Vereinbarkeit – ein Frauenproblem?

Kinderbetreuung ist immer noch hauptsächlich Frauensache: Entweder von der Mutter übernommen oder durch die mehrheitlich weiblichen KitamitarbeiterInnen gewährleistet. Die Arbeit in der professionellen Fremdbetreuung ist jedoch sehr schlecht bezahlt. Mit Hinblick auf den Frauenstreik machen sich die SP*Frauen deshalb für eine bessere Finanzierung und gerechte Arbeitsbedingungen stark.

 

Natascha Wey

 

Es gibt ja diese Karikatur in Sachen Gleichstellung, die ich sehr mag: Eine 100-Meter-Rennbahn, am Start ein Mann und eine Frau. Die Bahn des Mannes ist frei, er kann im Prinzip einfach losrennen. Auf der Bahn der Frau stehen Haushaltsgeräte, Bügelbretter, Wäscheleinen. Erst wenn die Frau alle diese Hindernisse übersprungen hat, so kommt sie auch zum Ziel. Einfach viel langsamer. Diese Karikatur symbolisiert für mich den Umgang der liberalen Schweiz mit Gleichstellung und Chancengleichheit. Man hat Gleichstellungsgesetze, man hat weitgehend rechtliche Gleichheit, man sagt den Frauen also: «Guckt mal, Fortschritt, ihr dürft jetzt auch mitrennen (oder mitarbeiten, oder abstimmen oder euch wählen lassen). Einfach die Bahn konnten wir leider noch nicht räumen, wie ihr ans Ziel kommt, das ist weitgehend euer Problem.»

 

Natürlich: Dass Frauen heute erwerbstätig sind, dass sie die Möglichkeit auf ökonomische Unabhängigkeit haben, ist historisch gesehen ein Erfolg. Erst 1988 trat hier in der Schweiz das revidierte Ehe- und Ehegüterrecht in Kraft, das es Frauen ermöglichte, ohne Einwilligung des Ehemannes einer ausserhäuslichen Erwerbsarbeit nachzugehen. Weniger erfolgreich verlief parallel dazu jedoch die gesellschaftliche Entwicklung. Rund 80 Prozent der Männer arbeiten noch immer Vollzeit, im Vergleich dazu 59 Prozent der Frauen Teilzeit. Der Grund ist simpel: Rund 70% der Frauen haben Kinder und der Nachwuchs will betreut werden. Nach wie vor übernehmen diese Betreuungsarbeiten hauptsächlich Frauen. Zwar gibt es mittlerweile Kitas, Horte und Ganztagesschulen, ob ein gutes Betreuungsangebot aber tatsächlich vorhanden ist, hängt stark vom Wohnort ab, oder wie immer in der Schweiz: «S’isch vo Kanton zu Kanton verschiede.» Im Kanton Genf etwa beträgt der Kita-Versorgungsgrad 29 Prozent, im Kanton Appenzell Innerrhoden drei Prozent.

 

Frau hat zwei Optionen: Entweder sie betreut ihre Kinder selbst. Sie tut dies für Gottes Lohn und mit Einbussen bei der Rente. Oder sie lässt die Kinder extern betreuen, bezahlt dafür hohe Elterntarife, welche aber nicht dazu führen, dass Kinderbetreuerinnen einen anständigen Lohn hätten, sondern die dazu verwendet werden, die staatliche Unterfinanzierung auszugleichen. Der Anteil Frauen in der Ausbildung zur Kinderbetreuerin beträgt 86.5 Prozent, der Einstiegslohn einer Fachperson Betreuung beläuft sich auf rund 4000 Franken, derjenige einer diplomierten Kindererzieherin auf 5400 Franken. Der einzige Grund, wieso diese Arbeit so schlecht bezahlt wird, ist schlicht: weil sie von Frauen geleistet wird.
Die Arbeit in Kitas ist anspruchsvoll, das wissen alle, die schon mal ein Kind aus einer Krippe geholt haben. Kinder werden gefördert und nicht nur gehütet, die Kinderkrippe ist auch ein Grundpfeiler für spätere Chancengleichheit. Gleichzeitig ist der Lärmpegel hoch, die Arbeit braucht Geduld, Nerven, Fachwissen und eine robuste Gesundheit, denn die Möbel sind auf Kinder zugeschnitten und Kinder sind oft krank, das ist auch für Betreuerinnen ein Risiko. Die Löhne sollten also in einem begründeten Verhältnis zu den Löhnen von Lehrpersonen stehen. Tun sie aber nicht. Zudem sind die Arbeitsbedingungen praktisch nie ein Thema, wenn es um die Finanzierung von Kitas geht. Dies kritisieren Kinderbetreuerinnen aus Zürich in einer Petition*, die sie im April lanciert haben: Sie fordern Gesamtarbeitsverträge, bessere Betreuungsschlüssel und viel weniger Praktika. Um überhaupt kostendeckend zu wirtschaften, stellen Krippen nämlich sehr oft zu miserablen Löhnen Praktikantinnen an. Diese haben keine Fachkenntnisse und bleiben dann nur kurz, was der Bindung mit den Kindern im Weg steht. Diese Ausbeutungspolitik muss ein Ende haben.

 

Deshalb haben wir SP*Frauen an der MV vom 23. März einen qualitativ guten, unentgeltlichen Krippenanspruch zu einer unserer Hauptforderungen erklärt. Es muss ein Ende haben, dass sich Bund und Kantone gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben und nicht genügend Mittel für anständige Betreuungsstrukturen schaffen. Die Anschubfinanzierung vom Bund reicht nicht aus. Als Linke sollten wir uns zwingend dafür einsetzen: Wir haben für die unentgeltliche Volksschule gekämpft, nutzen wir den Frauenstreik und kämpfen für ein Recht auf unentgeltliche Kinderbetreuung. Es braucht eine griffige Kita-Finanzierung, anständige Arbeitsbedingungen für das Personal und Gesamtarbeitsverträge, um diesen Berufen endlich die Anerkennung zu geben, die sie verdienen. Und es kann ein weiterer Schritt zu ökonomischer Gleichstellung sein: Damit die Löhne in diesen Branchen aufgewertet werden. Und damit eine Hürde weniger auf der Rennbahn steht.

 

* www.weil-kinder-mehr-zeit-brauchen.ch

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