Ausgebremst

Austausch unter Berufskollegen. Die grossen Ferien sind vorbei. Die Reiseziele waren relativ unspektakulär. Lehrer A war in der Innerschweiz zelten. Ich war auf Favignana, einer Insel bei Sizilien. Lehrer B hatte Tagesausflüge in und um Luzern organisiert.

 

Kollege A hatte es ein wenig stressig. Zelten mit der fünfköpfigen Familie inkl. Kleinkind – das ist lustig, aber anstrengend. Vor allem der mittlere Bub, etwa im Kindergartenalter, ist ein rechter Springinsfeld. Keine Minute kann man ihn aus den Augen lassen, umso weniger, als er ein Flair für Stürze und eine Bienenstich-Allergie hat oder gerne mal verloren geht. Man beisst sich so durch, bis der unglücksbegabte Knabe irgendwie kopfvoran in einen Türpfosten des Campinggebäudes springt, sich eine üble Platzwunde holt, die genäht werden muss, und damit ein unmissverständliches Zeichen gibt: Zelte abbrechen, heimfahren! Fortsetzung der Ferien auf Balkonien. «Mir wars grad recht», kommentierte Kollege A. «Wer hat schon je beim Camping gut geschlafen?»

 

Bei mir war es wunderschön, nur fast ein wenig zu heiss. Sizilien im Juli-August eben. Nach der Ankunft schlief ich 17 Stunden durch und tat gegen Sonnenuntergang in der nahe gelegenen Bucht meinen ersten Schwumm. Mein Begleiter forsch voraus, ich etwas zögerlich hinterher – das Meer war durch die Spiegelung der untergehenden Sonne undurchdringlich, und ich habs nicht so gern, wenn ich den Grund nicht sehe. (Am liebsten schwimme ich ja in einem hellblauen 50-m-Bassin.) Plötzlich packt mich was an der Schulter, dann am Bein. Hilfee! Aaaau! Es piesackt mich wie mit Widerhaken, ich fuchtle es panisch weg und fliehe schwimmend-schreiend gen Land. Ein teuflischer Schmerz wie von einem nicht enden wollenden Stromschlag und üble Brandblasen – eindeutig eine Qualle. Und was für eine: Tagelang brennt es. Ich kann nicht mehr an die Sonne! Obwohl ich nie vor fünf Uhr das Haus verlasse, schwillt der Brand nach einer Woche ein zweites Mal an und juckt zum Aus-der-Haut-Fahren. Ich verschaffe mir ein potentes Antiallergikum, und ab jetzt bin ich für gar nichts mehr zu gebrauchen. Total weichgedämpft hänge ich im Schatten rum. Tiefenentspannung, Medusen sei Dank!

 

Kollege B stammt ursprünglich aus Luzern, und dahin hatten er und seine Lebensgefährtin ein seit Jahren mit ihr befreundetes ausländisches Paar eingeladen, das nebenbei gesagt zu Trauzeugen ausersehen war. Man hatte allerlei informative, vergnügliche, sportliche oder müssiggängerische Freizeitausflüge geplant und kochte täglich aufwändige Speisen. Allein, der Besuch erwies sich einerseits als hartnäckig neidisch auf die schweizerische Lebensart, die ihm unverschämt leicht vorkam, und andererseits als ziemlich resistent gegen die kulinarischen und kulturellen Versuchungen, denen man ihn aussetzte. Beim Essen wurden Verdauungsprobleme vorgeschützt (man fand später leere Packungen diätetisch wenig wertvoller Nahrung im Gästezimmer), und Herumfahren war zu anstrengend. Plötzlich erlitt angeblich ein naher Verwandter der Gäste einen Schlaganfall, sie reisten überstürzt ab, gingen nie mehr ans Telefon und entfreundeten das Schweizer Paar auf Facebook ohne jede Erklärung. «Also, meine Freunde waren es ja nicht. Ich war grad froh um die gewonnene Pärchen-Zeit mit meiner Freundin», fand Kollege B.

 

Tja. Da hat sich wohl irgendein hemdsärmliger Lehrpersonen-Schutzengel vorgenommen, diese Berufsgattung vor dem Freizeit-Burnout zu bewahren.

 

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