Selbermetzgen

Auf die Gefahr hin, dass Sie mich fürderhin für gefühlskalt und verklemmt halten, bekenne ich: Ich hasse Filme und Bücher, die auf meine Tränendrüsen drücken oder mich fleischlich antörnen wollen.

 

Brrr! Ich mag es einfach nicht, wenn bei mir Zwecks kalkuliertem Reflex der Stimulus-Response-Knopf gedrückt wird. Das gilt auch für alles, was «Provokation» schreit oder das Leuchtetikett des «Aufregers» trägt. Stefan Gärtner hat einmal in seiner WoZ-Kolumne geschrieben: «Eine künstlerische Provokation, die zuerst Provokation sein will, ist Kitsch, sogar der Inbegriff davon.» Ich bin wohl allergisch auf Kitsch.

 

Folglich kriegte ich die Krätze, als ich Ende August Silvia Tschuis Aufschrei im Sonntags-Blick-Magazin las: «Ich habe getötet». Ich will gar nicht monieren, dass wenig früher Ariane Alter auf Puls-TV sich dem «radikalen Selbsttest» unterzog: «Kann ich Tiere töten?» – wir haben ja alle unsere Inspirationsquellen. Es zeigt aber, dass Tschuis These nicht gegen den Mainstream (der schlimmen Karnivoren) anschwimmt, sondern da gefällig mitplätschert: Krieg den Filet-Fressern, es leben die Veganerinnen! Sie wühlt zielstrebig in unseren Eingeweiden, tötet Häschen, Hühnchen, Lämmlein, Kühlein ad nauseam, aber für die gute Sache, nämlich die Empörung und den Tränenfluss. Das fördert  nicht nur Auflagen und Klickzahlen, sondern auch Unerhörtes zutage: Fleisch ist aus Tieren! Tiere zu töten belastet das Gemüt! Schnitzelwürger sind Unmenschen!

 

Am Pranger: Herr und Frau Schweizerin, die nur Antregott verzehren; Coop und Migros, die keine Nieren verkaufen, sondern das halbe Tier wegwerfen;  die EU, die zu solchen Dumpingpreisen produziert, dass sich hierzulande nicht mal mehr die Herstellung von Tierfutter lohnt; China und Putin, die mit Handelsbarrieren den Export verderben usw. Ähnlich simpel die Abhilfe: Esst Kutteln, Mark und Milz, damit der Fleischberg schmilzt! Oder: Killt alle mal ein Schwein, dann vergeht‘s euch von allein! Völlig überraschend hat das Skandalon des Selbermetzgens «zu so vielen Leserbriefen und Facebook-Reaktionen geführt, wie ich sie noch nie hatte»; ja «sogar Veganer haben mir gratuliert»! Radikalste Erkenntnis: «Auch Metzger töten nämlich Tiere nicht gern.» (Hm, sind also doch nicht alles Sadisten, die nach vollbrachter Schandtat genüsslich das bluttriefende Messer ablecken.) Ein Jäger schrieb offenbar, jeder Fleischesser sollte zuerst mal selber töten müssen.

 

Spätestens hier sollten wir dem blutenden Herzen etwas Hirn entgegensetzen. Die schwarze Kunst des Tötens ist kulturell seit je nur wenigen vorbehalten. Früher waren es Priester, die des Opferns und Schlachtens kundig waren. Es müssen starke Charaktere sein, die trotz Desensibilisierung nicht verrohen. Ferner ist der Fleischverzehr der Wohlstandsanzeiger par excellence. Eine moralische Schuld am Fleischkonsum wäre mithin unsere Wohlstandsschuld, die wir gegenüber jenen Ländern tragen, die uns seit Jahrhunderten zur Bereicherung dienen, und wo ein Mensch für den Preis eines hiesigen Junk-Burgers eine Woche lang arbeiten muss. Abhilfe brächte demnach ein massiv höherer Preis für Lebensmittel, insbesondere Fleisch, und eine Agrarpolitik, die nicht direkt noch die Fleischproduktion begünstigt, wie jüngst leider geschehen. Ob sich Tschui «nicht im eigenen Garten für den Eigengebrauch ein paar Häsli halten soll?» Eher nicht. Lieber mehr lesen, vielleicht «Opfer, Beute, Hauptgericht. Tiertötungen im interdisziplinären Diskurs» (transcript-Verlag 2016).

 

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