Auf der Rinderalp der Flachländler

Eine Genossenschaft, zu der auch ein SVP-Mann wie Regierungsrat Ernst Stocker nicht die geringsten Berührungsängste kennt, und eine Alp, die nicht Berglern, sondern Unterländern vom Zürichsee gehört: Ein Augenschein auf der Sömmerungsweide der Alpgenossenschaft Wädenswil hoch über dem Sihlsee im Kanton Schwyz.

 

Arthur Schäppi

Auf dem Soziussitz des Quad rumpelt es wie in einem Schüttelbecher. Die Fahrt geht auf holpriger weiss-rot-weiss markierter Bergroute durchs wildromantische Chilentobel ob Euthal am Sihlsee. Der Weg ist teilweise in Felswände gesprengt, führt gefährlich nahe an schwindelerregenden Abgründen vorbei. Am Steuer sitzt Ueli Rusterholz (73), gelernter Landwirt aus Wädenswil und pensionierter Gartenbauer mit einstmals eigenem Geschäft und seit 21 Jahren Präsident der Alpgenossenschaft Wädenswil. Hier, mitten in der Innerschweiz zwischen Sihlsee und Chli Aubrig, besitzen Unterländer Bauern aus der Stadt Wädenswil am Zürichsee seit nunmehr 91 Jahren Grund und Boden: die Rinderalp Vorder Chrummflue, die sich auf einer Fläche von 42 Hektaren von der Alphütte auf 1150 Metern ü. M. den steilen Hang hinauf bis auf eine Höhe von 1450 Metern erstreckt. 32 Hektaren davon sind Weideland, 10 Hektaren Bergwald. 22 Genossenschafter, darunter noch acht aktive Bauern, halten je einen Anteilschein von 2000 Franken. Mitglieder sind etwa auch SVP-Regierungsrat und Meisterlandwirt Ernst Stocker und sein Sohn Adrian, der heute den Hof der Stockers in Wädenswil bewirtschaftet. 

 

Züribieter unter Beobachtung

In der Chrummflue werden wir erst von Christian Rizzi (68), einem Bündner, der das Älplern seit Kindsbeinen kennt und hier die 11. Saison als Hirt verbringt, mit Pulverkaffee empfangen – und weiter oben dann auch noch vom Glockengebimmel einer munteren  Rinderherde. Ab Anfang Juni bis Mitte September in dieser Wädenswiler Ferienkolonie der besonderen Art weiden 56 Rinder und drei Mutterkühe mit ihren vier Kälbchen – allesamt gehören sie Wädenswiler Bauern. «Wir sind damit am Nutzungslimit der Alp – mehr Tiere wären nicht erlaubt», erklärt Rusterholz. «Die Rinder sind für die Aufzucht bestimmt und bekommen im steilen Gelände und an der Bergluft einen robusten Körperbau und werden widerstandsfähiger gegen Krankheiten», erklärt Rizzi.

Und für ihre Besitzer im Unterland habe die Alpsömmerung quasi den Effekt einer willkommenen «Betriebsvergrösserung», ergänzt Ueli Rusterholz. Der Genossenschaftspräsident im Rentenalter leistet auf der Alp von April bis Oktober wöchentlich an ein bis zwei Tagen Fronarbeit, hilft dem Hirt bei der Weidepflege, beim Zäunen, Heuen und Holzspalten und versorgt ihn auch regelmässig mit Lebensmitteln. «Ohne die Unterstützung von Ueli sowie gelegentlich auch von andern Genossenschaftern, wäre die Arbeit gar nicht zu bewältigen», meint Christian Rizzi. «Wir können es gut miteinander – und man lässt mich hier sehr selbstständig arbeiten», lobt der Älpler seine Arbeitgeber aus der Agglomeration Zürich. Von den Einheimischen aber wird die Alp der Züribieter mit der vom Hirt gehissten Bündnerfahne genau beobachtet, weiss Rizzi.

 

Vermächtnis bewahren

Die Genossenschaftsalp erfülle noch immer ihren Zweck und finanziell komme man «gerade eben raus», sagt Rusterholz. Mit Herzblut und Erfolg hatte er 1998 für einen Neubau der baufällig gewordenen Alphütte gekämpft – und gegen Mitglieder, «die aus Angst vor einer Überschuldung lieber verkauft hätten». Das damalige Festhalten an der Genossenschaftsalp und die anschliessende Übernahme des Präsidiums hat Rusterholz nie bereut: «Die Chrummflue ist ein Vermächtnis unserer Vorfahren, das es zum Nutzen und zur Freude von heutigen und künftigen Generationen unbedingt zu pflegen und zu erhalten gilt», ist der oberste Alpgenossenschafter denn auch überzeugt.

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