Schlechter Witz

Kennen Sie den? Eine Politikerin fragt ihren Kollegen: «Was sagten Sie neulich in Ihrer Rede zur Reform der Altersvorsorge?» «Nichts.» «Das ist mir klar, aber wie haben Sie es formuliert?» – Ein typischer Witz halt, nicht wirklich unlustig, aber auch nicht der Brüller. Die Altersvorsorge ist ja gerade wieder in aller Munde, und langsam erscheint mir das Thema integral als schlechter Witz.

 

Da ist einmal das Grundsatzproblem der Zweiten Säule. Die Pensionskassen sind in der Pflicht, auf dem Finanzmarkt sichere und passable Renditen einzufahren, was im heutigen Umfeld immer schwerer möglich ist. Das zwingt sie praktisch auf den Immobilienmarkt, der sowieso schon unter Druck ist, und treibt so die Mieten in die Höhe, was den tatsächlichen Wert der Renten wiederum schmälert. Statt eines Feilschens um den Umwandlungssatz und um Kompensationen wünschte ich mir eine Grundsatzdiskussion über Sinn und Unsinn der Zweiten Säule. Der Finanzmarkt hat sich ja in der jüngeren Vergangenheit nicht als verlässlicher Partner gezeigt, sondern primär als volatiles Casino, das das Anhäufen von Privatvermögen einer Elite als oberstes Ziel verfolgt. Das scheint mir kein passendes Fundament für eine zukunftssichere Altersvorsorge.

 

Und dann die Frage des Rentenalters. Die Bürgerlichen machen sie zur Frauenfrage, indem sie erst mal das Frauenrentenalter erhöhen wollen. Das geht natürlich aus linker Sicht gar nicht, und so diskutieren wir nun über Geschlechtergerechtigkeit, statt das Thema grundsätzlich anzugehen.

 

 

Die Positionen sind bezogen: «Um das Dreisäulensystem in der Altersvorsorge zukunftstauglich zu machen, braucht es zwingend ein höheres Rentenalter», schreibt etwa Peter Morf in der ‹Finanz und Wirtschaft› (8.7.2019). Tamara Funiciello auf der anderen Seite findet das «einfach nur dumm», so wird sie gleichentags von ‹Nau.ch› zitiert. «Denn: die Arbeitslosigkeit der Menschen über 50 Jahren steigt und steigt. Und trotzdem will man jetzt die Arbeitszeit verlängern – das macht hinten und vorne keinen Sinn.» Recht hat sie, und genau hier sehe ich den Ansatz, um dem Thema neue Dynamik zu geben. Statt im Schützengraben zu sitzen und jede Erhöhung des Rentenalters um jeden Preis zu verhindern, müssen wir die Bürgerlichen in die Pflicht nehmen: Schliesslich sind es die gleichen Köpfe, oder zumindest deren Parteifreunde, die als Politiker fordern, wir müssten länger arbeiten, als Arbeitgeber aber Leute über 50 nicht mehr einstellen.

 

Laut einer Umfrage von ‹Swiss IT Magazine› (Nr. 4/2019) betrachten 39 % der IT-Firmen Bewerbungen von InformatikerInnen über 50 kritischer als solche von jüngeren BewerberInnen, 15 % sortieren sie gar automatisch aus. Wer da noch eine Erhöhung des Rentenalters fordert, kann anscheinend nicht in Zusammenhängen denken!

 

 

Verlangen wir von der Wirtschaft als Gegenleistung für die Erhöhung des Rentenalters verbindliche, einklagbare Garantien, dass die Alten auch tatsächlich arbeiten dürfen. Etwa in einer Flexibilisierung nach Berufsgattungen: Steigt die Arbeitslosigkeit der über 50-Jährigen in einer Branche über einen bestimmten Wert, sinkt das Rentenalter in diesem Bereich automatisch um ein Jahr.
Damit der kürzeste IT-Witz in Zukunft irgendwann kein Witz mehr ist: Ein 60-Jähriger bewirbt sich um eine Stelle als Informatiker.

 

Markus Ernst

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