- Post Scriptum
Akkuzwang
Kürzlich gab mein Rasierapparat seinen Geist auf. Während über zwei Jahrzehnten hatte er mir zuverlässig gedient, und die Scherblätter und Scherköpfe, die alle paar Jahre ausgetauscht werden müssen, waren im Fachgeschäft noch immer erhältlich. Da hat es sich gelohnt, den teureren Preis für ein Markenprodukt zu zahlen! Also zog ich los, mir wieder ein ähnliches Gerät anzuschaffen. Basic, ohne Akku, ohne Schnickschnack: Einstecken und Rasieren, mehr wollte ich nicht.
Da kam ich aber bös auf die Welt. Zuerst bei der Suche nach dem Fachgeschäft: Gibt’s nicht mehr. In dem Lokal ist jetzt ein Modecoiffeur. Oder eine Modeboutique, ich habe es schon vergessen. Dann halt in den Elektrowarenladen, Fust, Mediamarkt, Interdiscount und wo auch immer: überall gibt es mehr oder weniger die gleiche Auswahl an Geräten. Auf meine Frage nach einem Rasierer ohne Akku erntete ich verständnislose Blicke. Wer könnte denn sowas wollen? Ein Alien? Oder vielleicht ein russischer Agent Provocateur, ausgesandt, um mittels absurder Ansinnen Subversion zu verbreiten?
Mit Akkus habe ich ja meine Erfahrungen gemacht. Wer nicht? Die Elektrozahnbürste hält gefühlt so zwei bis vier Jahre. Der Motor und alles wäre zwar noch tipptopp, aber wenn der Akku nicht mehr tut, ist das ganze Gerät Schrott. Eine Zeitlang besass ich einen Akkuschrauber. Immerhin kann man da den Akku austauschen, aber ich brauchte das Gerät halt doch nur alle paar Monate. Ein Akku aber, der nicht regelmässig benützt wird, gibt schnell den Geist auf: Ich habe insgesamt vielleicht fünfmal damit geschraubt, über einige Jahre verteilt. Beim letzten Mal reichte eine Ladung noch für wenige Schrauben, und ich spürte keine Motivation, einen neuen Akku zu kaufen. Die 35-jährige Bohrmaschine ohne Akku aber tut zuverlässig ihren Dienst, egal, ob ich sie nun regelmässig brauche oder nur alle zehn Jahre.
Ich bin nicht etwa akkuphob: Beim Handy, beim E-Bike oder beim Laptop finde ich den Akku super. Auch der Akkuschrauber ist an sich sehr cool, wenn man ihn regelmässig braucht. Ich hätte einfach gern eine Wahl. Schrauber mit Netzkabel aber (oder, noch besser: Netzadapter, die anstelle des Akkus eingesetzt werden können) sind mir noch nirgends begegnet. Akkus sind naturgemäss nützlich, wenn keine Steckdose in der Nähe ist. Den Rasierapparat jedoch verwende ich immer im Badezimmer. Und mir ist noch nie – NIE! – ein Badezimmer ohne Steckdose begegnet.
Und es sind ja nicht nur Schrauber und Rasierapparate. Alles redet von Nachhaltigkeit, aber in unserem Alltag nisten sich immer weitere neue Stromfresser ein. Zum Fernseher, Laptop und Handy brauchen wir jetzt auch noch ein Tablet. Elektroroller liegen kreuz und quer in der Stadt herum. Die Kopfhörer sind jetzt kabellos und die Zigaretten elektronisch. Ich nehme mich selbst gar nicht aus: Ohne mein E-Bike beispielsweise käme ich auch ganz gut zurecht. Alles praktisch, aber an sich unnötig. Akkugeräte sind designierter Elektroschrott, je billiger desto schlimmer – der Westen lässt sich grad kollektiv von chinesischen Onlineshops damit fluten. Und woher die Rohstoffe für die Produktion der Akkus kommen, möchten wir schon gar nicht wissen.
Ja. Statt zurück in meine Galaxie (oder nach Moskau) ging ich dann in den nächsten Laden, und dann in den übernächsten. Und dort fand sich immerhin ein Modell, das sich auch am Kabel verwenden lässt. Zwei Jahrzehnte wird der Rasierer wohl nicht halten, aber doch schon gewiss länger als sein Akku.