Alle Jahre wieder …

Ach, die Jahreszeiten! Mit ihren stimmungsvollen Bräuchen! Der Herbst: Erntedankfeste, Nebel­schwaden, Laubrascheln … Der Winter: schneehelle Nächte, Zitrusfrüchte, Kerzenglanz und Tannennadelduft …  Heutzutage natürlich urban und neuzeitlich interpretiert. 

 

Im November feiern wir «Lichterholen»: Das gesellige Einander-auf-die-Füsse-Treten beim Anstehen zum Gratis-Glühwein während der Entzündung der Festbeleuchtung in der Innenstadt stimmt uns ein aufs Night-Shopping – einen schon fast sakralen Brauch, eine Nachtmesse, für die wir uns als Neureiche verkleiden und in einer feierlichen Prozession die Bahnhofstrasse abschreiten. Die Stadt stellt, der kulturellen Tragweite dieser innovativen Tradition Rechnung tragend, den Trambetrieb ein. Nun sind wir auf Leuchten und Scheinen eingestimmt und zelebrieren Tags darauf, dankbar für jeden Scheinrabatt, herbstliche Marktfülle am Black Friday. Dessen Grenzen überschreitendes, ökumenisches Konzept lockt uns zum Glück hinter dem heuer nicht ganz so warmen Ofen hervor und beschert uns am Wühltisch und in der Kassenschlange auf Tuchfühlung mit unseren Nächsten rote Bäckchen und feuchte Hände. 

 

Selbst die Motorisierten in ihren einsamen Wägelchen dürfen Gemeinsinn erfahren, aber auch ihresgleichen daran teilhaben lassen. Denn der vorweihnächtliche Geist hat sich gnädig erwiesen und ihnen mit einem allerheiligen Feiertag Inklusion geschenkt: In völkerverbindender, demokratischer Einhelligkeit steht weitgereister Schwyzer neben Sanktgaller, steht ortsunkundige Urnerin neben Glarnerin demütig im Stadtzürcher Stau. Denn jedes Auto, und sei es auch noch so klein, darf mit seinen Schweinwerferlichtlein zum festlichen Glanze der Grossstadt beitragen. Lustige Pajasse in orangen Westen winken der Karawane mit leuchtenden Stäben zum Gruss, und freudiges Schellen von Eingeborenen auf zweirädrigen Drahteseln läutet ihr Willkomm: Grüss Gott, fahr rein, bring Geld herein!

 

Noch während wir allesamt, mannigfacher Herkunft zwar, aber einträchtigen Gemüts, schenkselig von Raclette- zu Baumschmuck- zu Hosenträgerstand durch Weihnachtsmärkte taumeln, schnüren zahllose Sami­chläusInnen ihre Säcklein, ölen ihre Glöckchen und schicken Armeen von GrittibänzInnen voraus. Wie es der Ritus erfordert, essen wir uns in quasireligiöse Trance. Da zeigt der Festkalender auch schon wieder besinnliche Adventssonntage im Einkaufszentrum an. Ja, wie sehr brauchen gerade wir westlichen Menschen in unserer an Entfremdungen reichen Zeit ganz besonders am Tage des Herrn diese stimmungsvolle Einkehr, dieses tröstliche Alle-Jahre-Wieder von Büchsenmais im Multipack, Oblatenlebkuchen zum halben Preis und dem Festtags-Popsong-Liftmusik-Medley zwischen den Aktionsdurchsagen aus dem Lautsprecher. 

 

Denn nur allzu bald ist Weihnachten vorbei, und es packt uns wieder die Hektik der Altjahreswoche mit ihren Ausverkäufen und Preisstürzen allüberall, und wir werden – obwohl schon fast des Festens müde – durch schwer verdauliche Silvestermenus, ohrenbetäubendes Korkenknallen, bodenlose Ausgelassenheit und lebensbedrohliches Feuerwerk ins neue Jahr hinüber gebeutelt. Da heisst es: Durchhalten! Die Tage werden dann schon bald spürbar länger, am Horizont winkt der Dreikönigskuchen, das Fasnachtschüechli raschelt verheissungsvoll, und zaghaft strecken erste Schneeglöckchen ihre Köpfchen zum Valentinsgruss hervor.

 

 

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