Ein gutes Leben

Ich war einmal im Kanton Schwyz. Am Herbschtmärt Freyebach, als Aushilfe an einer Standaktion der örtlichen SP-Sektion. Und ich hätte nicht gedacht, dass ich gerade dort wieder rechtsstaatlich werde.

 

Denn es war ein warmer und durchaus beschaulicher Tag, ich sortierte ein wenig Wahlprospekte und fand alles ziemlich richtig so. Dann bückte ich mich kurz, um mehr Broschüren zu holen und wurde, in den Untiefen von Kartonschachteln, Zeugin eines Gesprächs: «Ach wissen Sie, bei uns in Schwyz ist die SP nicht so links». Es war eine Genossin, die das sagte, ihr gegenüber ein Wähler.
 
Ich weiss schon, wie es ist. Oft mühsam. Diese epischen Diskussionen mit Menschen an Standaktionen, die ohnehin nie SP wählen werden und nur da sind, um uns einmal zu sagen, was wir alles falsch machen. Dann redet man gelegentlich einfach so daher, in der Hoffnung, es finde ein schnelles Ende. Ich weiss schon. Aber das hier, das war anders. Das war genau so gemeint.
 
Nun kann man durchaus, und soll es auch, über mehr oder weniger links diskutieren. Man kann auch überhaupt darüber reden, was links ist und was nicht. Aber in den meisten dieser Fälle geht es dann doch nur um eine einzige Sache: um die mit dem Ausländer. So war es auch hier. Dass man nur die Richtigen, also wirklich Verfolgten aufnehmen soll und dass diese sich an Recht und Ordnung unseres Landes zu halten haben und erst einmal beweisen müssen, dass sie den Aufenthalt und die Vorzüge unseres Rechtsstaates verdient haben. Sie waren sich schnell einig, die Genossin und der Wähler.
 
Denkt man dies zu Ende, findet man sich beispielsweise an der Minidemo der SVP vom letzten Montag wieder. Eine Handvoll SVPler mit einer Pappmaske von Corine Mauchs Gesicht über dem Kopf (immerhin sehen die so mal gut aus, dachte ich) versammelte sich vor dem Rathaus in Zürich. Weil Stadt und Kanton kürzlich ausländische Bewohnerinnen und Bewohner darauf aufmerksam machten, dass nächstes Jahr das Einbürgerungsrecht verschärft wird und deshalb Menschen, die die Kriterien für eine Einbürgerung erfüllen, gescheiter vorher eine solche beantragen, verfiel die SVP in den Skandalmodus. Denn: straffällige Eingebürgerte könnten dann nicht mehr ausgeschafft werden. So stand es auf ihrem Flyer. Ja, das ist so. Denn wir leben in einem Rechtsstaat. Dieser gilt für alle, ob eingebürgert oder Schweizerin und Schweizer seit Geburt, für gute und für schlechte Menschen. Das ist Sinn und Zweck dieses Konzepts. Und es ist meine tiefe Überzeugung, dass dieser Rechtsstaat nichts ist, was man sich verdienen muss. Mehr noch: Jede und jeder kann einen Rechtsstaat fordern oder dahin gehen, wo es einen gibt.
 
Zum Beispiel dahin, wo ich lebe. Denn mein Leben ist ein gutes Leben. Und es basiert einzig und allein auf eben diesem Rechtsstaat. Ich bin nichts ohne diesen willkürfreien Rahmen. Ich bin nichts ohne die Gewissheit, dass gleiche Rechte für alle gelten. Ich bin nichts, wenn ich meine Meinung nicht frei äussern, meine Überzeugung nicht offen leben kann. Mein Leben steht auf diesem einen Pfeiler, und im Kanton Schwyz, am Herbschtmärt Freyebach, habe ich gemerkt, dass es sehr wenig braucht, diesen Pfeiler zu stürzen. Mit Hilfe von ganz rechts und etwas weniger links bauen wir den Rechtsstaat um zu einer Exklusivität für Auserwählte. Wir vergessen dabei, dass ein Rechtsstaat nur solange etwas taugt, wie er für alle gilt. Mein gutes Leben ist eng verknüpft mit den Leben aller anderen Menschen in unserem Land. Wir sind zusammen alles, oder zusammen nichts.

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