Aufwertung mit fahlem Nachgeschmack
Anfang Monat gab das Bundesamt für Strassen bekannt, dass ab 2017 die geplanten Vorarbeiten für die Einhausung der Autobahn in Schwamendingen beginnen können. Dass die Aufwertung des Quartiers allerdings auch negative Begleiteffekte mit sich bringt, scheint in der Euphorie vergessen zu gehen.
Tobias Urech
Es tut sich etwas beim Projekt Einhausung Schwamendingen. Wie das Bundesamt für Strassen (ASTRA) zu Februarbeginn mitteilt, ist die sogenannte Planungsgenehmigungsverfügung, also eine Baubewilligung auf Bundesebene, rechtskräftig, da die gut anderthalbmonatige Beschwerdefrist ungenutzt verstrichen ist. Mit Erreichen dieses «Meilensteins», so schreibt das ASTRA, könne nun die nächste Etappe in Angriff genommen werden. Die ASTRA-Filiale Winterthur werde sich mit der Stadt und dem Kanton zusammensetzen und die ersten Vorarbeiten ab dem Jahr 2017 und schliesslich die Hauptarbeiten ab 2018/2019 genauer besprechen. Mit dem Bau der Autobahneinhausung kommt es auch zu dauernden und vorübergehenden Landabtretungen. Laut ASTRA betreffen die Landabtretungen 31 GrundeigentümerInnen, die bereits zu einem früheren Zeitpunkt in die Planung miteinbezogen wurden. Das vorübergehend abgetretene Land umfasse über 70 000 Quadratmeter, das dauerhaft abgetretene rund 17 500 Quadratmeter. Letztere werden unter anderem für öffentliche Zugangswege zum sogenannten Überlandpark auf der Einhausung in Anspruch genommen. Auf Anfrage erklärt Karin Unkrig, Mediensprecherin der Infrastrukturfiliale Winterthur des ASTRA, zudem, was es mit den Vorarbeiten auf sich hat: «Es handelt sich dabei um bauliche Massnahmen wie vorgängig vereinbarte Häuserabbrüche, Anpassungen an untergeordneten Strassen und Mittelstreifenüberfahrten.»
Rückblick
Und tatsächlich: An der Tulpenstrasse wird in diesen Tagen das Gebäude der Carosseriewerke Hänni abgerissen, nachdem der Betrieb 2014 nach 83jährigem Bestehen bereits eingestellt worden ist. Die Carosserie fand in den Dreissigerjahren ihren Platz noch an der damaligen Überlandstrasse, die erst in den 1960er-Jahren zu einer Nationalstrasse und schliesslich in den 1980er-Jahren zu einem Autobahnzubringer ausgebaut wurde. Der Bau dieser Strasse, auf der durchschnittlich täglich 110 000 Fahrzeuge rollen (ein Vergleich aus aktuellem Anlass: Am Gotthard sind es knapp 17 000), trennte die beiden Wohnquartiere Schwamendingen-Mitte und Saateln. Ironie des Ganzen: Schwamendingen war ursprünglich als ruhige Gartenstadt geplant und wird heute von Lärm- und Schadstoffemissionen geplagt, die über dem zulässigen Grenzwert liegen. Genau aus diesem Grund reichten AnwohnerInnen im März 1999 eine Volksinitiative ein, in dem sie die Überdeckung dieses Autobahnabschnitts fordern. Der Kantonsrat beauftragte schliesslich im Jahr 2001 den Regierungsrat, zusammen mit dem ASTRA, dem Kanton und der Stadt eine Kreditvorlage für eine Einhausung zu erarbeiten. Daraufhin wurden drei verschiedene Architekturteams beauftragt, einen städtebaulichen Lösungsansatz zu erarbeiten, wovon sich der Vorschlag einer Einhausung gegen die beiden anderen Projektskizzen Tunnel und Brücke durchsetzte – im Jahr 2004 entschied sich der Regierungsrat für diese Variante. Nach etlichen politischen Wirren und Abschluss der Finanzierungssicherung begann 2011 dann das Ausführungsprojekt.
Ausblick
So weit so gut. Das Quartier wird nun also aufgewertet. Allseits gibt man sich zufrieden mit dieser guten Lösung – so steht beispielsweise auf der Website zur Einhausung: «Die Einhausung verhilft zu neuer Wohn- und Lebensqualität.» Doch die kritischen Fragen danach, wer von den heutigen AnwohnerInnen von diesem städtebaulichen Projekt, das seinesgleichen sucht, profitieren soll, scheinen unterzugehen. Schwamendingen, bekannt als Hochburg von genossenschaftlichen Wohnungen, bietet im teuren Zürich mit günstigen Kostenmieten Platz für ärmere Bevölkerungsschichten. Dass die Mietzinse mit der verbesserten Wohnqualität steigen werden, ist nur logisch. Hierfür seien zwei Beispiele genannt: Die Siedlung Tulpenweg der Baugenossenschaft Süd-Ost und das Grundstück der Carosserie Hänni. Die Siedlung Tulpenweg, gleich gegenüber der Carosserie, soll mit Baubeginn der Einhausung abgerissen und durch mehrere Neubauten ersetzt werden. Auf Nachfrage hin gibt man sich bei der Baugenossenschaft Süd-Ost wenig erfreut über die Frage nach steigenden Mietpreisen und verweist darauf, dass man wegen der unsicheren Planung des ASTRA momentan noch kein konkretes Projekt zur Hand habe und auch keine Auskunft über allfällige Mietpreise geben könne. Was aber feststeht: Mit einem Ersatzneubau wird sich die Kostenmiete, die heute im Bereich von günstigen 900 Franken für dreieinhalb Zimmer liegt, wesentlich erhöhen. Von den jetzigen BewohnerInnen – vor allem MigrantInnen und Studierende – wird sich nachher wohl kaum jemand noch eine Wohnung an diesem Standort leisten können. Während am Tulpenweg wenigstens genossenschaftliche Wohnungen entstehen, wird auf dem Grundstück der ehemaligen Carosserie Hänni nach Abschluss der Einhausung ein Mehrfamilienhaus mit Wohnungen im mittleren Preissegment gebaut. Über die negative Auswirkung der Aufwertung scheint niemand so recht reden zu wollen, dabei wäre es genau jetzt wichtig, die Frage zu stellen, wohin die ehemaligen BewohnerInnen aufgewerteter Quartiere umziehen sollen.