Achtsamkeit

Der Mensch könnte es besser wissen, wenn er sich denn die Mühe machte, zu reflektieren.

Vordergründig ist Europa als Friedensidee das zentrale Thema von Vadim Jendreykos («Die Frau mit den fünf Elefanten») filmischer Spurensuche, die ihn zum geologisch jüngsten Flecken Erde des Kontinents, in den letzten intakten Flächenurwald, ins unwirtlich erscheinende nordpolare Eis und in die restaurierten Mauern einer im letzten grossen Krieg in Europa absichtlich zerstörten Bibliothek führt. Alles, was seine kenntnisreichen Protagonist:innen jeweils bezüglich ihrem Sachgebiet äussern, zeugt von einer grossen ursächlichen Dringlichkeit für das menschliche Überleben, ist also – Hand aufs Herz – ohne weiteren bedeutenden Wissens- oder Bewusstseinszuwachs für ein Publikum regelrecht selbsterklärend, logisch und also auch allen bekannt. Das Paradox, das Vadim Jendreyko mit dieser Aneinanderreihung von vermeintlichen Selbstverständlichkeiten herausschält, behandelt die menschliche Angewohnheit, wider besseres Wissen zu handeln. Und dies geschichtlich nachprüfbar offenbar jederzeit in der zuletzt einigermassen überblickbaren Epoche, also etwa seit der Mitte des vorletzten Jahrhunderts. Die Vorstellung davon, was ein gutes Leben, vormals ein sogenannt gottgefälliges in seinem Wesenskern ausmacht, hat sich seither nicht entscheidend verändert. Was sich indes immer wieder als Überlagerung vorzuschieben anschickte, war die angebliche Verheissung durch das Ausleben niederer Triebe, vormals Todsünden genannt. Eine Antwort auf die Frage, weshalb die Weigerung, aus der Geschichte Lehren ziehen zu vermögen, dermassen standhaft gegen jede sogenannte Vernunft den Menschen im Einzelnen und insbesondere in corpore immer wieder zu plagen in der Lage ist, kennt auch er keine, das wäre ja vermessen. Aber seine wohlüberlegte Reise zu Denkmälern der simplen Klarheit, führt einen schnurstracks die Notwendigkeit eines jüngst leider stark in Verruf gebracht wordene Lebenshaltung als existenziell entscheidend vor Augen: die Achtsamkeit.

«Das Lied der Anderen» spielt im Kino Cameo.