«Wir wollen die 100 Prozent»

Am vergangenen Montag fand der vorläufig letzte von fünf Workshops der SBB zum Planungsverfahren Neugasse Zürich in Zusammenarbeit mit der Stadt Zürich statt. Trotz Pionierleistung bezüglich Partizipation der Bevölkerung bleiben viele Fragen offen, nicht zuletzt jene nach dem Anteil gemeinnütziger Wohnfläche.

 

Julian Büchler

 

Auf dem heutigen Gebiet der Reparaturwerkstätte Depot G der SBB entsteht auf rund 30000m2 das Areal Neugasse Zürich. Unter öffentlicher Beteiligung fanden vier Workshops statt, aus denen die SBB und ihr Planungsteam nun ein städtebauliches Konzept entwickelt haben. Dieses Konzept galt es, im Rahmen des fünften Workshops zu inspizieren sowie geforderte Änderungen und Ergänzungen festzuhalten. Stadtpräsidentin Corine Mauch sprach in ihrer Eröffnungsrede von einem Verfahren, das in seiner Form, bestehend aus gemeinsamer Planung von Fachkräften und interessierten Laien, für die Stadt Zürich Neuland bedeutet.

 

Res Keller vom Verein Noigass äusserte sich kritisch zum Partizipationsverfahren. Aufgrund der Rahmenbedingungen, die von Anfang an festgelegt wurden, sei der Einfluss der Partizipierenden sehr begrenzt gewesen. Obwohl eine Mehrheit der Workshopteilnehmenden sich deutlich zu mehr günstigem Wohnraum äusserte, habe die SBB nicht mit sich verhandeln lassen. Es sei höchste Zeit, dass die Weichen neu gestellt würden. Wie ein Bericht des statistischen Amtes der Stadt Zürich zeigt, verlagert sich der Kreis 5 weg von einer Stadt für alle hin zu einer Stadt für wenige. Der mittlere Mietzins für eine Dreizimmerwohnung im äusseren Kreis 5 liegt bei 2370 Franken. Würden nun 200 weitere dieser Wohnungen und nur 100 günstige neu gebaut, treibt dies auch die Preise im inneren Kreis 5 in die Höhe. Obwohl die SBB kommuniziere, dass sich mit der Forderung von 100 Prozent günstigem Wohnraum das Projekt nicht realisieren lasse, ist Res Keller überzeugt, die SBB zu überzeugen, von einer maximalen Rendite wegzukommen und so auch wohnpolitische Fehler der Vergangenheit zu korrigieren.

 

Wohnblöcke, Gewerbe und Schule

Robin Winogrond und Markus Schäfer haben in Zusammenarbeit mit vier Architekturbüros und mit Hilfe der Verkehrsplanung, Umweltverträglichkeit und Raumplanung das städtebauliche Entwicklungskonzept nach den Erkentnissen der Workshops erarbeitet. Der Eisenbahncharakter sei ein zentrales Element und soll auch an der Neugasse nicht gänzlich verschwinden, so Robin Winogrond. Einzelne Gleise sollen in die Freiräume integriert werden und das heutige Depot G als Backsteingebäude erhalten bleiben. Dieses fungiert im Entwicklungskonzept als Mittelpunkt des Areals. Neben Räumen fürs Gewerbe und zwei Hochhäusern soll im östlichen Teil eine Schule Platz finden. Auf der Höhe des Stellwerkes sind drei weitere Wohnkomplexe geplant. Der Anteil an Wohnungen auf dem ganzen Areal ist mit drei Vierteln von der SBB vorgegeben. Weitere Wohnblöcke sind im Gleisspitz und vis-à-vis von den Viaduktbögen geplant. Die Gebäude sollen allesamt verschiedene Höhen aufweisen, sodass die Dächer als Terrassen und Grün- bzw. Gartenflächen genutzt werden können. Auch sonst wird dem Grünraum viel Platz eingeräumt. Der Raum zwischen dem geplanten Areal Neugasse und den bestehenden Gebäuden der Eisenbahnergenossenschaft Dreispitz soll zu einem übergreifenden Park ausgeweitet werden, der die beiden Teile vereint. Im vordersten Teil direkt am Gleisfeld soll eine Begrünung zudem den Lärm eindämmen. Verkehrstechnisch setzt das Entwicklungskonzept auf Fuss- und Veloverkehr. Durch die Umnutzung soll durch das ganze Quartier weniger Verkehr fliessen – wie die SBB dies konkret erreichen will, bleibt aber noch offen.

 

Die Fragen und Kritiken der TeilnehmerInnen des fünften Workshops waren denn auch vielfältig. Die geplante Umnutzung des Depot G polarisierte am meisten. Zu massiv sei der Backsteinbau im Entwicklungskonzept bemessen, er durchtrenne das Areal ungünstig in der Mitte, was der geforderten Lebendigkeit des Quartiers und dessen Durchlässigkeit schade. Auch über die vorgesehenen Hochhäuser war man/frau sich uneinig. Grosse Bedenken äusserten die TeilnehmerInnen, dass sich günstiger Wohnraum nicht mit einem Hochhausprojekt vereinen liesse. Auch der Schattenwurf, der aufgrund der Sonnenposition direkt auf die dahinterliegenden Gebäude und Teile der Josefswiese falle, sei zu bedenken. Für die geplante Schule konnten sich nur wenige begeistern, diese sei angesichts der bereits grossen Dichte an Schulhäusern kaum notwendig.

 

Die SBB will die Kritik aufnehmen und ins definitive Konzept aufnehmen. Nachdem dem Stadtrat Mitte Dezember das definitive Planungskonzept überreicht wird, kommt das Geschäft in den Gemeinderat. Ob dieser der Umsetzung zustimmt, sich dagegen ausspricht, oder die Stadt das Areal gegebenenfalls der SBB abkauft, um selber darauf zu bauen, bleibt offen.

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