Aktivismus, Asbest und eine überrissene Anklage

Der Winterthurer Kleisterprozess kommt ohne gesprochene Haftstrafen zum vorläufigen Ende. Die Stadt Winterthur steht dabei nicht so gut da. 

 

In Winterthur verhaftete die Polizei am 8. Januar 2021 sechs Personen. Die Stadt klagte sie daraufhin wegen schwerer Sachbeschädigung an. Dabei geht es eigentlich um etwas, was zunächst verhältnismässig harmlos klingt: Im Rahmen der Corona-Kampagne des Revolutionären Jugendbündnisses Winterthur RJBW seien illegal Plakate gekleistert worden. Am Strafgericht Basel – obwohl Basel den Fall an Winterthur abschieben wollte, was nicht gelang – wurde den Beschuldigten am 30. Januar sowie am 1. Februar der Prozess gemacht. Die Basler Staatsanwaltschaft forderte eine Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, erntete dabei aber vor allem Kritik seitens des Richters – die auch direkt an die Stadt Winterthur gerichtet war. Die Beschuldigten wurden zu Geldstrafen von 60 Tagessätzen zu 30 respektive 70 Franken verurteilt, das Urteil kann von der Staatsanwaltschaft aber noch weitergezogen werden. 

 

Wieso hat die Stadt Winterthur so ein grosses Ding daraus gemacht? Gegenstand des Deliktes, zumindest was den Strafantrag so in die Höhe trieb, waren Stromkästen und die Art und Weise, wie sie verschlossen sind. Das Stadtwerk Winterthur betreibt Stromkästen, die noch immer mit Asbest isoliert werden. Asbestfasern wurden lange im Hochbau eingesetzt, bis 1989 der Einsatz von asbesthaltigen Materialien verboten wurde – und genau auf einen solchen mit Asbest isolierten Stromkasten wurden Plakate gekleistert. Die Stadt Winterthur habe die Plakate daraufhin von diesen Stromkästen nicht entfernt, sondern gleich Offerten für neue Türen für die Stromkästen eingeholt. Kostenpunkt: 11 500 Franken. Das Ersetzen offensichtlich sanierungswürdiger Objekte schrieb man in der Anklage sozusagen auf die Rechnung für die AktivistInnen. 

 

Insgesamt sei ein Sachschaden von rund 18 000 Franken entstanden. Das Problem: Wie die Stadt Winterthur zu dieser Zahl kommt, erscheint mindestens fragwürdig. Denn es war noch nicht einmal klar, wie viele Schäden die Aktion überhaupt verursacht hat – im ‹Landbote› liest man von einer Anklageschrift, in der 94 Stellen, 67 Hausfassaden, 94 Schäden und 62 Örtlichkeiten aufgelistet sind, basierend auf einer Schadensliste der einzigen Klägerin, der Stadt Winterthur. 

 

Dazu kommt die Frage der Schadenshöhe: Abgesehen vom Asbestproblem scheint auch beispielsweise die Berechnung für die Entfernung eines einzelnen Plakats an der Obergasse von 1400 Franken etwas sehr hoch angesetzt. Generell meinte der Richter: «Es ist höchst zweifelhaft, dass der Schaden wirklich so hoch ist.» Das Ersetzen der Türen könne man den Beschuldigten ebenso nicht anhängen.

 

Im Vorfeld wurde befürchtet, dass sich dieser Fall in eine repressive Tradition gegen linke AktivistInnen einreiht. Dass er in Basel landete, wo die Basler Justiz im Rahmen der Aktion Basel Nazifrei die ausserparlamentarische Linke stark in die Mängel genommen hatte, befeuerte die Befürchtung weiter. Nun kommt es weder zum Freispruch, noch zu einer übermässig harten Strafe. Das zeigt insbesondere eines: Bei diesem Fall hat sich die Staatsanwaltschaft überschätzt – man könnte sagen, hat zu blöd getan – auch wenn sich der Richter dennoch kritisch gegenüber den Beschuldigten äusserte. Er finde es gut, dass sich junge Menschen für eine gerechtere Welt einsetzen, aber es müsse im Rahmen der Rechtsordnung sein. 

 

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