Linus von Sturmberg ist für «Syncope» durchs Band zu beglückwünschen. Er überführt eine reale Dringlichkeit in eine symbolhaft klare Überhöhung mit einer überzeugenden Bildsprache und einer in sich logisch abgerundeten Dramaturgie, was in Summe auch einen kritischen Blick auf die (Leistungs-)Gesellschaft meint. Die Hierarchisierung im Tanzbetrieb inklusive der latenten Gefahr einer Ausbeutung jedweder Art ist real. Der unbedingte Wille zum Durchbruch von Tänzer:innen und damit verbunden die Bereitschaft, physische, emotionale und körperliche über die eigens empfundene Grenze hinausreichende Übergriffe hinzunehmen, abzuhaken, runterzuschlucken ist real. Die – institutionelle wie mediale – Fokussierung auf Choreographietalente – Stichwort: Genialität, Vermarktbarkeit und der Abgrund der Selbstüberhöhung – und deren leidliche Bereitschaft, die Oberfläche gar nicht so profund durchdringen zu wollen, ist real. «Syncope» ist das geglückte Resultat einer formal wie inhaltlich in sich stimmigen, pointierten und spannungsreichen Erzählung, die packend, glaubwürdig, klug und vor allem auch cinéastisch gedacht umgesetzt ist.
Das Private ist politisch
Das Anbandeln zwischen den Geschlechtern, im Rausch des Anfangs noch ausnehmend verspielt und mit gesteigerter Raffinesse, nimmt Mina Tomic für «Motel Molotov» zum szenischen Ursprung für einen weit darüber hinaus reichenden Fragenkomplex. Eine Frau und ein Mann und ein Zimmer. Eine Annäherung, ein Akt, ein Abschied. Dass immer die Frau es ist, die zuerst da ist und zuletzt zurückbleibt – je mit variierendem Gesichtsausdruck – fügt dieser als Prozess beidseitiger Gewahrwerdung des eigentlichen Wesens der gegenseitigen Anziehung gezeigten Kurzszenenabfolge einen klar politischen Subtext hinzu. Diesen formuliert Mina Tomic zeitgleich ausreichend konkret wie offenbleibend, dass auch die Identifikation geschlechterübergreifend möglich wird, eine etwaige Schuld-/Lastfrage (noch) keine eindeutige Prädisposition vorwegnimmt und zu allem anderen auch noch den kaum plastisch fassbaren Zauber einer amourösen körperlichen Anziehung miteinschliesst. Wenngleich ganz anders, so im Mindesten so entschieden, erzählt Aiyana de Veree in «Who runs the World» von einer Mädchenfreundschaft und wie sich diese auf dem immergleichen Bett liegend von den Kinder- in die Jugend- in die jungen Erwachsenenjahre verändert. Die äusseren Umstände wie die innerlich empfundene Dringlichkeit verändert sich von einer ursprünglichen Unbeschwertheit immer weiter in Richtung empfundener Verantwortlichkeit und meint in diesem konkreten Fall eine sich verfestigende Freundschaft wie auch das Reifen eines Entschlusses, das Schicksal aktiv anzpacken.
Die Zukunft war früher besser
Dominic Curseri entwirft in «Maya und das Imperfekt» eine dystopische Vermengung von real nicht mehr Science-Fiction-Manipulationsexperimenten am menschlichem Genom alias Erinnerungsvermögen und der fahrlässig-freudigen Überantwortung sämtlicher Kontrolle an eine Künstliche Intelligenz während des Forschungsprozesses. David Oeschs «Under the Ice» weist diesbezügliche Parallelen auf, wenngleich hier eine als esoterisch erkennbare Komponente hinzukommt. Eine russische Glaziologin begibt sich für den Geldgeber in eine Forschungsanstalt in der Schweiz, wo sie via das im Eis gespeicherte Wissen der Vergangenheit Zugang zu den verschütteten eigenen Erinnerungen ergo einer verdrängten traumatischen Kindheitserfahrung findet. Sagenhafte Bilder. Vergleichbares trifft auf «Passagères» von Camille Briffod zu. Den Flughafen als optische wie symbolische Szenerie, in denen wiederholt dieselben Menschen vorkommen, ohne darüber eine Persönlichkeit oder Geschichte entwickeln zu vermögen, beschränkt den Blick hauptsächlich auf die kunstvolle Kameraführung. Auch Flavio Araujos Essayfilm «Three nights until tomorrow» mit Postkartengrüssen aus der Vergangenheit während Strandferien in umittelbarer Nähe einer die Abwasser direkt in die Lagune pumpenden Schwerindustrie ist vom Erzählfluss her noch recht roh. Eine Einbettung von Text, Bild und Zusammenhang machte den Film publikumsseitig sicher nahbarer. Ähnliches im Bezug auf eine allein mittelbar mögliche Entschlüsselbarkeit des Kerns der Erzählabsicht trifft auch auf «Zimni Mology» von Manuel Karel Seiler zu. Eine Enkelin reist zum verwitweten Grossvater, der ihr vorgaukelt, sein Leben im Griff zu haben, während er ihr sein (Liebes-)Leid klagt. Die Figuren sind einen Tick zu wenig weit herausgearbeitet, um darüber ein grosses Bild erfassen zu vermögen. Etwas mehr Kontext würden ebenfalls «Fahrt in die Ferien» von Stella Mach, «1:10» von Sinan Taner und «Sieger» von Edgar Gomes Ferreira vertragen. So plötzlich die Handlung eintritt, so überraschend ist der Spuk wieder vorüber.