«Wir müssen liefern, oder wir sind geliefert»

Mit dem Weltrekord beim Crowdfunding hat das Online-Magazin ‹Republik› einen super Start hingelegt. Wie es nun weitergeht, bis die erste Ausgabe erscheint, erklärt ‹Republik›-Mitgründer Constantin Seibt im Gespräch mit Nicole Soland.

 
 
Die ‹Republik› ist, so steht es zumindest auf ihrer Website, «eine kleine Rebellion. Für den Journalismus. Und gegen die Medien­konzerne». Warum findet diese Rebellion gerade jetzt statt?

Constantin Seibt: Seit den ersten Skizzen von Christof Moser, damals noch Oliver Classen und mir sind drei Jahre vergangen. Was «gerade jetzt» passiert, brauchte ziemlich lange Vorbereitung. Wir haben Ideen gewälzt und Dutzende Konzepte verworfen. Beim Studium von früheren Projekten wurde schnell klar: Es funktioniert nicht, wenn JournalistInnen einfach so etwas gründen. Und glauben, ihr Produkt werde automatisch gelesen, wenn sie guten Journalismus böten. Das Resultat waren oft ehrenwerte, kaum finanzierte Medien an der Grenze zu Hobbyunternehmen. Damit war für uns klar, dass wir nicht nur funktionierenden Journalismus brauchen, sondern auch eine funktionierende Firma. Dafür braucht es andere Leute: Start­up-ExpertInnen, Organisationsprofis, IT-Cracks und Menschen, die etwas von Finanzen verstehen.
 
 
Sie wollen seit drei Jahren nicht nur den Journalismus neu erfinden, sondern auch das Verlagswesen?
Unser Ziel lautet, nicht nur ein überzeugendes journalistisches Produkt zu bauen. Sondern auch ein neues Modell, um es zu finanzieren.

Das tönt nach einem schwierigen Unterfangen.
Wenn es einfach wäre, gäbe es dieses Produkt längst. Das Kernproblem dabei ist die Grösse: Wann ist die ‹Republik› gross genug, um schlagkräftig zu sein, und wann klein genug, um zu überleben? Wir sind zum Schluss gekommen, dass ein Medium mit rund 20 000 AbonnentInnen machbar wäre. Dann gingen wir mit dem Plan zu Investoren.
 
 
Das unterdessen berühmt gewordene Crowdfunding, das noch bis Ende Mai läuft, sollte demnach nur die Butter aufs Brot liefern?
Das Crowdfunding diente als harter Markttest. Damit unsere Investoren ihr Geld und wir unser Leben nicht in etwas total Chancenloses investieren. Dass es derart erfolgreich werden würde, war unvorhersagbar. Die Leute sind offensichtlich bereit, in Journalismus zu investieren. Ich denke, mit dem Timing haben wir Glück gehabt.
 
 
Dass die grossen Verlagshäuser immer mehr zu Gemischtwarenläden werden und immer weniger in den Journalismus investieren, ist kein neues Phänomen: Sind Sie mit der Gründung der ‹Republik› nicht eher spät dran?
Eine gewisse Dringlichkeit für ein Projekt wie die ‹Republik› ergab sich in den letzten Jahren dadurch, dass überall Demokra­tien in autoritäre Demokratien kippten; virulent wurde dies letztes Jahr mit Trump, Erdogan, Le Pen. Dass Medienschaffende die Krise der Medien bereits früher gespürt haben, liegt auf der Hand; die breite Gesellschaft jedoch beginnt sich jetzt zu fragen, wie es um die Rolle der Medien als vierter Gewalt steht. Und inwiefern unsere etablierten Medien diese Rolle überhaupt noch ausfüllen. Vor zehn Jahren hätte ein Projekt wie die ‹Republik› noch keine Chance gehabt. Vor zwei Jahren möglicherweise auch noch nicht.
 
 
Die ‹Republik› wird nicht auf Papier erscheinen, sondern ausschliesslich online. Auf den Websites von herkömmlichen Zeitungen werden doch hauptsächlich «Sex & Crime»-Geschichten angeklickt: Wie wollen Sie ein anspruchsvolles Publikum ins Internet locken?
Beim ‹Tages-Anzeiger› laufen nicht nur Sex-, Tier- und Skandalgeschichten gut, sondern auch Hintergrundstories – wenn sie gut erzählt sind. Das Publikum ist eigentlich ganz vernünftig: Es wählt das Steak und das Dessert – das Gemüse dazwischen wird ignoriert. Das Problem bei werbefinanzierten Online-Portalen ist: Es gibt durchaus brauchbare Geschichten, aber diese verschwinden in einem Wust von halbguten, halbfertigen, halbgefachten Geschichten. Und diese werden nicht weniger, weil überall gespart wird. Tamedia beispielsweise plant Redaktions-Zusammenlegungen von unbekanntem Ausmass. Schlechter Journalismus kommt nicht wegen schlechter Journalisten, sondern weil das System sich ändert, wenn die Werbung in den Suchmaschinen verschwindet. Es reicht nicht zu sagen, «es braucht doch bloss mehr guten Journalismus». Es braucht ein Modell, das diesen finanziert.
 
 
Aber in die Grössenordnung der Leserschaft eines ‹Tagi› oder einer NZZ wollen Sie doch bewusst nicht vorstossen?
Nun, falls etwas Wildes passierte, wenn zum Beispiel Christoph Blocher den ‹Tages-Anzeiger› kaufen würde, dann würden wir schnell wachsen… Aber darum geht es jetzt nicht. Zuerst einmal müssen wir liefern. Über 11 000 zukünftige LeserInnen haben uns ihr Vertrauen geschenkt – wir dürfen sie nicht enttäuschen. Das wird ein Kampf, der hart genug ist. Für die Grundversorgung jedoch sind wir nicht zuständig, und das werden wir auch nie stemmen können: eine solide Nachrichtenorganisation ist richtig teuer. Ich glaube, diese wird dereinst eine staatliche Stiftung finanzieren, denn dafür braucht es nun mal eine Lokalredaktion, eine Wirtschaftsredaktion und so weiter, eben sehr viel Geld. Wahrscheinlich läuft es auf eine SRG für Zeitungen hinaus; in Skandinavien gibt es bereits solche Modelle. Die ‹Republik› ist einfach ein Modell, in dem es sofort möglich ist, konsequenten Journalismus zu machen.
 
 
Die ‹Republik› will dereinst drei Geschichten pro Tag publizieren. Nun gibt es kaum täglich einen grossen Spionage- oder Korruptionsfall aufzudecken: Womit müssen bzw. dürfen Ihre künftigen LeserInnen konkret rechnen?
Gute Geschichten sind unser Kerngeschäft, wobei es sich um relativ komplexe Themen handeln wird. Also um solche, wo es wirklich Recherche und Journalismus braucht. Weil man allein am Esstisch nicht entscheiden kann, was von ihnen zu halten ist.
 
 
Etwas konkreter, bitte?
Wir bekommen zum Beispiel mit, dass eine Fabrik wegen der Robotisierung schlies­sen muss. Also schicken wir eine Reporterin ins Silicon Valley, um sich vor Ort schlau zu machen, wo die Robotisierung aktuell steht, was in der Pipeline steckt und was noch kommt: Wissenschaftler sagen ja, dass in naher Zukunft die Hälfte aller Jobs durch Roboter ersetzt werden. Die Frage ist: Stimmen die Prognosen? Sind sie Hype, oder wenn nicht, welche Jobs trifft es? Die Nachfolgestory wäre dann vielleicht eine Skizze der Möglichkeiten, unsere Gesellschaft umzubauen – wie sieht die aus, wenn die Arbeit keine zentrale Rolle mehr hat. Eine lockere Nachfolgestory könnte etwa sein, wie man es in einer roboterisierten Welt anstellt, sich die Roboter zum Freund zu machen. Oder dazu, was für Steuern wir brauchen, wenn hauptsächlich Roboter arbeiten und nicht Menschen, denn von Robotern betriebene Branchen brauchen ja nur Kapital und keine menschlichen Arbeitskräfte.
 
 
«Ambitioniert» ist nur der Vorname dessen, was Ihnen vorschwebt, oder täuscht der Eindruck?
Wir möchten unsere Geschichten möglichst breit aufmachen und vor allem aufzeigen, was hinter dem jeweiligen Phänomen steckt, das wir beschreiben: Welche Optionen gibt es? Was ist Hype, was nicht? Das geht natürlich nicht ohne Recherche, und man kann es auch nicht vom Schreibtisch aus erledigen. Wir wollen für unser Publikum eine Dienstleistung erbringen: Wir sind gewissermas­sen sein Expeditionsteam in der Wirklichkeit. Wir verschaffen uns einen Überblick, treten dann einen Schritt zurück – und berichten.
 
 
Die ‹Republik› könnte also auch ganz woanders daheim sein als an der Zürcher Langstrasse, weil sie ihren Blick sowieso überallhin richtet, wo sie eine gute Geschichte wittert?
Lokal angebunden muss eine Geschichte tatsächlich nicht sein, aber sie muss sich mit etwas befassen, was in der Luft liegt. Und wir wollen etwas Substanzielles zu den Debatten beitragen. Auf Zürich oder die Schweiz fixiert sind wir jedoch nicht: Wir berichten über die Schweiz, aber relativ unschweizerisch.
 
 
Will heissen?
Ein wenig, als wären Aus­serirdische in in der Schweiz gelandet und machen Journalismus… Nah bei den Leuten also, aber aus einem Blickwinkel, wie wenn wir vom Mars aus schauten: So stelle ich mir unsere Berichterstattung vor.
 
 
Und, sind Sie auch so gespannt wie das geneigte Publikum, wie es effektiv herauskommen wird?
Der Erfolg des Crowdfundings kam unerwartet, jetzt geht es darum, den Businessplan anzupassen. Was den Journalismus angeht, sind die Gefahren gestiegen: Wir müssen liefern, oder wir sind geliefert. Sind unsere Geschichten fehlerhaft und/oder langweilig, ist es vorbei. Wir haben viel Verantwortung erhalten. Und da ist es keine Option, sich rauszuschmuggeln.
 
 
Und was machen Sie als nächstes?
Eine unserer nächsten Herausforderungen besteht darin, eine schlagkräftige Redaktion zu bauen. Also die 800 Stellenprozente für die Redaktion auf elf Leute zu verteilen sowie die freien MitarbeiterInnen zu finden, für die total 300 Stellenprozente reserviert sind. Rund die Hälfte der Belegschaft soll aus Frauen bestehen.
 
 
Warum ist Ihnen die Geschlechterfrage so wichtig?
Bei Medienprojekten hat häufig eine Gruppe älterer Herren das Sagen; es dominieren Erfahrung und Testosteron. Wir haben uns für ein Kernteam mit dem Verhältnis 50:50 entschieden und für Frauen auf Chefposten. In unserem Team soll der Ton etwas anders sein, wir wollen sorgfältig und mit breiter Lebenserfahrung an die Arbeit gehen. Das bedeutet längere Debatten, aber auch smartere Lösungen. Bei der Entscheidung für ein gemixtes Team auch mitgespielt, dass unsere Idee so breit eingeschlagen hat.
 
 
Der Aufmarsch zum Start des Crowdfundings war tatsächlich gewaltig. Sie haben nun über 11 000 VerlegerInnen: Sind das nicht etwas gar viele? Oder war das sowieso nur ein Gag, sprich, sind sie zurzeit schlicht SubskriptientInnen und ab Ja­nuar 2018 ganz normale AbonnentInnen und Leser­Innen?
Nein, wir wollen den Austausch pflegen und uns grundsätzlich auf Augenhöhe mit unseren VerlegerInnen bewegen. Das war nicht bloss ein Scherz. Die Leute sollen Einblick in die Redaktion bekommen, so sie das wünschen. Ihre guten Ideen übernehmen wir gern, die schlechten lassen wir diskret in der Versenkung verschwinden. So wie es JournalistInnen schon immer mit VerlegerInnen hielten. Unsere AutorInnen sollen greifbar sein, auch das Finanzielle halten wir nicht unter Verschluss. Wir werden unseren LeserInnen auch Fragen stellen – allerdings nur dann, wenn wir tatsächlich an ihren Antworten interessiert sind.
 
 
Sie treffen Massnahmen gegen das Chaos, das ausbrechen könnte, sobald die Kommentarfunktion geöffnet wird?
Tatsache ist doch, dass in den Kommentarspalten von Online-Medien normalerweise einer eine Rede hält, dann den Raum verlässt, wonach sich das Publikum in einem Raum ohne GastgeberIn, Catering und weiteres Programm wiederfindet. Kein Wunder, kommt dabei nichts Gescheites heraus. Und alle werden immer gereizter… Die ‹Republik› hingegen stelle ich mir wie ein Wohnzimmer vor, in das wir die Leute einladen und wo sie entsprechend höflich und respektvoll behandelt werden. Aber wenn jemand der Gäste auf den Teppich kotzt, wird er an die Luft gesetzt – und macht er das ein zweites und drittes Mal, öffnen wir ihm die Türe nicht mehr. Kurz: Wir verhalten uns wie ganz normale Gastgeber, die ihre Gäste ernst nehmen.
 
 
Bis es soweit ist, vergeht noch mehr als ein halbes Jahr: Wie halten Sie die Leute solange bei der Stange?
Wir hatten im Vorfeld des Crowdfunding-Starts lediglich drei Newsletter veröffentlicht, und wir werden uns auch künftig an unsere Maxime halten, die da lautet, dass wir uns nur zu Wort melden, wenn wir auch tatsächlich etwas zu sagen haben: No Bullshit eben, kein Kommentar um des Kommentars Willen. Wer nur dann redet, wenn er etwas zu sagen hat, dem hört man zu. Das reicht, um die Leute interessiert zu halten, ja mehr noch: Wenig zu schreiben ist unser Hauptvorteil gegenüber der Konkurrenz, die täglich oder wöchentlich eine bestimmte Anzahl Seiten füllen muss, ganz egal, ob etwas Berichtenswertes passiert ist oder nicht. Einer unser Slogans fürs Crowdfunding illustriert das schön: Abonnieren Sie uns – wir bieten weniger!

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.