Ach, die Dramaturgie…

Entgegen der Vorjahre fand sich in den diesjährig gezeigten Abschlussfilmen der ZHdK leider kein einsamer Überflieger. Dafür scheint der Unterschied zwischen Master- und Bachelorarbeiten im Resultat zusehends kleiner zu werden.

 

 

Eine seit Jahren bekannte Schwachstelle vieler Filme von Studierenden an der
ZHdK, früher HGKZ, scheint nur sehr schwer ausmerzbar zu sein: Der inhaltlich nicht runde Schluss. Natürlich ist das ein dramaturgisches Problem und Dramaturgie gehört zum meistunterschätzten Handwerk in den darstellenden Künsten. Aber dass dieses Phänomen Jahr für Jahr wieder zu beobachten ist, könnte ein Hinweis auf eine mögliche konzeptionelle Schräglage sein. Eine frappante Veränderung gegenüber den Vorjahren betrifft das Verhältnis von Dokumentar- zu Spielfilm. Die augenscheinliche Qualität der Dokfilme in den letzten Jahren führte zur landläufigen Annahme nahe einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung, die Schweizer FilmerInnen würden einzig im Dokumentarfach reüssieren können. Dieses Jahr war mit «Die Kinder von Babel» von Lena Mäder gerade mal ein Dokumentarfilm (MA) zu sehen und ausgerechnet dieser hinterlässt den mit Abstand schwächsten Eindruck.
 

 
Die Höhepunkte
Unter den besten Resultaten, die 2017 präsentiert wurden – sie können irgendwann während der Ausbildung realisiert worden sein –, halten sich verblüffenderweise die Bachelor- und Masterarbeiten so ziemlich die Waage. Wobei zum wiederholten Male die voraussichtlich einer kommerziellen Kinoauswertung zugeführten Masterfilme – drei – nicht am öffentlichen Screening gezeigt wurden. Am in sich stimmigsten ist «The Kids Are Alright» von Rafael Kistler (BA). Ein Knirps beobachtet einen Halbwüchsigen beim Klauen und erpresst ihn mit einer Töfflimitfahrt. Als der Grössere den Kleinen am Bahnhof abstellen will, wird dieser von anderen Adoleszenten bedrängt, was ein energisches Eingreifen des Diebes aufdrängt. Glaubwürdig in der Entwicklung, stimmig in den Bildern, der Musik und dem Spannungsaufbau. «Les Heures-Encre» von Wendy Pillonel (MA) – auf französisch – weist die grösste Dringlichkeit auf. Der Druck auf die Industriearbeiter ist mit dem Verkauf der Fabrik nahe einer Unerträglichkeit gestiegen, worauf sich einer aus Protest selber verbrennt und eine Art Manifest hinterlässt. Dieses findet ein Kollege, der sich aber vor den Konsequenzen fürchtet, die Protestnote zuerst für sich behält, dann den Chef damit erpresst und erst mit wachsendem schlechtem Gewissen gegenüber der Ehefrau und Mutter des Verstorbenen die Mitmenschlichkeit über den Egoismus alias Angst erhebt. Kim Allamand (BA) wagt sich mit «Kinder der Nacht» auf ein gesellschaftliches Minenfeld. Eine Heranwachsende und eine junge Erwachsene haben sich im Internet zum gemeinsamen Suizid verabredet. Die Ältere beschleichen Zweifel, worauf ihr die Jüngere Verrat vorwirft. Die gefühlte Verpflichtung der Erwachsenen lässt sie danach trotzdem am Plan festhalten, aber sie scheidet entgegen der Jüngeren nicht dahin, dafür trifft sie auf deren entsetzte Eltern. «Fast Alles» von Lisa Gertsch (BA), in dem sich die Frau von ihrem jungen, mit Frühdemenz geschlagenen Mann davon überreden lässt, statt in die Klinik ans Meer zu fahren, wie auch «Zwischenstopp» von Cosima Frei (MA), in dem der zurückgelassene Bruder seine Schwester bei der Arbeit als Busreiseleiterin öffentlich blossstellt, um überhaupt wieder mit ihr ins Gespräch zu kommen, sind handwerklich einwandfrei gearbeitet. Ihr abrupter Schluss aber nährt den Verdacht, beide würden sich vor der Konfrontation mit der jeweils im Film aufgebauten Gretchenfrage drücken. Yasmin Joerg (MA) stellt sich dieser in «Sono Pippa» zwar, kürzt aber den Tochter-Mutter-Konflikt zu Lasten einer Nachvollziehbarkeit fast schon sprunghaft ab und schrammt mit dem forcierten Happy-End nur knapp an einer Telenovela vorbei.

 

Kinder und Horror
Ganz augenscheinlich war der Lehrgang «Horror Shorts» im Jahr 2015 beliebt. Und auffallend häufig ist das Kind, wenn nicht gleich der Kinderfilm, ein gehäuft interessierendes Thema. «Der Schwarzfärber» von Christina Welter (BA) malt sich eine fantastische Albtraumwelt eines Dreikäsehochs aus, deren Folgen weit in die Realität reichen. Ähnlich traumhaft – aber positiv besetzt – ist «Wolkenreiter» von Manuela Rüegg (BA) , in dem sich ein Junge vor der übersteigerten Effizienzerwartung der Mutter in eine Traumwelt flieht. Beide Filme überzeugen durch eine auffallend raffinierte Bildsprache. Dass sie je auch Abschlussarbeiten Kamera sind – Simon Wottreng (BA), Lukas Graf (MA) – dürfte deutlicher hervorgehoben werden. Der Druck mütterlicher Erwartungen ist auch bei «Nachtglühen» von Fabienne Andreoli (BA) anhand einer Eiskunstläuferin Thema, und nahe am Horror sind der kindliche Blick auf die elterliche Trennung von Emanuel Hohl (BA) in «Scherben» und der vergleichsweise witzigen «Maske der Normalität» von Oliver Rogers (BA) über den Unterschied zwischen selbst empfundener und bei Patienten therapierter Angst eines Psychiaters.
 

 
«Abschlussfilme des Bachelor & Master of Arts in Film an der ZHdK», letztmals Freitag, 30.6., alle drei Blöcke an einem Tag: 16, 18h und 20h, Kino Toni, Campus Toni, Zürich. www.filmstudieren.ch

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