- Gedanken zur Woche
Ab in die Vergangenheit
Am Dienstagmorgen präsentierte Bildungsdirektorin Silvia Steiner ihre Massnahmen zur Entlastung der Lehrer:innen. Ihr Vorschlag, der 67 Millionen Franken pro Jahr kostet (80 Prozent gehen zulasten der Gemeinden): Mehr anrechenbare Stunden für die Funktion als Klassenlehrer:in und mehr Ressourcen für die Schulleitungen und einen höheren Lohn für sie. Sie will damit die aus ihrer Sicht zentralen Funktionen für eine funktionierende Schule stärken: die Klassenlehrer:innen und die Schulleitungen.
Der 2017 eingeführte Berufsauftrag, der die Tätigkeiten der Lehrer:innen festhält und auf der Basis von Jahresstunden jedem Bereich Stunden zuteilt, wird leicht vereinfacht beibehalten, auch das Prinzip, dass pro Lektion 58 Jahresstunden berechnet werden. Für die Führung einer Klasse wurden bisher 100 Stunden angerechnet, neu sollen es mindestens 120 Stunden sein, und die Schulleitung erhält die Möglichkeit, diese Stunden je nach Zusammensetzung der Klasse weiter zu erhöhen.
Um es ganz kurz zu sagen: Die von Silvia Steiner vorgeschlagenen Massnahmen zielen in die richtige Richtung, aber die Dimension stimmt nicht; die Lehrer:innen und ihre Verbände äussern sich masslos enttäuscht. Sie hatten sich vor allem eine Erhöhung der angerechneten Stunden pro Lektion von 58 auf 62 Stunden (oder mindestens in dieser Richtung) gewünscht. Die Entlastungsmotion von Kantonsrat und Sekundarlehrer Christoph Ziegler verlangt 200 Stunden für die Klassenlehrer:innen. Wie man die Entlastung bewerkstelligt, ist an für sich ein technisches Detail, aber eine Entlastung von einer bis zwei Stunden pro Monat gleicht halt schon eher einem Tropfen auf den heissen Stein als einer wirklichen Verbesserung.
Damit komme ich zu meinem eigentlichen Thema, dem Angriff auf die integrative Schule, die mit einer eingereichten Initiative im Kanton und einem Positionspapier der nationalen Partei durch die FDP erfolgt. Unter dem Titel «Volksschule am Anschlag: zurück zum Bildungsauftrag» macht die FDP sich auf den Marsch zurück in die schulische Vergangenheit. Das beginnt mit einer falschen Grundanalyse: Dass das Erfolgsmodell Schule gefährdet sei. Es trifft zwar zu, dass gegen ein Viertel der Schüler:innen beim Verlassen der Schule so schlecht lesen und schreiben können, dass sie es im Alltag lieber bleiben lassen. Nur: Der integrativen Schule kann man höchstens vorwerfen, dass sie an diesem alten Zustand wenig verbessert hat. Wer wie ich seit gut 40 Jahren in der Schulpflege aktiv war, kommt zum Schluss: Wenn sich in der Zeit etwas wirklich verbessert hat, dann die Schule. Die Lehrer:innen arbeiten deutlich besser und intensiver miteinander, eigentliche Disziplinprobleme sind – abgesehen von ein paar Sekundarschulen – die Ausnahme und nicht die Regel, der Einbezug der Eltern ist an der oberen Grenze und die auch im FDP-Papier verlangte Förderung der besonders Begabten findet statt.
Die «künstliche und sehr teure Gleichmacherei in Form einer ausnahmslosen Integration» findet vor allem beim Freisinn, aber kaum in der Schule statt. Dort erfolgt der Unterricht individueller, was an die Lehrer:innen hohe und vor allem andere Anforderungen als in der guten alten Zeit verlangt. Was auch in der integrativen Schule zutrifft: Ein schwieriges Kind ist ein schwieriges Kind und wird kein einfaches, nur weil es nun eine integrative Schule besucht.
Ich habe die Sonderklassen noch besucht, habe zugeschaut, wie meist engagierte Lehrer:innen sich mit wenig Erfolg bemühten, Schwachbegabten die 8er-Reihe beizubringen oder wie sie versuchten, einen wilden Haufen von Buben vergeblich zu zähmen. Es gab damals auch andere Sonderklassen: Solche (A), in denen die erste Klasse in zwei Schuljahren absolviert wurde, und die Klassen für die Fremdsprachigen (E). Leider wurde das Zusammengehen von Kindergarten und erster Primarklasse in der Grundstufe in der Volksabstimmung abgelehnt. Damals kämpfte der Freisinn noch dafür. E-Klassen gibt es faktisch immer noch und sie geben auch Sinn, wobei sich die Situation sprachlich oft verändert hat: Abgesehen von Flüchtlingskindern treten heute selten mehrere Schüler:innen ohne Deutschkenntnisse miteinander in eine Schule ein und im Gegensatz zu früher, als zuerst die Italiener:innen und dann die Jugoslaw:innen in etlichen Klassen dominierten und so der Anreiz zur deutschen Sprache klein war, ist das Spektrum sehr viel breiter und Deutsch als gemeinsamer Nenner setzt sich leichter durch. Wobei es selbstverständlich auch heute Sinn macht, Ukrainer:innen zunächst in einer separaten Klasse zu unterrichten.
«Mit Lesen, Schreiben und Rechnen erhalten die Kinder ein stabiles Fundament, das sie befähigt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.» Ganz abgesehen davon, dass ich heute das richtige Bedienen eines Smartphones oder eines Automaten für den Alltag für relevanter als das Rechnen halte, fehlt eine sehr entscheidende Fähigkeit, die gerade für das Leben in urbanen Gegenden zentral ist: Der Umgang mit Menschen (respektive Kindern) aus verschiedenen Kulturen, Religionen und Gewohnheiten. Unsere Gesellschaft ist heterogen; erfolgreich ist, wer sich darin bewegen kann und nicht, wer dafür sorgt, dass er sich meist unter Gleichen bewegt. Dazu eignet sich eine integrative Schule entschieden besser als eine Schule, die möglichst viele Gleiche zusammenführt.
Die Sonderklassen (abgesehen davon, dass die Schulgemeinden sie immer noch führen können) wurden abgeschafft, weil sie ihre Ziele verfehlten und nicht aus ideologischen Gründen. Eine Minderheit der Lehrer:innen möchte sie reaktiveren, teilweise auch, weil sie für das Führen der integrativen Klassen nicht die Ressourcen erhielten, die sie sich erhofften und die auch versprochen wurden.
Eine erneute Abschiebung in Sonderklassen führt ganz sicher nicht zu Einsparungen. Der Umgang mit wirklich schwierigen Kindern ist aufwendig; ihre Integration in Regelklassen funktioniert mal besser, mal schlechter, kann für die Klasse eine Bereicherung, aber auch eine Schwierigkeit sein. Nur ist das in Sonderklassen nicht anders.
Typisch, wenn auch nicht nur für die FDP: Im ganzen Papier fehlt jeder Hinweis, dass Schüler:innen sehr viel und sehr gut von ihren Mitschüler:innen lernen. Und eine letzte Bemerkung: Ich bin überzeugt, dass bei der FDP viele wissen, dass ihre Rückkehr in die Vergangenheit falsch ist. Dass sie es trotzdem mittragen, weil man sich davon Aufmerksamkeit und eine Themenbeherrschung verspricht, macht traurig.