Am hellichten Tag

Es war ein kurzer Moment der Hoffnung. Hoffnung, dass die Normalität wieder einkehrt. Dass man den Abgrund verlässt und wieder auf sicheres Terrain übergeht. Dass wieder Demokratie einkehrt, dass Trump nur eine unangenehme Episode bleibt, die man bald einmal vergessen hat.

 

Leider muss man befürchten, dass die Normalität eine Episode bleibt. Blenden wir zurück: Im letzten November waren die US-Wahlen. Joe Biden holte zwar eine deutliche Mehrheit der Stimmen, in einigen Staaten waren die Resultate knapp. Trump erhob von Anfang an Vorwürfe, wonach das Resultat nicht korrekt sei und es weit verbreitete Wahlfälschungen gegeben habe. Etliche Untersuchungen und Nachzählungen kamen zum gegenteiligen Schluss. Dennoch blieb Trump bei seiner Version, dass ihm das Amt gestohlen wurde. Einige seiner Anhänger nahmen dies zum Anlass, am 6. Januar dieses Jahres das Capitol zu stürmen. Dieser Anlass schockierte die Nation und etliche der Abgeordneten. Für einen kurzen Moment wirkte es auch so, dass sich die republikanische Partei von Trump abwendet und die Wahlniederlage akzeptiert.

 

Es kam aber anders. Am 28. Mai dieses Jahres blockierte die republikanische Minderheit im Senat eine überparteiliche Kommission, die die Ereignisse des 6. Januars hätte untersuchen sollen. Zwar stimmte eine Mehrheit mit 54 zu 35 für die Einsetzung der Kommission, aber wegen der Filibuster-Regel des Senats reichte dies nicht aus. Die Filibuster-Regelung führt vereinfacht gesagt dazu, dass es 60 Stimmen braucht, damit Gesetze verabschiedet werden können. Eine Ausnahme gibt es beim Budgetprozess, wo in Ausnahmefällen auch eine einfache Mehrheit entscheiden kann. Der Filibuster erlaubt es also effektiv der Minderheit – in diesem Fall die Republikaner –, den Gesetzgebungsprozess weitgehend zu blockieren. Die Republikaner hatten im Vorfeld etliche Bedingungen für die Kommission aufgestellt, die alle erfüllt wurden. Dennoch scheiterte die Einsetzung der Kommission. Warum? John Thune, die Nummer 2 der Republikaner im Senat meinte dazu ganz offen, dass die Republikaner kein Interesse daran hätten, dass die Ereignisse der letzten Wahlen noch vor den Zwischenwahlen öffentlich verhandelt würden. Bereits am 12. Mai wurde Liz Cheney, dritthöchste Republikanerin im Repräsentantenhaus, aus der Fraktionsleitung abgewählt. Ihr Vergehen war es, zum einen für das Impeachment von Donald Trump im Nachgang des Kapitol-Sturms gestimmt und ausserdem klar festgehalten zu haben, dass Biden die Wahl gewonnen habe.

 

Trumps Behauptung, er habe die Wahlen eigentlich gewonnen, ist also mittlerweile die Mehrheitsmeinung der Republikanischen Partei. Ob aus Opportunismus oder weil es die Verantwortlichen tatsächlich selber glauben, spielt nur eine untergeordnete Rolle. Denn die Lüge hat reale Konsequenzen. In verschiedenen Staaten wurden seither Wahlgesetze erlassen oder sind kurz vor der Verabschiedung durch republikanische Mehrheiten, die das Wahlrecht jener, von denen die Republikaner glauben, dass sie demokratisch wählen (Studierende, People of Color, Arme und StädterInnen) weiter einschränken. Dabei werden unter anderem die Hürden für die Registrierung erhöht, Urnen und Wahlmöglichkeiten abgebaut und die Briefwahl erschwert. Dies alles mit der Begründung, man wolle gegen den Wahlbetrug (der nicht stattgefunden hat) vorgehen. Das alles gab es schon vorher. In gewissen Staaten gibt es auch noch Retorsionsmassnahmen gegen jene Stellen, die die Wahl bestätigt und anerkannt hatten. So sollen die Innenminister der Staaten weniger Kompetenzen haben, diese werden den republikanisch dominierten Parlamenten übertragen. Die Republikaner machen sich oftmals nicht mal gross die Mühe, diese Wahlrechtseinschränkungen zu rechtfertigen. John Kavanagh, ein Abgeordneter aus Arizona, fand, man wolle nicht, dass jeder wählen könne. «Quantität ist wichtig, aber wir müssen die Qualität der Stimmen beachten.» Noch deutlicher wurde der Anwalt Michael Carvin, der die Republikaner von Arizona vertritt, auf die Frage, warum die Republikaner es den Leuten schwer machen wollen, zu wählen. Könnte jeder wählen, so Carvin, würde es den Republikanern einen Wettbewerbsnachteil geben: «Politik ist ein Nullsummenspiel.» Die Idee ist also, die Regeln so zu verändern, dass die Republikaner in jedem Fall gewinnen. Gerade in Hinblick auf die Wahlen 2024. Donald Trump hat sich schon entsprechend in Stellung gebracht.

 

Die Demokraten haben aus diesem Grund mehrere Gesetze vorbereitet, um das Wahlrecht zu schützen und den Zugang zu Wahlen zu vereinfachen. Diese drohen aber wieder im Senat am Filibuster zu scheitern. Die Demokraten könnten den Filibuster mit einer einfachen Mehrheit aushebeln. Doch dazu wird es nicht kommen, weil sich zwei Demokraten – Joe Manchin aus West Virginia und Kyrsten Sinema aus Arizona –, dagegen sperren. Manchin glaubt, er könne genügend Republikaner überzeugen, gewissen Gesetzesänderungen zuzustimmen. Bis anhin blieb der Tatbeweis aus. Mitch McConnell, der Fraktionschef der Republikaner im Senat, hat auch angekündigt, seine Priorität sei es, die Agenda von Joe Biden komplett zu boykottieren. Die Gefahr, dass die Demokraten nach den Zwischenwahlen die Mehrheiten im Repräsentantenhaus und im Senat wieder verlieren, wäre auch ohne Wahlrechtsanpassungen gross. Historisch gesehen verlor die regierende Partei die Zwischenwahlen fast immer. Trumps Lüge wird – wen wunderts – auch von einer Mehrheit der republikanischen WählerInnen geglaubt. 28 Prozent der Republikaner glauben auch, dass es legitim ist, mit Gewalt das Land zu retten. Kein Wunder, wenn man glaubt, die Wahl wurde gestohlen.

 

Demokratien sterben nicht mit einem Knall, meinten die Harvard-Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt in ihrem Buch «How Democracies die», sie sterben mit einem Wimmern, durch einen langsamen, aber stetigen Angriff auf die Institutionen, auf die Presse und die Gerichte. Dieser Angriff ist schon lange im Gang.

 

Dass man eine unliebsame Niederlage nicht mehr eingestehen kann, ist aber eine neue Dimension, die die Grundfeste der Demokratie ganz grundsätzlich infrage stellt. Davon ist in den Medien hierzulande wenig zu hören und zu lesen. Der grösste Angriff auf die Demokratie scheint da der Gender­stern, Veganismus oder eine eher imaginäre Cancel-Culture zu sein. Demokratie stirbt im Dunklen, ist das Motto der ‹Washington Post›. Im Moment stirbt sie am hellichten Tag. 

 

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