«Ambitioniert, aber machbar»

Der Zürcher Gemeinderat hat das Klimaschutzziel Netto-Null 2040 verabschiedet. Die Stadt soll zudem sämtliche Massnahmen für die Reduktion der Treibhausgasemissionen in ihrem Einflussbereich bis 2035 umsetzen, mit Ausnahme des Bereichs Wärmeversorgung.

 

Zu Beginn seiner letzten Sitzung des Jahres verabschiedete der Zürcher Gemeinderat mit Christine Seidler ein langjähriges Mitglied (siehe auch Seiten 12/13). Das Hauptgeschäft des Abends, dem sich der Rat in einer zweieinhalbstündigen Debatte widmete, war das Klimaschutzziel Netto-Null 2040 (siehe auch Seite 14). Mit einer persönlichen Erklärung holte Selina Walgis (Grüne) quasi die Klimajugend in den Rat, die draussen demonstrierte – was ihr eine Ermahnung des Ratspräsidenten Mischa Schiwow (AL) bescherte. Im Text, den Selina Walgis verlas, äusserte sich die Klimajugend mit drastischen Worten: Vor vier Jahren, am 14. Dezember 2018, seien erstmals 500 SchülerInnen für Netto-Null bis 2030 auf die Strasse gegangen. Die Mehrheit habe ihr Anliegen aufgenommen und betont, es brauche rasches, konsequentes Handeln. Nun jedoch habe sich die Kommission «von diesem Ziel verabschiedet»: «Sie haben Ihre eigenen Kinder und EnkelInnen verraten. Ihre Klimapolitik tötet!»

 

«Wichtigste Vorlage der Legislatur»

Die Klimadebatte startete mit der Präsentation der Vorlage durch Martina Novak (GLP), die von der «wichtigsten Vorlage dieser Legislatur» sprach. Sie erinnerte an die vier Vorstösse zum Thema, die der Stadtrat gemeinsam zur nun präsentierten Vorlage verarbeitet hatte. In der Motion von SP, Grünen, GLP, AL und EVP, der sogenannten Klimaallianz, vom 20. März 2019, war folgende Hauptforderung enthalten: «Der Stadtrat wird beauftragt, dem Gemeinderat eine Weisung für eine Änderung der Gemeindeordnung vorzulegen, die eine stringente Klimapolitik in der städtischen Verfassung festlegt. Die Stadt Zürich setzt sich im Rahmen ihrer Zuständigkeit das Ziel, bis ins Jahr 2030 eine Reduktion des CO2-Ausstosses pro Einwohnerin und Einwohner und Jahr auf Netto-Null zu erreichen.» Der Stadtrat habe die Anliegen der vier Vorstösse geprüft und dabei festgestellt, dass ein Reduktionsszenario auf Netto-Null bis 2030 nicht umsetzbar sei, sagte Martina Novak. Auch Netto-Null bis 2040 sei «ambitioniert – aber machbar». Konkret müssten die direkten Emissionen bis 2040 soweit möglich reduziert, der Rest abgeschieden und gespeichert werden. Bei den indirekten Emissionen, also jenen, die beispielsweise bei der Herstellung von Produkten entstehen, die in die Stadt Zürich importiert werden, ist bis 2040 eine Reduktion um 30 Prozent vorgesehen. Vor allem bei den Gebäuden und beim Verkehr bestehe ein grosses Reduktionspotenzial. Die positiven Effekte des Vorhabens zeigten sich etwa in besserer Luft, doch das Netto-Null-Ziel werde auch als «Innovationstreiber» wirken und so die Wirtschaft befördern.

 

«Künftig vom Notwendigen ausgehen»

Die Fraktionserklärung der SP verlas Marion Schmid: Für die SP sei «klar, dass aufgrund der Dringlichkeit des Klimaschutzes das Ziel Netto-Null 2030 angebracht wäre. (…) In der Abwägung zwischen einem rein proklamatorischen Ziel, das aber nicht umsetzbar ist, und einem ambitionierten, konkreten Netto-Null-Plan, hat sich die SP gemeinsam mit den anderen Parteien der Klima-Allianz klar für letzteres entschieden. Mit der heute vorliegenden Verschärfung des Klimaziels gehen wir an die Grenze des Machbaren». Für die FDP sagte Michael Schmid, der Weg zu Netto-Null führe «nicht über Planwirtschaft und nicht primär über Verbote und Zwang, sondern über Preissignale, Markt, Wettbewerb und Innovation». Der fundamentale Fehler der Klimapolitik von SP, Grünen, GLP, AL und EVP bestehe darin, dass diese Parteien der wirtschaftlichen und sozialen Dimension der Nachhaltigkeit zu wenig Rechnung trügen. Die Vorgabe eines «mindestens linearen Absenktempos» sei ein «zu planwirtschaftlicher und vollkommen realitätsfremder Ansatz».

 

Walter Anken sprach für die SVP von Netto-Null als «Werkzeug der Bevormundung». Netto-Null bis 2030 lehne selbst der Stadtrat ab, weil es «völlig unrealistisch» sei. Auch für Netto-Null bis 2040 brauche es drastische Massnahmen, der Wärmebedarf etwa müsse trotz Bevölkerungswachstum massiv abnehmen, und der motorisierte Individualverkehr müsse «drastisch reduziert» und elektrifiziert werden. Zudem verursache die Vorlage jährlich 570 Millionen Franken Kosten. Die SVP lehne die Vorlage ab.

 

Für die Grünen sagte Julia Hofstetter, die Einschätzung des Stadtrates, dass das Klimaziel 2030 nicht möglich sei, sei «eine schmerzhafte Erkenntnis. Wir haben in der Vergangenheit Zeit verloren, es wird zu zaghaft geplant und umgesetzt. (…) Beim Klimaschutz geht es ganz prioritär um Zeit». Den Vorschlag des Stadtrats, das Ziel bis 2040 zu erreichen, habe man in der Kommission schrittweise verschärft. Der daraus resultierende Kompromiss sei «das Minimum, was wir tun müssen. In Zukunft muss der Klimaschutz vom Notwendigen ausgehen und nicht vom Machbaren. Und dann muss das Notwendige machbar gemacht werden». 

 

Martina Novak betonte für die GLP, der Absenkpfad biete in erster Linie Planungssicherheit, und die beschleunigte Umsetzung verbessere die Wirkungseffizienz der Massnahmen, was auch Bereichen wie der Kreislaufwirtschaft zur Etablierung verhelfen könne. Für die AL sagte David Garcia Nuñez, es sei aus Sicht der AL ein wichtiger Fortschritt, dass Ökologie und soziale Gerechtigkeit zusammengedacht würden, damit «nicht genau jene benachteiligten Schichten, die schon jetzt am meisten unter der Klimakatastrophe leiden, die Rechnung für die Untätigkeit älterer und für die Ungeduld jüngerer Generationen zahlen».

 

In der Detailberatung sprach sich auch die FDP für die Reduktion der Treibhausgasemissionen im Einflussbereich der Stadt bis 2035 aus, während sowohl FDP als auch SVP gegen einen «Absenkplan mit einem mindestens linearen Absenktempo» waren. Die FDP gab jedoch bekannt, in der Schlussabstimmung trotzdem für die Vorlage zu stimmen, womit einzig die SVP Nein sagt. Die Schlussabstimmung findet im neuen Jahr statt, die Vorlage geht zuerst noch an die Redaktionskommission. Das letzte Wort haben, wie immer bei Änderungen der Gemeinderordnung, die Stimmberechtigten. Auch ein Beschlussantrag der GLP erhielt eine Mehrheit: Die Grünliberalen verlangten, den Ratsbetrieb in der Legislatur von 2026 – 2030 auf das Netto-Null-Ziel auszurichten und so Erfahrungen zu sammeln, «wie der Parlamentsbetrieb ab spätestens 2035 zu 100 Prozent CO2-neutral funktionieren kann».

 

 

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