Seltsame Arithmetik

Vielleicht wäre ja schon alles gesagt zur AHV-Revision, die – unter dem Deckmantel einer ziemlich einäugigen Auffassung von Gleichberechtigung – einmal mehr auf dem Rücken der Frauen abgewickelt werden soll. Nur dass es eben schon nervt, wie etablierte Linke das im Nachhinein nun wieder als sozialen Erfolg abfeiern.

Diesen linken Männern und allenfalls Gutverdienerinnen fallen 70 Franken plus oder minus auf dem Konto wohl nicht einmal auf. Sie denken sich jedoch, dass Pensionierte deswegen vor Freude in die Luft springen werden: «Hurra!», werden sie mümmeln und die Rollatoren in die Ecke schleudern, «70 Franken für Kaffee und Kuchen, für die Pédicure, oder wenn ich sie 10 Jahre lang eisern zur Seite lege, für die neue Zahnprothese, damit ich den Kuchen auch kauen kann!» Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob die linken Befürworter ehrlich nicht durchschauen, dass die 70 Franken monatlich für «alle» den Verlust von 20 000 Franken bei den Frauen keinesfalls wettmachen. Dabei muss es ja so sein, dass mit dieser Massnahme insgesamt weniger Geld an die Rentner geht, insbesondere natürlich an die Rentnerinnen. Sonst liefe es unter dem Strich auf ein Nullsummenspiel heraus, und man hätte das AHV-Alter der Frauen ebenso gut da belassen können, wo es war.

Dies in einem urlinken Umfeld, wie etwa einer Gewerkschaft der öffentlichen Angestellten, laut herauszuposaunen, würde sich wohl nicht schicken. Also schwurbelt man, wie im Editorial der letzten Ausgabe des vpod-Magazins, irgendeinen Mumpitz zusammen – bis am Ende ausgerechnet die Frauen als Siegerinnen dastehen: Weil sie nur 33 Prozent der Beiträge einzahlten, aber dank höherem Alter 55 Prozent der Renten bezögen. Da hauts der Oma doch das Gebiss raus! Schliesslich hat sie es sich nicht ausgesucht, dass die Lohnsumme, auf der ihre Rente erhoben wird, derart schmalbrüstig ist. Weil sie nämlich die eine Hälfte ihres Lebens gratis und die andere Hälfte unterbezahlt arbeiten musste. (Was sie noch zusätzlich damit büsst, dass ihre Pensionskassenrente nicht der Rede wert ist.) Nicht zuletzt schwingt in dieser Art Arithmetik eine gehörige Portion Misogynie mit («All die alten Weiber brennen ein Loch in unsere AHV»). Dass diese Frauen vielleicht so alt werden, weil sie ein massvolles, gesundes und risikoarmes Leben wählten und daher andernorts weniger soziale Kosten verursachten, kann man offenbar getrost beiseitelassen. Ebenso, dass der höher gebildete Mann, der unserer Gesellschaft den so geschätzten Prototyp (und späteren Gewerkschafter) abgibt, die ersten 24 Jahre seines Lebens nur auf Kosten anderer (inkl. der Mutter) lebt. Was für eine Sozialpolitik ist das überhaupt, die den Menschen ihr hohes Alter ankreidet, indem sie es ihnen negativ in Rechnung stellt?

Seltsam unerwähnt bleibt im genannten vpod-Editorial auch, dass ausgerechnet jene, die einen Zustupf am dringendsten nötig hätten, die 70 Franken gar nie sehen werden. Das sind alle, die nur dank Ergänzungsleistungen über die Runden kommen (also wieder v.a. alte Frauen, die ja in der Schweiz das Haupt-Armutsrisiko tragen…) Für sie bedeuten 70 Franken mehr AHV einfach 70 Franken weniger Ergänzungsleistungen.

Viele Fakten, die ich Ihnen hier vorlege, kenne ich aus einer Broschüre, die der schweizerische Gewerkschaftsbund vor einiger Zeit zum Auftakt der AHV-plus-Initiative herausgegeben hat. Sie stünden also auch dem vpod-Magazin zur Verfügung. Als vpod-Mitglied frage ich mich da schon, ob ich nun gleich austreten oder mich unter Protest einer welschen Sektion anschliessen soll…
Ina Müller

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