Zehn Jahre Zeit

Neulich war ich im Kunsthaus. Dort feiern sie 50 Jahre Mondlandung mit einer Ausstellung, die ich mal höflich mit «eklektizistisch» bezeichnen möchte. Man kann auch sagen: Chrüsimüsi. Aber auch das war durchaus geeignet, um Erinnerungen zu wecken.

 

An diesem Tag im Juli 1969 gingen wir alle zu Baltensbergers in den ersten Stock, weil die waren die einzigen im Haus, die «einen Fernseh» hatten. Sechs Mietparteien quetschten sich in Baltensbergers guter Stube vor den Tivi und guckten Mondlandung, kommentiert von Bruno Stanek, dem einzigen Raumfahrtexperten in der Schweiz, und selbstverständlich in schwarz-weiss und, aus der Entfernung eines halben Jahrhunderts geschätzt, mit einer Bildschirmdiagonale wie euer Laptop heute. Wenn ich jetzt die Bildli der Mondlandefähren betrachte, so zusammengelötete Dinger aus Stahlröhren, Alufolie und jeder Menge von Kabelsalaten, staune ich, dass überhaupt jemand freiwillig in so ein Teil eingestiegen ist. Vielleicht war’s ja doch nur eine Inszenierung in einem Hangar. Aber wie auch immer: Wir sassen vor der Glotze und hörten Armstrong dabei zu, wie er den Satz quäkte, den ihm ein Werbebüro aufgeschrieben hatte, vom kleinen Schritt von ihm und dem grossen für die Menschheit. Wir waren begeistert.

 

1969 war die Schweiz noch knapp nachhaltig, das heisst, sie ging gerade daran, es nicht mehr zu sein. Viele Indikatoren weisen darauf hin, etwa der Gesamtenergieverbrauch, und der Fussabdruck scheint in der Tat noch bei 1 gelegen zu haben. Allerdings ist das eine gewagte Behauptung, denn entsprechende Daten waren ja noch Mangelware. Dennoch darf ich sagen, dass ich aus einer nachhaltigen Generation stamme und nicht aus der Höhle, oder wenn schon, aus einer ölbeheizten, mit Schwarzweiss-TV. Aber schon da war natürlich schon lange nicht mehr alles im Lot.
Bereits 1962 war das Buch von Rachel Carson erschienen, Silent Spring, das als Start der Umweltbewegung bezeichnet wird, über den Einsatz von Umweltgiften, die bis heute (!) ein ungelöstes Problem darstellen. Und 1968 veröffentlichte die Apollo-8-Mission ihr ikonisches Bild der blauen Erdkugel, die aus dem Weltall aufsteigt. Ab da ging’s los mit der Mutter-Erde-Romantik, Pachamama hier, Gaia dort, alles in groteskem Kontrast zur ebenfalls startenden Ausbeutung der ach so zerbrechlichen Erde, Scheiss drauf: Die Vulnerabilität von Mutter Erde hat noch nie jemanden ernsthaft interessiert, zuallerletzt den Kapitalismus. Der hat seither jede Menge Instrumente und Anreize geschaffen, um die zarte Kugel auszubeuten, aber kein einziges, um sie nicht auszubeuten. Vom Markt sind keine Signale für die Weltrettung zu erwarten.

 

50 Jahre. Nichts gemacht, um die Welt auf nachhaltige Bahnen zu lenken. Auf den Mond fliegen können sie, aber die Weltrettung überlassen sie Greta. Natürlich hat auch das Kunsthaus, in seinem Sammelsuriumseifer, das Kennedy-Zitat ausgegraben, das er im Mai 1961, sechs Wochen nach dem Gagarin-Coup der Sowjets, von sich gab: Innert zehn Jahren solle ein US-Amerikaner den Mond betreten. «Es ist an der Zeit, dass diese Nation eine klare Führungsrolle im Weltraum einnimmt.» Damals haben die Bürgerlichen irre applaudiert und sich vor Freude eingenässt über den Pfundskerl, der eine solch wunderbare Utopie formulierte. Wenn man ihnen heute sagt, man wolle innerhalb der nächsten zehn Jahre auf Netto Null bei den CO2-Emissionen, nässen sie sich schon wieder ein. Dieses Mal vor Angst. Es ist an der Zeit, dass wir eine klare Führungsrolle bei der Ökologisierung der Welt einnehmen.

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