Aufs Leben warten
Wenn Gardi Hutter tatsächlich Ernst machen sollte mit ihrem Rückzug aufs Altenteil wäre mit Céline Rey und David Melendy alias «Les Diptik» bereits ein Clownduo am Start, um die Fussstapfen auszufüllen.
Noch ist es dunkel im Kellertheater Winterthur, aber die Comedian Harmonists tönen mit «Tea for Two» sowohl das Stück dominierende musikalische Thema («Un accordéon peut en cacher un autre» von Michel Besson) wie auch die finale Entwicklung der folgenden, höchstvergnüglichen Warterei auf das Leben an. Oben links an einer Garderobenstange prangt ein Lautsprecher, der hauptsächlich eine Endlosschlaufe spricht: «Sie warten auf ihre Wiedergeburt. Wir bitten um etwas Geduld.» Natürlich ist genau das die menschliche Regung, die so überhaupt nicht dem quirligen Naturell von Garlic (Céline Rey) entspricht, die da wie ein vergessenes Kleidungsstück am Haken hängt. Zum Glück hat sie die Fähigkeit, jederzeit für eine unbestimmte Dauer einzuschlafen, wofür sie sich in ihren hängenden Mantel einrollt, als würde dieser wie ein leeres Stück Stoff von der Stange hängen. Das kann ihr Partner Dangle (David Melendy), der klassische traurig angelegte Pierrot mit dem Hang zum bedeutungsschwer-melancholischen Poeten, rein von seiner körperlichen Ausdehnung her schon nicht. Seine Füsse – das wird der Fitnesstest zeigen – können bei ausreichender Anstrengung schon bis zur unteren Garderobenstange hinabreichen. Da hängen sie also. In ihrem ersten Bühnenprogramm «Hang up» (Regie: Marjolaine Minot) und sinnieren mehrsprachig (deutsch/französisch/englisch) über so ein Dasein im Zwischenraum. Garlic sammelt fieberhaft unmögliche Wünsche, weil ihr Einfallsreichtum aber – natürlich – weit hinter dem des grossen Denkers zurückliegt, kauft sie diese häufiger von Dangle ab, womit sie bereits eine ansehnliche Schuldsumme angesammelt hat, die sie im nächsten Leben, wenns wieder Geld gibt, gaaanz sicher wieder zurückzuzahlen vor hat. «Sich selber auf den Mund küssen» und «als Stein flüssig werden» sind so unmögliche Wünsche. Der Denker seinerseits wird in seinem grossen Wurf einer weltverändernden Poesiesuche, die mit «To Be» beginnt, ständig von Garlics Wuselwesen gestört. Das könnte er ja noch zu ignorieren versuchen, weil er sie mit seinen physischen Ausdehnungen mit einer Handbewegung ganz in die Ecke der Stange schieben kann. Aber wenn sie auf einer Musikdose seine allerschlechteste Komposition in allen unmöglichen Tempi zu spielen beginnt («Ode an die Freude»), ists mit dem Ignorieren aus. Denn wer wird schon gerne dauernd an seine Missetaten erinnert? Also: Weiterdichten. Zuhilfe kommt ihm ein sehr langgezogener, fast schon geseufzter, langer Ton, und als er dann endlich die Quadratur des Kreises vollendet hat – Zack – fallen die zwei zu Boden und der Lautsprecher gibt ihnen exakt 23 Minuten Zeit, aus dem 3576 Seiten dicken Buch der Leben eins für sich auszusuchen. Gegenüber früheren Gelegenheiten monieren sie, die Menschen würden einen immer grösser werdenden Anteil dieser Auswahl ausmachen, wo doch beispielsweise so ein Baum viel eher zum absoluten Nonplusultra tauge. «Hang up» ist artistisch hervorragend, dramaturgisch immer wieder überraschend und inhaltlich verblüffend weltläufig hintersinnig. Die rund siebzig Minuten vorgeführtes Nachdenken über das Leben alias überhaupt einen Sinn verfliegen viel zu rasch, um mit dem Wegwischen der Tränen nachzukommen. Da hat das Kellertheater Winterthur eine Perle aus den Tiefen der Bühnenkunst gefördert, die notabene vor fünf Jahren schon eine Saison lang das Publikum des Zirkus Monti begeistert hat. Ihr zweites Programm hat eben erst das Licht der Welt erblickt und wird aller Voraussicht nach hier wieder für Heiterkeit sorgen.
Les Diptik: «Hang up», 18.11., Kellertheater, Winterthur. Tourdaten: Mo, 28.1.19, Theater am Hechtplatz, Zürich. Fr, 15.3.19, Zwicky-Fabrik, Fällanden. Sa, 16.3., Sternenkeller, Rüti. www.lesdiptik.com