- Gedanken zur Woche
Apokalypse now?
«Schluss mit der Apokalypse» fordert Andreas Tobler im ‹Tages-Anzeiger›. Seit Amtsantritt von Donald Trump würden von links wie von rechts schrille Töne angeschlagen: «Links wird angesichts des Aufstiegs von Trump und seinem Berater Elon Musk sowie der Umfrage- und Wahlerfolge europäischer Rechtspopulisten in einem penetranten apokalyptischen Ton vor dem Faschismus gewarnt. Auf der rechten Seite des politischen Spektrums paaren sich Allmachtsfantasien mit Rachegelüsten.» Das sei beides ärgerlich und töricht. Tobler plädiert für kühle Köpfe, kluge Argumente sowie eine vernünftige Sachpolitik. Nun ist dagegen nichts einwenden, nur ist das in der Politik selten Realität und das war auch schon vor Trump so.
Auf die Gefahr hin, Toblers These der apokalyptischen Linken zu entsprechen, scheint mir doch, dass in den letzten Wochen etwas ins Rutschen gekommen ist, dass lange vermeintlich solid gewesen ist. Die NZZ oder mindestens ihre deutsche Redaktion flirtet nun schon seit geraumer Zeit mit Rechtsaussen. Früher wurde aber mindestens noch vordergründig so getan, als sei es letztlich eine Strategiefrage. Dass eine Ausgrenzung kontraproduktiv sei und die Rechten nur stärke, statt sie zu schwächen. Nachdem die Brandmauer einigermassen sturmreif geschossen wurde, kann man offenbar auch auf Abgrenzungen verzichten. «Wenn also Donald Trump seine Wahlniederlage im Jahr 2020 leugnet und die Urheber des Sturms aufs Capitol begnadigt, muss er bekämpft werden. Wenn Friedrich Merz im Parlament mit der AfD zusammenarbeitet, muss er bekämpft werden. Denn sonst öffnet sich das ‹Tor zur Hölle›, und in Deutschland breiten sich ‹Chaos und Unordnung› aus. Die Empörung der Demokraten in den USA und der rot-grünen Restregierung in Deutschland hat jedoch einen Haken. Damit sie glaubwürdig wäre, müsste es einen neutralen Schiedsrichter geben, der objektiv feststellt, wann die Demokratie gefährdet ist», schreibt NZZ-Chefredaktor Eric Gujer in seinem Leitartikel «Die hysterische Republik». Dieser Logik zufolge ist es letztlich bloss eine linke Meinung, dass Donald Trump 2020 seine Wahlniederlage leugnete und dass ein Mob als Reaktion darauf am 6. Januar 2021 das Kapitol stürmte. Und wenn es sich so zugetragen hätte, so ist es doch nur eine Meinung, dass es die Demokratie gefährden könnte, wenn man seine Wahlniederlage nicht akzeptiert. Ich ging bis jetzt naiverweise davon aus, dass dies ein demokratischer Grundkonsens wäre.
US-Vizepräsident J.D. Vance, der einmal darüber sinnierte, ob Trump Amerikas Hitler werden könnte (er meinte das negativ), hielt an der Münchner Sicherheitskonferenz eine Rede, in der er die Gefahren für die Demokratie nicht etwa bei den autokratischen Regime in China oder Russland ortete, sondern bei den europäischen Ländern, weil die es sich erfrechten, die Sozialen Medien regulieren zu wollen. Das sei eine Gefahr für die Meinungsfreiheit, eine Abkehr der gemeinsamen Werte. Auch ganz schlecht sei es, Brandmauern zu errichten. Und darum traf er sich auch mit AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel, aber nicht mit dem noch amtierenden SPD-Kanzler Olaf Scholz. Nun ist es einigermassen ironisch, von Meinungsfreiheit zu sprechen, wenn man einer Administration angehört, die gerade ihren Ministerien untersagt, gewisse Worte wie «Frauen», «Gleichheit» oder «Vielfalt» zu verwenden oder Kinderbücher über Mädchen mit Sommersprossen verbietet, wie das Jacqueline Badran im Tele-Züri «SonnTalk» treffend zerpflückte. Meinungsfreiheit für mich, aber nicht für dich.
Nationalrätin Meret Schneider (Grüne) konnte eben erst hautnah die Segen der Vance’schen Meinungsfreiheit erleben. Sie hatte der ‹Sonntags-Zeitung› gegenüber zur Auskunft gegeben, dass sie eine Regulierung der Sozialen Medien befürwortet. Schneider geriet daraufhin ins Visier einiger Desinformationsschleudern und geriet in einen Shitstorm von Bedrohungen und Beschimpfungen, auch aus Amerika und Russland.
«Ebenso problematisch ist aber der apokalyptische Ton von links, mit dem vor einem aufziehenden Faschismus gewarnt wird. (…) Faschismus herrscht, wenn organisierte Schlägerbanden Menschen auf den Strassen an Leib und Leben bedrohen. Dafür gibt es bisher weder in Westeuropa noch in den USA Anzeichen», schreibt Andreas Tobler weiter. Tatsächlich kann man es wohl als zivilisatorischen Fortschritt werten, dass die Schlägertrupps heutzutage virtuell unterwegs sind.
«Sehr schweizerisch» sei die Rede von J.D. Vance gewesen, findet derweil Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (FDP), ein «Plädoyer für die direkte Demokratie». Nach einiger Kritik kam die Relativierung. Das habe sich nicht auf die gesamte Rede bezogen, sondern nur auf einen Teil. Bloss «ein Sturm im Wasserglas», wie dies FDP-Präsident Thierry Burkart meinte? Nun könnte man bei anderen Bundesräten diese Aussagen vielleicht mit schlechten Englischkenntnissen erklären oder mit mangelndem Wissen. Nur ist Karin Keller-Sutter dafür zu klug.
Pascal Couchepin, ehemaliger FDP-Bundesrat meinte, dass Karin Keller-Sutter zwar eine gute Bundesrätin sei, aber keine Ahnung habe von liberaler Philosophie: ««Liberalismus ist mehr als eine Wirtschaftsdoktrin. Liberalismus denkt langfristig, schätzt den Wert von Institutionen, wirft nicht von heute auf morgen alles über den Haufen oder droht mit Zöllen.» Cédric Wermuth, Co-Präsident der SP Schweiz lässt das nicht gelten, wie er auf der Twitter-Alternative Bluesky schreibt: «Ich befürchte ja, im Liberalismus-Streit hat Karin Keller-Sutter Recht und nicht Pascal Couchepin. Der Liberalismus war immer autoritär. Er kann Menschenrechte und Demokratie dulden, solange sie die Profite nicht zu fest einschränken. Der erhabene Liberalismus war immer eine Mär.» Auf Watson kommentiert Lara Knuchel: «Im Kampf gegen Demokratiefeinde können wir uns nicht mehr auf die «Freiheitlichen» verlassen. Die Partei hat sich, vielleicht im Bestreben, ihre systematischen Wählerverluste irgendwie zu stoppen, ganz weit rechts von ‹liberal› verrannt.» Eine Ehrenrettung des Liberalismus versucht hingegen GLP-Fraktionschefin Corina Gredig in der ‹Republik›: «Liberalismus ist mehr als eine hohle Phrase oder ein reines Wirtschaftsmodell. Er ist ein Wertekompass, der Freiheit nicht von Verantwortung trennt.» Der Liberalismus beeinhalte darum auch die Pflicht zur Verteidigung der Demokratie und zur Wahrung der Menschenrechte.
Historische Vergleiche sind tatsächlich heikel. Und dennoch sollte die Geschichte uns dienen, aus den gröbsten Fehlern der Vergangenheit zu lernen, im Wissen, dass nicht klar ist, wie die Zukunft sich darstellen wird. Die eine Lehre ist: Demokratie ist vor allem dann in Gefahr, wenn die Eliten, die gesellschaftliche Mitte aufhört, sich für sie zu wehren. Und zum zweiten: Die Demokratiefeinde bekämpft man in einem Bündnis über die ideologischen Grenzen hinaus. Dazu gehören auch Liberale. So hoffe ich.