Alles läuft falsch

Beim EM-Qualifikationsspiel in Bulgarien werden dunkelhäutige Spieler der Engländer mit Affenlauten eingedeckt. Bulgarische Fans zeigen den Hitlergruss, lachend, sie befürchten nichts deswegen. Das Spiel wird unterbrochen, aber nicht beendet. Der bulgarische Trainer, früher einmal auch bei GC, sagt, England habe das grössere Rassismusproblem. Die UEFA überlegt noch, was sie tun soll, und tut sie das Gleiche wie bei einem ähnlichen Fall Anfang Jahr, wird sie ein Geisterspiel verfügen, mehr nicht. Das läuft falsch.

 

In Halle ist einer losgefahren, an einem Mittwochmorgen im Oktober. Ziel Massenmord. Nur weil er nicht in die Synagoge reinkommt, in der sich, weil Jom Kippur, über 50 Menschen aufhalten, wird das nichts. Es sterben dann zwei Menschen, die zufällig an diesem Tag seinen Weg kreuzen, andere überleben schwer verletzt. «Wehret den Anfängen», sagten einige Politiker daraufhin und man zuckt ein wenig zusammen, weil man sich fragt, wo diese Menschen die letzten Jahre gelebt haben, dass sie das als Anfang bezeichnen, während rechtsradikale Äusserungen und das Vokabular des Dritten Reiches allzu lange schon ohne Widerspruch via AfD-PolitikerInnen Eingang in die Medien und damit in den Alltag gefunden haben. Und da waren doch noch die Morde des «nationalsozialistischen Untergrunds». Und erst in diesem Jahr hat ein Rechtsextremist den Politiker Walter Lübcke erschossen, wegen seines Engagements für Flüchtlinge und gegen die Pegida. Der Anfang ist längst vorbei. Es läuft falsch hier.

Donald Trump lässt die US-Truppen überstürzt aus Nordsyrien abziehen und ermöglicht damit den Einmarsch der Türkei. Nicht nur die Kurden werden dadurch zum Spielball irrer mächtiger Männer, sondern auch die über drei Millionen Flüchtlinge an der syrischen Grenze. Auf die Kritik der EU antwortet Erdogan mit einer Drohung. Wenn die EU-Staaten sich nicht zurückhalten, werde er die Grenzen für diese Flüchtlinge öffnen und Millionen Menschen würden kommen. Vergessene Menschen, eingesperrte, hoffnungslose Menschen, die jetzt auch noch als Drohmasse missbraucht werden. Es läuft so falsch.

Die Proteste in Hongkong dauern schon über Monate. Die Menschen fürchten sich vor dem zunehmenden Einfluss Chinas. Denn noch geniessen sie Rechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Mittlerweile haben sich mehr als 100 000 Menschen diesen Protesten angeschlossen, trotz des kurzfristig verhängten Demonstrations- und Vermummungsverbots, sie gehen auf die Strasse und verdecken ihre Gesichter, um sich zu schützen. Sie fordern die Amnestierung politischer Gefangener und noch etwas: freie Wahlen.

 

Derweil sitze ich im Kanton Zürich und telefoniere. Mit dem Wähler und der Wählerin. Besser gesagt mit dem Nicht-Wähler und der Nicht-Wählerin. Politik interessiere sie nicht. Als ob es dabei um Interesse gehen würde. Politik ist. Ob man will oder nicht. Wo Rassismus auf dem Fussballplatz stattfindet, ist Politik. Wo ein Antisemit losläuft und Menschen tötet, ist Politik. Wo Menschen einfach so ausgeliefert werden, ist Politik. Wo Demonstrierende unter grosser Gefahr für Rechte kämpfen, die wir längst haben, ist Politik.

Es läuft alles falsch, wenn einer meint und sagt, es gehe um Interesse. Es geht nicht um ihn oder sie und die eigene Befindlichkeit. Es geht um eine Verpflichtung. Die demokratische Verpflichtung, mit seiner oder ihrer Stimme dafür zu sorgen, dass es eben nicht falsch läuft. Denn gerade da, wo einer dieser Verpflichtung nicht nachkommt, ist ganz besonders viel Politik. Gerade da läuft ganz besonders viel falsch.

 

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.