Mitteilung derselben Direktion vom 7. Oktober mit dem Titel «‹Erlenhof›: Polizeipräsenz nötig, damit sich straffällige Asylbewerber an Schutzmassnahmen halten». Bei den Männern vom Erlenhof handle es sich um «abgewiesene, straffällige Asylbewerber», war weiter zu lesen. Sie seien «seit sie in der Schweiz sind wiederholt dadurch aufgefallen, dass sie sich an keine Regeln halten». Und es sei ihnen «offensichtlich egal, sich selber und andere in Gefahr zu bringen und im schlimmsten Fall auch Unbeteiligte anzustecken». Weshalb die Sicherheitsdirektion überhaupt eine Medienmitteilung verschickte, stand erst praktisch am Schluss des Textes: «Zudem kam es heute Vormittag, nachdem zwei abgewiesene Asylbewerber offenbar aus einem Fenster geklettert waren und sich beim Sprung verletzt hatten, zu einem Rettungseinsatz durch Sanität und Polizei. Die Sicherheitsdirektion verurteilt das Verhalten aufs Schärfste.»

Zu jenem Zeitpunkt war noch nicht einmal klar, ob die beiden Männer tatsächlich aus dem Fenster gesprungen waren; das musste die Polizei, wie üblich, erst abklären. Dennoch schaffte es die Sicherheitsdirektion mit ihrer Mitteilung, pauschal allen Bewohnern des Rückkehrzentrums Urdorf zu unterstellen, sie hielten sich an keine Regeln und es sei ihnen egal, andere in Gefahr zu bringen. Der Eindruck, der von dieser Mitteilung im Gedächtnis haften bleibt, ist der: Da wird auf Menschen eingehauen, die verletzt am Boden liegen. Spielt es eine Rolle, ob diese Menschen «straffällig geworden» sind oder nicht, ob sie selber aus dem Fenster sprangen oder nicht? Natürlich nicht. Nachtreten ist für Feiglinge, das macht man einfach nicht.

Ob Sicherheitsdirektor Mario Fehr tatsächlich die Botschaft vermitteln wollte, er sehe das anders? Ob er tatsächlich glaubt, Nachtreten sei ein Kavaliersdelikt, solange es sich bei den Opfern um «abgewiesene, straffällige Asylbewerber» handelt? Am Montag um einen Interviewtermin gebeten, antwortete seine Kommunikationsabteilung freundlich, Regierungsrat Fehr sei «diese Woche nicht verfügbar».

 

Reaktionen

Die Juso forderten den «sofortigen Rücktritt» von Mario Fehr und solidarisierten sich in ihrer Medienmitteilung auch mit den DemonstrantInnen, die am 8. Oktober vor den Erlenhof zogen. Zudem verlangten sie «die permanente Schliessung aller Asylunterkünfte, in denen die menschenwürdige und Corona-konforme Unterbringung von Asylsuchenden nicht gewährleistet ist». Dass die Sicherheitsdirektion letzteres völlig anders sieht, versteht sich von selbst: In der Medienmitteilung vom Montag heisst es, die Zivilschutzunterkunft in Urdorf sei für 180 Personen konzipiert. Sie diene normalerweise der Unterbringung von maximal 80 abgewiesenen Asylbewerbern. Aufgrund der Corona-Pandemie würden zurzeit nur rund 30 Personen dort untergebracht: «Zudem gilt in Allgemeinräumen des Zentrums eine Maskentragpflicht. Das Rückkehrzentrum Urdorf wird von der ORS AG professionell betrieben. Die medizinische Versorgung ist jederzeit sichergestellt.» Wie es angesichts all dieser Massnahmen möglich war, dass sich 16 von 36 Personen mit dem Virus anstecken konnten – dadurch wurde ja die Quarantäne im Erlenhof überhaupt erst nötig –, bleibt offen.

Die SP Kanton Zürich schreibt in ihrer Medienmitteilung vom letzen Freitag denn auch: «Nach dem Covid-19-Ausbruch im Rückkehrzentrum Urdorf und dem Zwischenfall in der Isolations- und Quarantänestation ‹Erlenhof› muss der Regierungsrat Klarheit schaffen, wie es zu diesen Situationen kommen konnte und wie sie künftig verhindert werden können. Die unterirdische Unterkunft in Urdorf muss definitiv geschlossen werden.» Die Partei hält aber auch fest, Schuldzuweisungen und Rücktrittsforderungen seien «erfahrungsgemäss eher selten ein geeignetes Mittel, um einen konkreten Fortschritt zu erreichen».

 

Fragen und Antworten

Bleibt die Frage, weshalb es angesichts der stetigen Abnahme der Anzahl Asylsuchender in den letzten Jahren eine Unterkunft in einem Zivilschutzbunker überhaupt noch braucht. Ein Grund liegt auf der Hand: Asylunterkünfte zu bauen beziehungsweise Liegenschaften zu diesem Zweck umzunutzen, ist ein hartes Business. Egal wie abgelegen sie sind, für prompten Widerstand ist gesorgt. Die frühere SVP-Kantonsrätin Anita Borer reichte am 11. Juli 2011 eine dringliche Anfrage ein, weil sie befürchtete, dass in einer kantonalen Liegenschaft in Wangen-Brüttisellen die MieterInnen rausgeschmissen würden, um Platz für Asylsuchende zu machen. Sie fragte auch, ob «die Möglichkeit einer Unterbringung in Zivilschutzanlagen oder ähnlich freistehenden Bauten geprüft» worden sei. Der Regierungsrat beruhigte sie, es bestehe keine Absicht, die Mietverhältnisse zu kündigen. Und er antwortete, um die Unterbringung von Asylsuchenden und NothilfeempfängerInnen «langfristig sicherstellen und kostengünstig gestalten zu können», brauche es Strukturen, die «dauerhaft oder zumindest über einen längeren Zeitraum» genutzt werden könnten: «Diese Voraussetzung erfüllen insbesondere Zivilschutzanlagen nicht. Sie eignen sich höchstens zur Überbrückung von Unterbringungsengpässen oder für kurze Aufenthaltsdauern und werden in diesem Sinne bereits genutzt». In der Antwort des Regierungsrats auf eine Anfrage von Matthias Hauser, Willy Haderer und Barbara Steinemann (alle SVP) vom 8. November 2010 ist zudem nachzulesen, dass unterirdische Anlagen auch deshalb geschlossen worden seien, weil sie «für das Betreuungspersonal zu unzumutbaren und nicht zu verantwortenden Arbeitsbedingungen führten».

Laura Huonker und Manuel Sahli (beide AL) wollten mit ihrer Anfrage vom 17. Dezember 2018 mit dem Titel «Notunterkünfte ohne Not» hingegen wissen, ob sich der Kanton Zürich dazu verpflichten könnte, «alternativ zu Zivilschutzbunkeranlagen, Container-Siedlungen und heruntergekommenen Häusern Liegenschaften bereitzustellen, die mehr als Mindeststandards erfüllen und zentraler liegen». Der Regierungsrat antwortete kurz und sec: «Bereits heute erfüllen die kantonalen Zentren mehr als nur Mindeststandards. Zudem ist der Kanton Zürich verkehrstechnisch sehr gut erschlossen, sodass alle Unterkünfte mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar sind.»

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