«Wir müssen uns politisch einmischen»

Christine Goll wurde am 17. November zur Nachfolgerin von Marianne de Mestral als Co-Präsidentin der SP 60+ gewählt. Was sie an diesem Amt reizt und wo sie die SP 60+ in der Zukunft sieht, erklärt Christine Goll im Gespräch mit Nicole Soland.

 

Was hat Sie dazu bewogen, fürs Co-Präsidium der SP 60+ zu kandidieren?

Christine Goll: Angefragt wurde ich von der SP 60+ bereits vor längerer Zeit. Den Ausschlag für meine Zusage zu kandidieren haben vor allem Menschen im näheren und weiteren Umfeld der SP 60+ gegeben: Einerseits hat mich die Wahl von Mattea Meyer und Cédric Wermuth sehr gefreut, nicht nur, weil ich die beiden kenne und schätze, sondern weil ich mit ihnen an der Spitze der SP Schweiz eine Chance für den Aufschwung der Partei sehe. Andererseits habe ich Ende August alle Geschäftsleitungsmitglieder der SP 60+ getroffen, und diese persönlichen Begegnungen haben mich in meinem ersten Eindruck bestärkt, dass mir diese Aufgabe Spass machen würde. Gespräche mit dem Co-Generalsekretariat, politischen SekretärInnen und der Sekretärin von SP 60+ haben bestätigt, dass wir auch über personelle und finanzielle Ressourcen verfügen, denn ohne diesen Rückhalt kann die SP 60+ nicht wirkungsvoll aktiv sein.

 

Was schätzen Sie an der SP 60+, was ist Ihnen wichtig?

Ich kenne viele aktive Mitglieder der SP 60+ aus meiner eigenen aktiven Zeit: Als ich Vizepräsidentin der SP Schweiz war, habe ich verschiedene kantonale Sektionen besucht und dort auch ältere Genossinnen und Genossen kennengelernt. Heute bin ich überzeugt: Wer engagiert ist und viel berufliche und politische Erfahrung – und vor allem auch Lebenserfahrung – mitbringt, muss sich politisch einmischen. Die SP muss verschiedene Zielgruppen ansprechen und deren Inte­ressen verteidigen. Deshalb sind die Organe der SP Schweiz, wie die SP 60+, die Juso, die SP-Frauen und die SP-MigrantInnen, so wichtig, um gemeinsam überzeugende linke Politik zu machen. 

 

Wohin möchten Sie ‹Ihr› Organ der SP Schweiz in Zukunft führen?

Als Nationalrätin war ich 20 Jahre lang
Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit, und auf sozial- und gesundheitspolitische Themen müssen wir unseren Fokus legen: Das Megathema im kommenden Jahr wird die Zukunft der Altersvorsorge sein. Die Vorlage AHV 21, die zulasten der Frauen gehen würde, ist inakzeptabel, und auch die Botschaft des Bundesrats zur 2. Säule, die voraussichtlich nächste Woche publiziert wird, trägt nichts zur Sicherung der Renten bei, sind die Pensonskassenrenten doch ohnehin seit zehn Jahren im Sinkflug. Wir müssen endlich dem Bundesverfassungsartikel, der existenzsichernde Renten vorschreibt, zum Durchbruch verhelfen. Die Stärkung der AHV tut not. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass sich die SP60+ aktiv an der Unterschriftensammlung für die Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente beteiligt, damit diese schnell eingereicht wird und im Parlament mit den anstehenden Vorlagen zur Altersvorsorge behandelt werden muss. Diese Initiative ist zurzeit das einzige überzeugende und realisierbare Gegenprojekt zu allen Renten-Abbauplänen. 

 

Gibt es auch Themen, die Sie wegen der Corona-Pandemie vorziehen werden?

Wenn die Corona-Krise uns eines gelehrt hat, dann dies: Wir müssen solidarisch handeln. Während der Pandemie sind viele Solidaritätsnetze entstanden, die Menschen haben einander geholfen, man ist zum Beispiel für seine NachbarInnen einkaufen gegangen. Doch was ich leider ebenfalls sehr oft gehört habe, waren negative Bemerkungen über ältere Menschen. Während des Lockdowns wurden viele nur schon deshalb scheel angeschaut, weil sie es wagten, überhaupt noch aus dem Haus zu gehen. Die Altersfeindlichkeit und die Gefahr der Altersdiskriminierung nimmt zu. Gleichzeitig wird zunehmend versucht, die Alten und die Jungen gegeneinander auszuspielen – natürlich um damit Rentenkürzungen zu legitimieren.

 

Was wollen Sie dagegen tun?

Wir müssen solchen Tendenzen eine Alphabetisierungskampagne entgegensetzen: Wir müssen aufzeigen, wie die AHV als wichtigstes Solidarwerk funktioniert. Wir müssen erklären, dass ihre Finanzierung kein Naturereignis ist, sondern eine Frage des politischen Willens. Als Volksversicherung leistet die AHV einen Ausgleich sowohl zwischen Jung und Alt als auch zwischen Reich und Arm. Sie ist die einzige ‹Reichtumssteuer›, die wir haben, denn auch auf die höchsten Löhne und auf das Vermögen werden Beiträge erhoben. Die AHV ist zudem die einzige Sozialversicherung, die mittels Erziehungs- und Betreuungsgutschriften auch die unbezahlte Arbeit im Privaten, die grossmehrheitlich von Frauen geleistet wird, honoriert. In der heutigen Corona-Zeit ist es wichtig, dass wir die Massnahmen, die vorgeben, die ältere Bevölkerung schützen zu wollen, kritisch unter die Lupe nehmen. Altersgrenzen sind unannehmbar: Es darf keine Altersguillotinen geben, etwa beim Zugang zur Gesundheitsversorgung, bei der Partizipation am gesellschaftlichen Leben oder der politischen Mitwirkung. Die Alten dürfen nicht als Sündenböcke missbraucht oder weggesperrt werden.

 

Wo setzen Sie weitere politische Schwerpunkte?

Ich stehe voll und ganz hinter den Grundwerten der SP 60+, die sich unter anderem den Einsatz für Gleichberechtigung und Selbstbestimmung älterer Menschen und die Förderung der Beteiligung älterer GenossInnen am gesellschaftlichen und politischen Geschehen auf die Fahne geschrieben hat. Ich finde es aber auch wichtig, dass die SP 60+ als Bewegung gestärkt wird. Im Moment hat die SP 60+ 2152 Mitglieder; das ist ein schöner Erfolg, doch das Potenzial innerhalb der SP Schweiz ist mindestens fünfmal so gross. Dieses Potenzial möchte ich ausschöpfen und die Alten als Bewegung sicht- und hörbarer machen. Auch für die SP als Partei ist es wichtig, ihre Bewegungen zu stärken. Ich kann mir gut vorstellen, innerhalb der SP Schweiz mehr mit den Juso, den Frauen und den Mi­grantInnen zusammenzuarbeiten. Vor allem aber hoffe ich, dass sich noch mehr Genoss­Innen bei uns engagieren. Immerhin umfasst die SP 60+ Mitglieder im Alter von 60 bis gegen 100, also mindestens zwei Generationen, und das macht es zusätzlich spannend, sich zu vernetzen und sich gemeinsam politisch einzumischen.

 

Hier geht es zum Interview mit Marianne de Mestral.

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