(Bild: Noelle Guidon)

Ambivalenztanz

Irritation durch Imitation oder die gesellschaftliche Diskrepanz zwischen Wortwahl und Hintersinn vorzuführen ist Rebekka Lindauers Spezialität.

Die effektive Stammtischmeinung, Frauen hätten medial höchstens in Erscheinung zu treten, wenn sie Relevantes zu vermelden wüssten, trifft auf die gelebte Realität der Bereitschaft, ehemaligen Schönheitsköniginnen nach deren Umschulung zur Energiecoachin eine volle ‹Sternstunde Kultur› das Mikrophon zu überlassen. Welchen der darin schlummernden Vielzahl möglicher Aspekte sie genau zwecks Blossstellung anvisiert, lässt Rebekka Lindauer offen. Sehr lange. Erst rund eineinhalb Stunden später wird sie innerhalb einer völlig anderen Erzählung einen denkbaren Kommentar dazu platzieren. Aber sicher ist bei ihr nie nichts. Mit Vorliebe nimmt sie sogenannte Modeerscheinungen des Selbstinszenierungszirkus und soziale Verhaltensschranken aufs Korn, wie etwa die vornehme Zurückhaltung. «Wenn ich einen Prix-Walo gewinnen möchte, ruf ich Monika (Kaelin) direkt an und sags ihr.» Um kurz darauf in die entgegengesetzte Richtung über die Stränge zu schlagen und sich im vollen Brustton der Überzeugung mit der Berufskollegin Tina Turner auf eine Stufe zu stellen. Am dringlichsten auf den Senkel scheint ihr zu gehen, dass ausser sie selber alle anderen aufgrund eines vorauseilenden Gehorsams gegenüber sogenannten Konventionen am Allerbesten wissen wollen und ihr dies auch jederzeit ungefragt auf die Nase binden, was sie zu tun, zu lassen, wie sie zu sein, was sie zu unterlassen habe und im Zweifel bereits ein Hilfsangebot in der Hinterhand mit sich führen. Wer braucht eine Anamnese, wenn die Diagnose von vornherein feststeht? Natürlich ermangelt es ihr an Selbstwertschätzung. Am Beispiel eines Retreatmentseminars eines Lifecoachings malt sie genüsslich aus, wie nachgerade unmöglich es allem Anschein nach sein soll, selbstständig denken und handeln zu vermögen. Nach dieser Nummer steht hell prangend die Frage im Raum, ob die Depressionswahrscheinlichkeit nicht genau wegen einer solchen Beratung exponentiell angeschwellt ist. Für die eigene Anfälligkeit, gerade gegenüber einer simplen Logik für ein beispielsweise glückliches Leben, darauf missgläubig bis allergisch zu reagieren, hat sie eine genauso einfache Erklärung: Sie hat als Kind zu wenig rebelliert. «Rebelliert!» weigert sich erneut, eine simple Belehrung sein zu wollen, bei der ein Publikum einmündig kopfnickend eine Absolution abholen kann, selbst sehr wohl auf der sogenannt richtigen Seite zu stehen. Denken soll es und zwar selber und möglichst auch bezüglich eigener, längst eingeschliffener übernommener Überzeugungen.

«Rebelliert!», 18.1., Theater Ticino, Wädenswil.