Auf in die zweite Runde

Der Appetit kommt mit dem Essen: Erst hatte die SP Winterthur keine Kandidatur fürs Stadtpräsidium vorgesehen. Dann kam der 4. März, die SP legte im Gemeinderat zu, Christa Meier wurde neu in den Stadtrat gewählt, und Finanzvorsteherin Yvonne Beutler machte das beste Resultat aller StadträtInnen. Auf der anderen Seite schnitt der amtierende Stadtpräsident Michael Künzle von der CVP bei den Stadtratswahlen schlecht ab. Dass er bei der Stadtpräsidiumswahl das absolute Mehr verfehlte, ist zwar angesichts von zwei Herausforderinnen kein Beinbruch. Doch da nur Christa Meier bei der Präsidiumswahl ähnlich gut abschnitt wie bei der Wahl in den Stadtrat, während dies der Grünliberalen Annetta Steiner nicht gelang, hätte für Künzle als amtierender Stadtpräsident mindestens eine bessere Ausgangslage für den zweiten Wahlgang herausschauen müssen.

 

So hingegen erstaunt es nicht, dass sich die SP erneut daran macht, ihn vom Thron zu stossen, dieses Mal allerdings mit Yvonne Beutler. In seinem Kommentar im ‹Landboten› vom 9. März schreibt Marc Leutenegger, ihre Kandidatur habe einen «fahlen Beigeschmack», da ihre Bereitschaft anzutreten erst mit der Aussicht auf Erfolg gewachsen sei. Vor den Wahlen habe sie «eine Kandidatur ums Präsidium gegen internen Druck noch abgelehnt und damit das chaotische Vorgehen der SP mitausgelöst». Christa Meier hingegen habe die Interessen der Partei stets über die eigenen Ambitionen gestellt.

 

Das kann man natürlich so sehen. Nur: Leutenegger schreibt auch, gewonnen sei das Rennen für die SP noch lange nicht, «am 15. April wird nicht über die Billag-Gebühren abgestimmt – mit offenen Konsequenzen für die Mobilisierung». Damit erklärt er selber, weshalb solche Rochaden manchmal eine gute Idee sind: Die Stadträtin, die mit dem besten Resultat wiedergewählt wurde, ist angesichts der Ausgangslage – zweiter Wahlgang und die Möglichkeit, dass erstmals eine Frau Stadtpräsidentin von Winterthur wird – die logische Wahl. Zumal Christa Meier keineswegs den Eindruck macht, als würde sie mit ihrem Verzicht auf eine erneute Präsidiumskandidatur ihre eigenen Interessen hintanstellen, ja sich gar für die Partei aufopfern.

 

Gute Aussichten aufs Stadtpräsidium hat auch Markus Bärtschiger in Schlieren. Seine Kontrahentin Manuela Stiefel (FDP) erzielte bei der Präsidiumswahl mit 977 Stimmen 160 mehr als der SP-Mann, doch auch sie verpasste das absolute Mehr von 1073 Stimmen. Und obwohl sie im Vorfeld von SVP, FDP, CVP und EVP unterstützt worden war, nahm sie sich nach der ersten Runde überraschend aus dem Rennen, wie die ‹Limmattaler Zeitung› letzte Woche berichtete: Stiefel wolle Finanz- und Liegenschaftsvorsteherin bleiben. Auf die Teilnahme am zweiten Wahlgang vom 10. Juni verzichte sie «wegen den Resultaten aus dem ersten Wahlgang und wenig Unterstützung aus der Wirtschaft». Über 500 Personen hatten sie zwar zur Stadträtin gewählt, nicht aber zur Stadtpräsidentin. Da zur Präsidiumswahl bekanntlich nur gewählte StadträtInnen antreten können, ist noch offen, wen die Bürgerlichen allenfalls nachnominieren oder ob gar der neu gewählte Grünliberale Andreas Kriesi Lust auf mehr bekommt. Man darf gespannt sein.

 

Ebenfalls noch zu haben ist das Stadtpräsidium in Dietikon. Hier schaffte es Anton Kiwic von der SP zwar in den Stadtrat, doch bei der Präsidiumswahl schwang Roger Bachmann von der SVP mit 1384 Stimmen obenaus, während Kiwic 882 und Heinz Illi (EVP) 790 Stimmen machten – wobei letzterer mit dem drittbesten Resultat in den Stadtrat gewählt worden war, Neuling Kiwic hingegen mit dem schlechtesten. Damit ist klar, dass für Mitte-Links möglicherweise etwas zu holen wäre – aber nur, falls man sich auf einen Kandidaten einigt und diesen dann auch beide Seiten voll unterstützen. Die gleich nach dem Wahltag geführten Gespräche zwischen der SP und der EVP seien gescheitert, meldete allerdings die Online-Ausgabe der ‹Limmattaler Zeitung› am letzten Freitag; die erneute Kandidatur von Kiwic habe die SP-Parteiversammlung unterdessen einstimmig beschlossen. Kiwic wird wie folgt zitiert: «Die SP war in Dietikon in den vergangenen 30 Jahren oft der Schuhlöffel der bürgerlichen Parteien. Und ohne Gegenleistung wollen unsere Mitglieder das wohl nicht mehr.» Und weiter: «Offenbar hatte man bei der EVP das Gefühl, dass ich für Mitte-Wähler als Linker nicht wählbar sei, obwohl ich ja am rechten Rand der SP politisiere.» Fortsetzung folgt…

 

Die einen hatten am 4. März Grund zum Feiern, den anderen blieb nichts anderes übrig, als selbstkritisch in sich zu gehen. Das tat die FDP, und man staunt, was dabei herausgekommen ist. Gemäss der NZZ vom letzten Freitag haben die Freisinnigen unterdessen erkannt, dass die Linken in den Städten seit den 1990er-Jahren «im Trend» sind. Als Reaktion darauf haben sie nun parteiintern das Projekt «FDP Urban» gestartet, an dem sich die freisinnigen Stadtparteien von Zürich, Genf, Lausanne, Bern, Winterthur, Basel, St. Gallen und Luzern beteiligen. «Sie wollen sich in Zukunft häufiger austauschen und enger zusammenarbeiten. Im Herbst sollen die Ideen an einem Städtetag in Zürich gebündelt werden», schreibt die NZZ. Und die urbanen Freisinnigen wollen – mutig, mutig! – sogar Themen beackern, hinter denen sie bislang ausschliesslich «linke Ideologie» zu wittern schienen. Zum Beispiel «Entflechtung der Verkehrsströme, verdichtetes Wohnen, Minergie-Standards, Angebote für die Kreativwirtschaft (…)». Also Themen, die «auch im Schwerpunktprogramm des rot-grünen Zürcher Stadtrats propagiert» würden. Doch «anders als die Linke, die vor allem auf den Staat setzt, wollen die freisinnigen Stadtparteien gezielt nach liberalen Lösungen suchen». Man darf gespannt sein, was dabei herausschaut – wobei es selbstverständlich nicht verboten ist, gescheiter zu werden.

 

Auch die CVP macht sich Gedanken über ihre Zukunft. Nachdem die Partei in Zürich aus dem Gemeinderat geflogen ist und ihren letzten Stadtratssitz nicht verteidigen konnte, waren gute Ideen gefragt. Der rechte Flügel des Präsidenten der CVP Schweiz, Gerhard Pfister, scheint in den Städten jedenfalls kaum mehr Anklang zu finden. Deshalb will die CVP nun ihren linken Flügel neu formieren, wie die NZZ am Montag schrieb: Der traditionelle christlich-soziale (CSP-) Flügel soll sich unter dem neuen Namen «Christlich-Soziale Vereinigung (CSV)» am linken Rand der CVP positionieren. Ob das Experiment gelingt, wird sich weisen. Immerhin scheint sich die CVP endlich daran zu erinnern, wofür das «C» in ihrem Namen steht. Das ist doch mal ein Anfang.

 

Nicole Soland

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