Das ehemalige Rieter- und heutige «Vitus»-Areal in Winterthur Töss: beinahe so gross wie die Winterthurer Altstadt. (Bild Nadia Pettannice/De Tössemer)

Areal-Entwicklung an der Stadt vorbei?

Rund 130 000 Quadratmeter Fläche umfasst das Areal, auf dem einst ein Dominikanerinnen-Kloster stand und seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Maschinenfabrik Rieter ihre Textilmaschinen baute. Heute gehört es grossenteils der Immobilienfirma Allreal, die kürzlich ihre Pläne für die weitere Entwicklung vorgestellt hat. Neu heisst das Areal Vitus-Areal und dank der letzten Bauzonenrevision kann die heute genutzte Fläche auf dem Areal ohne Gestaltungsplan faktisch verdoppelt werden – damit fehlt ein wichtiges Instrument für eine Mitsprache der Stadt bei der zukünftigen Planung.

Dass dem ehemaligen Rieter- und heutigen Vitus-Areal eine grosse Bedeutung bei der zukünftigen Entwicklung Winterthurs zukommt, ist vermutlich der einzige gemeinsame Nenner der vielen Interessen, die sich am Areal treffen. Heute eher peripher am Ausgang der Stadt gelegen, könnte es in wenigen Jahren den Kern eines der grössten Stadtentwicklungsgebiete der Schweiz bilden: Falls die Autobahn A 1 in den Berg verlegt wird – aktuell wird ein entsprechendes Projekt durch das Bundesamt für Strassenbau geprüft – und der Masterplan «Winterthur-Süd» umgesetzt werden kann. Aber nicht erst seit diese Idee in den letzten 4 Jahren immer realistischer wurde, war das Rieter-Areal ein ständiges Thema in den Diskussionen um die Stadtentwicklung Winterthurs. Nachdem mit der «Lokstadt» im Tössfeld und in Neu-Hegi die ehemaligen Sulzer-Areale weitgehend geplant und grossenteils definitiv umgenutzt wurden, bildet das Gelände der Textilmaschinenfabrik das letzte grosse Industrieareal Winterthurs. Schon seit über 20 Jahren zeichnete sich ab, dass die Produktion von Textilmaschinen in Töss keine Zukunft hat. Ab 2013 wurde die Produktion von Textilmaschinen abgebaut und es verblieb noch die Montage. 2016 entschloss sich Rieter, die eigenen Tätigkeiten am Westrand des Areals in einem Neubau zu bündeln, der inzwischen auch fertiggestellt ist. Nach wie vor ist die Forschung und Entwicklung des Konzerns dort angesiedelt. 2020 jedoch wurde auch die Montage eingestellt. In der ganzen Zeit war die Umnutzung des Areals sowohl im Winterthurer Parlament wie auch in der sogenannten Töss-Lobby ein Thema. Dieser Zusammenschluss von Vereinen aus dem Stadtteil war 2004 aus einem partizipativen Stadtentwicklungsprozess hervorgegangen und fungiert seither als Ansprechgremium für die Stadtverwaltung. Auch die SP Töss hat im Zusammenhang mit dem Rieter-Areal verschiedentlich Fragen aufgeworfen. In der Regel kamen auf entsprechende Vorstösse relativ unverbindliche Rückmeldungen von Stadtpräsident Mike Künzle, etwa in der Art, «man führe konstruktive Gespräche». In Beantwortung eines parlamentarischen Vorstosses von SP-Stadtparlamentarier Freddy Künzler hiess es 2022, dass man mit Rieter ein gemeinsames «Zielbild» für das Areal entwickle, und dass «noch nicht möglich sei, eine Einschätzung zum Bedarf an öffentlichen Infrastrukturen vorzunehmen».

Allreal übernimmt

Diese Aussagen wurden dann im Sommer 2023 überholt: Rieter und die Immobilienunternehmung Allreal gaben bekannt, dass letztere einen grossen Teil des Areals von Rieter zum Preis von 96 Millionen Franken übernehme. Ein Teil des Geländes wurde vom Konzern zur Rieter-Stiftung transferiert. «Wir haben rund 70 000 Quadratmeter Nutzfläche in bestehenden Gebäuden, zudem könnten wir gemäss der aktuellen Zonierung auf den Freiflächen oder durch Aufstockungen nochmals rund 70 000 Quadratmeter errichten», sagt der Areal-Entwickler Thorsten Eberle, der bei Allreal für die Entwicklung des Areals zuständig ist, in der neuesten Ausgabe der Quartierzeitung ‹De Tössemer›. In einem ersten Schritt soll das Areal für die Bevölkerung geöffnet werden, mit Pop-up-Läden und Events mehr Leben hineingebracht werden. Die grossen versiegelten Flächen sollen teilweise entsiegelt und begrünt werden. «Wir haben es nicht eilig», sagt Eberle. Viele Mieter:innen – u.a. Start-ups, ein Logistikunternehmen, ein Unternehmen für Pet-Flaschen-Maschinen oder Sulzer Chem-Tech und auch die ETH Zürich hätten mittelfristige Mietverträge. Kein Thema sei im Moment, auf dem Areal Wohnungen zu bauen: «Dazu wäre eine Umzonung respektive ein Gestaltungsplan notwendig. Wir haben aber mit der bestehenden Zonierung noch grossen Spielraum, sodass dies im Moment nicht zur Diskussion steht.»

Öffentliche Nutzungen kein Thema?

Kein Thema sind gemäss Eberle aktuell öffentliche Nutzungen. «Allreal ist grundsätzlich offen, für solche Nutzungen, konkret hatten wir bisher aber ausser der Anfrage von Stadtbus für ein neues Busdepot keine Anfrage der Stadt», hält Eberle fest. Im Stadtteil hingegen wurden seit Jahren Bedürfnisse diskutiert – etwa Sporthallen, Raum für Schulen und die schulexterne Betreuung. Zudem liegt am Rande des Areals ein ehemaliges Unterwerk, das der Stadt gehört. Auch dieses Unterwerk sei aber im Moment kein Gesprächsthema. SP-Stadtparlamentarier Selim Gefeller hat auf die Pläne von Allreal reagiert. Mit einem Vorstoss will er den Stadtrat endlich aus der Reserve holen und Klartext zu den Absichten und den Aktivitäten der Stadt im Zusammenhang mit dem Areal.