An die Arbeit

«Bern schlägt die Türe zu». Mit diesem Titel brachte die NZZ den Entscheid des Bundesrats, die Verhandlungen über das Rahmenabkommen abzubrechen, auf den Punkt. Der Bundesrat wollte mit vielen netten Worten, dem Versprechen, möglichst viele Gesetze von sich aus denjenigen der EU anzupassen sowie einer Milliarde Franken das Türezuknallen dämpfen. Den Entscheid an sich kann ich unter dem Motto «lieber ein Ende mit Schrecken» halbwegs verstehen. Mühe bereitet mir, dass der Bundesrat dabei nicht Klartext sprach. Es ist unklar, ob er den Vertrag für zu schlecht hält oder ob er ‹nur› überzeugt war, dass seine Durchsetzung im Parlament und bei den Stimmberechtigten keine Chance hatte. 

 

Dass weiteres Verhandeln ohne Bereitschaft zu gegenseitigen Konzessionen keinen grossen Sinn mehr ergab, leuchtet mir ein. In der Schweiz fehlt diese Bereitschaft derzeit, in der EU wohl auch. Bei uns fehlt sie auch, weil ein Scheitern kurzfristig kaum grosse Folgen zeigen wird. Es ist – noch nicht? – die Situation wie vor dem Ende des Bankgeheimnisses. Dieses wollte ein massgebender Teil der Schweizer Politik bis auf die Zähne verteidigen. Als vor allem die USA ernst machten und die Bankiers ihre Existenz gefährdet sahen, fielen aber diese Zähne wie bei einem alten Löwen reihenweise aus. Diese Dramatik fehlt im Konflikt mit der EU.

 

Ob der Bundesrat überhaupt zum Abbruch berechtigt war, ist eine umstrittene, aber – tut mir leid, Markus Notter – recht unwichtige und vor allem juristische Frage. Erstens erwies er damit fast allen Parteien (ausgesprochen der SP und der FDP) einen Liebesdienst und zweitens könnten National- und Ständerat dies problemlos ändern. Eine Mehrheit kann ihn zu Weiterverhandlung oder auch zur Annahme des vorliegenden Vertrags zwingen. Und ohne diese mögliche Mehrheit ergibt eine erzwungene Debatte wenig Sinn.

 

Das vorläufige Ende des Rahmenabkommens, respektive der einseitige Abbruch der Verhandlungen durch den Bundesrat ist ein ziemlich dramatisches Versagen der institutionellen Politik. Vor gut zwei Jahren sprach sich der Bundesrat für ein Abkommen aus, auch wenn er fand, über einzelne Punkte müsse man noch weiter verhandeln. Alle Parteien ausser der SVP sprachen sich grundsätzlich für das Abkommen aus. Dann verhielt sich Bundesrat Ignazio Cassis beim Lohnschutz derart ungeschickt, dass die Gewerkschaften sich provoziert fühlten, wobei sie darüber nicht nur unglücklich waren. Sie versteiften sich auf den bestehenden Lohnschutz und zogen die SP mit sich. Der eine Teil liess sich recht willig mitziehen, der andere Teil blieb meist stumm. Für die Mitte entdeckte Gerhard Pfister die fremden Richter als rote Linie, die FDP die Unionsrichtlinien, die Grünen schwiegen mehr oder weniger in allen Landessprachen. Die GLP hob bei jeder Gelegenheit hervor, dass sie für den Vertrag sei. 

 

Selbstverständlich kann man seine Meinung ändern. Vor allem, wenn die Fakten sich ändern. Dies war beim Rahmenabkommen indes höchstens marginal der Fall. Als die Parteien ohne SVP dem Bundesrat grundsätzliche Zustimmung signalisierten, wussten ihre Verantwortlichen recht genau, wozu sie im Prinzip Ja gesagt hatten. Dass die EU bei der Personenfreizügigkeit kaum zu grossen Konzessionen bereit sein wird, war den Parteileitungen klar. Ebenso, dass jeder Vertrag ein paar, vielleicht auch schmerzhafte Konzessionen verlangt.

 

Statt dass die befürwortenden Parteien sich zu Gesprächen und Verhandlungen fanden, um einen gemeinsamen Nenner zu finden, eine Prioritätenliste der möglichen und unmöglichen Konzessionen zu erstellen und darüber den Bundesrat und nicht die Medien zu informieren, setzte je länger ein innenpolitischer Wettlauf um rote Linien ein, die eingehalten werden mussten, damit man zustimmen kann. Verbunden mit der Aufforderung an die andern, doch bei ihren roten Linien nachzugeben. 

 

Die FDP fand, die SP solle beim Lohnschutz nicht so stur sein, diese wiederum forderte jene auf, bei den Bürgerrechtslinien zur Vernunft zu kommen. Die Grünen meinten dasselbe und warfen noch den Vorschlag in die Runde, der EU höhere minimale Unternehmenssteuern der Schweiz zu offerieren. Sehr viel klarer kann man nicht demonstrieren, dass man keine Lösung, sondern die eigene Profilierung sucht. 

 

Ganz kurz zusammengefasst: Die Schweizer Parteien in Bern kümmerten sich im Grossen und Ganzen einen alten Hut um eine Lösung für das Rahmenabkommen oder zumindest für eine gemeinsame Haltung. Stattdessen lieferten sie sich eine PR-Schlacht um die Schuldverteilung eines möglichen Scheiterns. Der einzige Profiteur davon könnte die SVP sein, die zusammen mit ihrer zumindest raffinierten Abstimmungskampagne zur CO2-Abstimmung wieder deutlich im Aufwind segelt.

 

Die ProeuropäerInnen suchen einen Ausweg. Einen sieht ein Teil in einer Initiative der ‹Operation Libero› für den Beitritt der Schweiz zur EU. Das ist der Organisation unbenommen, aber ganz sicher keine Lösung für die institutionelle Politik. 

 

Wenn die Parteien, die im Prinzip in einem Thema das Gleiche wollen (und das sind im Verhältnis zur EU die Bilateralen) von sich aus keinen gemeinsamen Nenner für eine Mehrheit mindestens im Parlament finden, verlieren sie an Glaubwürdigkeit. Parteien werden von ihren WählerInnen zur Lösung der zentralen Probleme gewählt und nicht zur Verteilung der Schuld bei einem Scheitern.

 

Die Scherben liegen derzeit auf dem Boden, für das Leimen sind es wohl zu viele. Alle können sich durchaus etwas Zeit nehmen. Es ist auch nicht verboten, zu einer anderen Lösung als einem Rahmenvertrag zu kommen. Wenn die SP jetzt einen europäischen Ausschuss einsetzt und sich Gedanken zum Ausbau der europäischen Zivilgesellschaft und zu einer europäischen Sozialdemokratie macht, ist das schön und gut. Aber das befreit sie nicht von der politischen Pflicht, sich mit der real existierenden EU auseinander zu setzen, sich zusammen mit anderen Schweizer Parteien um eine Lösung des Verhältnisses der Schweiz zur EU einzusetzen und nicht einfach Wirbel und Schuldzuweisungen zu veranstalten. Die EU ist alles andere als ein Zuckerschlecken, die Entwicklung in einigen ihrer Länder kein Hit. Aber es ist die Realität und wer sich politisch von der Realität verabschiedet, den braucht es über kurz oder lang nicht mehr. Parteien, die die konkrete Politik andern überlassen, verschwinden mit guten Gründen. Unsere Traditionellen geben sich derzeit alle Mühe, dies zu erreichen. 

 

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