Stadion in den Sternen

53,8 Prozent der Stadtzürcher Stimmenden haben Ja gesagt zum Projekt Ensemble. Was bedeutet dieses Ja heute – und in Zukunft? Das «heute» beziehungsweise «Sonntagabend» ist rasch zusammengefasst: Grosse Freude bei den beiden Fussballclub-Präsidenten Ancillo Canepa (FCZ) und Stephan Anliker (GC). Choreo und viele Pyros am Match GC gegen den FC St. Gallen im Letzigrund. Und FCZ-Fans, die zu später Stunde das Hardturm-Areal schon mal mit dem FCZ-Logo verzieren…
Womit wir bei der Zukunft wären: Wird das Stadion tatsächlich gebaut? Der Kreis 10 hat die Vorlage als einziger abgelehnt. Der Widerstand des «Komitees gegen den Höhenwahn» aus Höngg ist ungebrochen. Der Koordinationsausschuss «Nein zum Hardturm-Bschiss» hält in seiner Medienmitteilung fest, man habe «leider» mit diesem Ergebnis rechnen müssen «angesichts der fortgesetzten irreführenden Falschinformationen des Stadtrats zur Abstimmungsvorlage (…)».
Dass die Stadt angeblich «falsch informiert», ist allerdings ein oft gehörter Vorwurf: Er kommt immer dann, wenn ein Projekt nicht allen passt – und das ist bekanntlich bei praktisch allen grösseren Neubauten der Fall. Beim Projekt Ensemble ist insofern etwas am Vorwurf dran, als dass es politisch unklug war, die 125 zusätzlichen Wohnungen, welche die CS versprochen hat, zu den 174 tatsächlich geplanten gemeinnützigen Wohnungen dazuzuzählen. Für die 125 CS-Wohnungen braucht es eine separate Vorlage, und natürlich kann der Stadtrat angesichts der momentanen Mehrheiten davon ausgehen, dass er im Gemeinderat damit durchkommt. Sein Vorgehen war laut Bezirksrat korrekt – aber nichtsdestotrotz geeignet, die SkeptikerInnen noch zusätzlich auf die Palme zu bringen, da über die Kosten dieser Wohnungen nichts bekannt ist.

 

Wird das Stadion nun tatsächlich gebaut? Wer das wissen will, braucht eine gute Kristallkugel. SP-Nationalrätin Jacqueline Badran twitterte am Sonntag, «Projekt Ensemble – Baurechtsvertrag: Was für ein Pyrrhussieg. Die Leute glauben, sie bekämen ein Stadion und werden viele Jahre warten müssen, wenn überhaupt (Gestaltungsplan, Baubewilligung). Es gibt Momente, in denen man in der Zukunft nicht Recht bekommen möchte». Sie selber hat am Abstimmungssonntag für einmal nicht Recht bekommen. Sie war die Stadion-Gegnerinnenschaft in Person, spätestens von der ausserordentlichen Delegiertenversammlung der SP der Stadt Zürich vom 23. August an. Damals rief sie in den Saal, «diese Vorlage beinhaltet alles, wogegen ich seit Jahren kämpfe». Die Delegierten fassten die Nein-Parole und hiessen die Lancierung einer eigenen Volksinitiative für ein Stadion und «100 Prozent gemeinnützige Wohnungen, Gewerberäume und Büros auf dem Hardturm-Areal» gut. Am 6. Dezember entscheiden die GenossInnen, ob sie diese Initiative nun zurückziehen.

 

Verliert die SP in der Stadt Zürich eine Volksabstimmung, dann ist das ein seltenes Ereignis, das die bürgerliche Presse entsprechend zu würdigen weiss. Auch am Dienstag war die NZZ noch mit Hingebung damit beschäftigt – und titelte ihre ganze Seite zur Stadionabstimmung mit «Die Dampfwalze gerät ins Stocken. Die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran hat mit ihrem Einsatz gegen das Stadionprojekt Kredit verspielt». Kredit verspielt? Eine mutige Formulierung. Klar fällt es auf einen zurück, wenn man sich für eine Sache stark ins Zeug gelegt hat und dann unterliegt. Doch die NZZ wird auch nicht müde, bei jeder Gelegenheit zu betonen, dass «selbst rot-grüne Hochburgen wie die Stadtkreise 4 und 5» die Stadionvorlage angenommen haben. Stimmt – und hier liegt der Hase im Pfeffer: Wir haben am Sonntag über ein Stadion abgestimmt. Ob man ein solches will, hat eher wenig damit zu tun, ob man normalerweise mit den Rechten oder mit den Linken stimmt.
Beim Projekt Ensemble geht es darum, dass die Stadt nicht einfach ein privat finanziertes Stadion bekommt, sondern dass die privaten Investoren dafür eine Gegenleistung wollen. Oder mit den Worten von Finanzvorstand Daniel Leupi (Grüne) im P.S. vom 25. Mai: «Wer behauptet, das Stadion wäre ohne Türme möglich, der verwechselt einen Investor mit einem Mäzen.» Die Türme sollen das Stadion querfinanzieren. Die Stadt gibt dafür Land im Baurecht zu günstigen Konditionen.

 

Blenden wir zurück: Beim 2003 angenommenen Projekt hätte es eine sogenannte Mantelnutzung gegeben, um das Stadion querzufinanzieren, im Klartext ein Einkaufszentrum samt dem dazu gehörenden motorisierten Privatverkehr. Dagegen gabs haufenweise Widerstand. Das nächste Projekt, ein mit Steuergeldern finanziertes Stadion, lehnten die Stimmenden knapp ab; die damit gekoppelte Siedlung mit gemeinnützigen Wohnungen jedoch nahmen sie an. Beim Projekt Ensemble sind die gemeinnützigen Wohnungen dabei, und die Querfinanzierung des Stadions erfolgt über die Wohntürme. Ob man bei diesen Wohnungen von «Marktmiete» redet oder von «Luxuswohnungen», ist beim besten Willen Hans was Heiri – wie viel sie dereinst kosten, hängt von zu vielen Faktoren ab, als dass man dazu heute eine gültige Aussage machen könnte. Bleibt noch der Fakt, dass die Stadt der CS dafür günstiges Baurechtsland zur Verfügung stellt. Täte sie das einfach so, ohne Not, könnten wir tatsächlich «Skandal!» schreien. Doch die Stadt macht einen Deal, weil sie ein Stadion will, und den gibt es nun mal nicht gratis (siehe oben).

 

Die SP war anscheinend überzeugt, die Abgabe von städtischem Land an die CS sei ein derartiges No-Go, dass sich das Nein zur Vorlage an der Urne quasi von allein ergebe. Das war eine Fehleinschätzung: Wenn es um ein Stadion geht, stimmen die Leute nun mal über ein Stadion ab. Oder anders gesagt: Es ist der SP nicht gelungen, aus der Stadion-Vorlage eine Wohn-Vorlage zu machen. Dass sie gleichzeitig stets betonte, nicht gegen das Stadion zu sein, hat ihr auch nicht geholfen. Die Grünen fassten derweil schlicht die Nein-Parole, und die AL einigte sich auf Stimmfreigabe. Sie liefen so während des Abstimmungskampfs mehr oder weniger unter dem Radar, während sich alle auf die SP stürzten. Vor allem der FDP und der GLP dürfte das gelegen gekommen sein – immerhin haben sie das Projekt von 2013 gebodigt. Und dass die GegnerInnen aus Höngg, die wegen der Wohntürme bis vor Bundesgericht gehen wollen, von FDPlern angeführt werden, brauchen sie ja nicht an die grosse Glocke zu hängen…
Es bleibt dabei: Ob das Stadion wirklich gebaut wird, steht in den Sternen. Aber dass es in Zürich mehr gemeinnützige Wohnungen braucht und dass die SP auch in Zukunft dafür sorgen muss, dass sie tatsächlich gebaut werden – das immerhin steht fest.

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