Zuviel Gemütlichkeit?

Es gibt so Totschlagargumente, die ich nicht gerne höre.  «Das haben wir schon einmal versucht und es hat damals auch nicht funktioniert», beispielsweise. Oder:  «Jammern auf hohem Niveau». Letzteres ist ein wenig perfid, denn es ist nicht unwahr. Wir leben in einem reichen Land und in Frieden, und im Vergleich zu vielen Orten dieser Welt sind unsere Probleme halt wirklich «Jammern auf hohem Niveau». Gleichzeitig kann es ja aber auch nicht sein, dass es deswegen nichts zu kritisieren und zu verbessern gibt. Auch hier.

 

Und dennoch habe ich es auch schon gedacht. Und auch schon vorgebracht. Wenn ich die vielen Leitartikel in der NZZ lese, in denen über das schwere Leben in Zürich, dieser rotgrünen Hölle, geklagt wird. Rot-grün scheine in der Stadt Zürich alternativlos, klagt etwa Daniel Fritzsche: «Warum auch wechseln? Uns geht es doch gut, mögen viele Zürcherinnen und Zürcher denken. Die Trams fahren pünktlich, die Steuern sind hoch, aber für viele nicht erdrückend, der Bio-Laden um die Ecke verkauft Käse aus der Region.» Das mag den Zürcherinnen und Zürchern behagen, aber es ist natürlich nicht alles Gold was glänzt. Denn: «Über die Jahre sind die Schlüsselpositionen nicht nur in der Exekutive, sondern in der ganzen Verwaltung, im Kulturbereich und in den Wohnbaugenossenschaften mit Glaubensgenossen besetzt worden. Der rote Filz hat sich ausgebreitet.» Lucien Scherrer spitzt es noch zu: «Tatsächlich erinnert das, was da in Zürich entstehen soll, an das schwedische ‹Volksheim› der Wirtschaftswunderzeit: Ein System, das geprägt war von starker Umverteilung, ideologischer Verdichtung nach innen und betonter Abgrenzung nach aussen.» Und in diesem Volksheim wird der Bürger und die Bürgerin ideologisch umerzogen: 2000-Watt-Gesellschaft, genossenschaftlicher Wohnungsbau, Gleichstellung und ähnlicher Unfug wird ihm oder ihr beständig eingetrichtert. Aber das ist dem bösen Stadtrat nicht genug: Er will es den Bürgerinnen und Bürgern auch noch schön behaglich machen. Das ist zwar nicht nötig, aber: «Die richtige Frage im Volksheim ist nicht, ob etwas wirklich nötig ist. Sie lautet vielmehr: Was können wir tun, um das Heim noch behaglicher zu machen?»

 

Es ist ein Elend. Den Leuten geht es gut und sie sind zufrieden. Darum wollen sie offenbar einfach nicht das, was eigentlich für sie das Beste wäre, die bürgerliche Wende nämlich, konstatiert Luzi Bernet. «Das Hauptproblem für die Herausforderer dürfte im Umstand liegen, dass das Lebensgefühl der Stadtzürcherinnen und -zürcher ein gutes ist. Der Stadt geht es auf den ersten Blick ausgezeichnet, die Lebensqualität ist hoch, die Arbeitslosigkeit niedrig.» Aber eben – allzuviel Wohlbefinden ist ungesund: «Diese allumfassende Fürsorge und Regulierung wäre eigentlich rührend, wenn sie nicht zum Verlust von Eigenverantwortung und zu Strukturen führen würde, die à la longue ausgesprochen kostspielig und mithin kaum finanzierbar sind.»

 

Tatsächlich sind die grossen Städte seit Jahren fest in rot-grüner Hand. Und mittlerweile ziehen auch die kleineren Städte nach. Und es sieht nicht aus, als würde sich daran etwas ändern. Markus Somm, Chefredaktor der ‹Basler Zeitung›, ortete vor den Regierungsratswahlen in Basel eine «feine Wechselstimmung.» Er führte dazu ein paar handfeste Gründe an: «Die Linke ist – wie übrigens in ganz Europa – innerlich zerschmettert, seit sie spürt, dass sich die Realität nicht ihren ideologischen Vorlieben beugt. Migration, Staatsverschuldung, miserable Schulen, eine EU im Zerfall, eine Verkehrspolitik, die den Kollaps betreibt, Dreck in den Strassen, Hochschulen, die versagen, Professoren, die man nicht kennt, Sozialhilfeempfänger, die sich wundersam vermehren.» Der Ausgang der Wahlen ist bekannt: Die Baslerinnen und Basler schienen sich durch unbekannte Professoren nicht allzu fest beeindrucken zu lassen und wählten wieder eine rot-grüne Mehrheit in die Regierung.

 

Die rot-grünen Städte sind unter dem Strich nun mal – und das geben ja auch die bürgerlichen KritikerInnen zähneknirschend zu – eine Erfolgsgeschichte. Als in Zürich tatsächlich Wechselstimmung herrschte, noch vor der rot-grünen Wende, war sie in schlechter Verfassung. Um die Finanzen stand es schlecht, niemand wollte mehr in der Stadt wohnen ausser Arme, Arbeitslose und AusländerInnen, es gab Drogenelend und der Stadtrat hatte mehrere Skandale hinter sich. Mittlerweile leidet Zürich eher unter der Kehrseite des Erfolgs: Eine wachsende Bevölkerung verursacht Kosten, zahlbarer Wohnraum ist rar. Finanziell Schwache werden dadurch aus der Stadt verdrängt.  Nun ist klar, dass nicht alles auf dem Mist des Stadtrates gewachsen ist. Auch die Tüchtigen brauchen eine Portion Glück. Doch ganz zufällig ist diese Entwicklung auch nicht: Dass sich Zürcherinnen und Zürcher in der Stadt wohl fühlen, dass die Lebensqualität hoch bewertet wird, hat eben auch mit konkreter Politik zu tun.

 

Dank Lucien Scherrer habe ich mich denn auch noch etwas mit der ‹Volksheim›-Idee befasst. Der Begriff ‹Volksheim› kam ursprünglich aus nationalistischen Kreisen. Später nahmen ihn die Sozialdemokraten auf. Per Albin Hansson erklärte ihn 1928 so: «Im guten Heim gibt es keine Privilegierten oder Benachteiligte, keine Hätschelkinder und keine Stiefkinder. Dort sieht nicht der eine auf den anderen herab, dort versucht keiner, sich auf Kosten des anderen Vorteile zu verschaffen, und der Starke unterdrückt nicht den Schwachen und plündert ihn aus. Im guten Heim herrschen Gleichheit, Fürsorglichkeit, Zusammenarbeit und Hilfsbereitschaft. Auf das Volks- und Mitbürgerheim angewandt, würde das den Abbau aller sozialen und ökonomischen Schranken bedeuten, die nun die Bürger in Privilegierte und Benachteiligte, in Herrschende und Abhängige, in Reiche und Arme, in Begüterte und Verarmte, in Ausplünderer und Ausgeplünderte teilen.»

 

Für Lucien Scherrer klingt das wohl ein bisschen nach Gutmenschenmief, einer angestaubten und etwas durchgesessenen Polstergarnitur. Und natürlich bringt die lange rot-grüne Regierungszeit auch gewisse Abnützungserscheinungen mit sich. Der vergangene Erfolg entbindet den Stadtrat nicht davor, frische und neue Ideen zu haben. Auch Ideen für jene, die bis anhin nur wenig vom Erfolg der Stadt profitieren konnten.

 

Tatsächlich kann einem auch das schönste Mobiliar einmal ein wenig verleiden. Dabei muss man sich aber gut überlegen, ob man den bequemen Sessel wirklich gegen ein teures Designer-Modell austauschen will, auf dem es sich nicht gut sitzt und das man sich gar nicht leisten kann. Es wär sonst ein Jammer.

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