Rolf Bossard AG – FDP-Connection von der Wiege bis zur Bahre

Die Wirren um Entsorgung und Recycling (ERZ) sind aus den Schlagzeilen verschwunden. Doch vieles bleibt noch immer im Dunkeln. In seiner Blog-Serie, deren ersten Teil wir hier ungekürzt abdrucken, beleuchtet Alt-Gemeinderat Niggi Scherr (AL) Hintergründe, die bisher wenig Beachtung fanden. Nr. 1 und 2 gelten den Verstrickungen führender FDP-Exponenten in die Geschichte der ERZ-Tochter Rolf Bossard AG.

 

Niklaus Scherr

 

In den nächsten Monaten wühlt sich die gemeinderätliche Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) durch dicke Aktenberge, um zu ergründen, was beim Stadtzürcher Entsorgungsamt ERZ schiefgelaufen ist und warum und wie ein selbstherrlicher Manager Parlament und Exekutive manipulieren und austricksen konnte. Meine Blog-Serie bringt Hintergründe und Fakten, die heute schon mit wenig Recherchieraufwand zusammengetragen werden können, aber von den Medien bisher vernachlässigt worden sind.

 

EWZ-Nein verhindert ERZ-Ausgliederung

Ende der 1990er-Jahre holte FDP-Stadträtin Kathrin Martelli Gottfried Neuhold und Urs Pauli als Sanierer für das ERZ aus der Privatwirtschaft an Bord. Die beiden freisinnigen Exekutivmitglieder Martelli und Wagner hatten eine klare neoliberale Agenda: die städtischen Werke – Gasversorgung, EWZ, ERZ, VBZ, Wasserversorgung – möglichst rasch ausgliedern und dann schrittweise privatisieren. Bei der Gasversorgung – nur die AL legte sich quer – funktionierte das 1997 noch, aber im Mai 2000 machte ihnen das massgeblich von der AL erkämpfte Njet zur EWZ-Ausgliederung einen dicken Strich durch die Rechnung.

 

Mit einer AG politische Kontrolle unterlaufen

Um die weiterhin bestehende politische Kontrolle des Parlaments zu unterlaufen, gründeten Neuhold und Pauli in der Folge ein halbes Dutzend Tochter-Aktiengesellschaften. Die Gründung einer AG – so Ex-CEO Urs Pauli offenherzig zur NZZ – habe im Gemeinderat zwar immer einen «riesigen Lärm» verursacht, aber «das ging wunderbar, das konnte man immer so ein bisschen an den Gemeinderäten vorbei… verstehen Sie: Die politischen Prozesse sind extrem aufwendig, bis Sie da einen Entscheid haben, werden Sie halb wahnsinnig». (NZZ 19. Juni 2017)

ERZ-Coup Nr. 1 war die Gründung der Rolf Bossard AG und damit die Übernahme eines privaten Konkurrenten. Während zwei Jahren hatte die ERZ-Führung tatenlos zugesehen, wie die Einzelfirma Rolf Bossard Müll im Hagenholz anlieferte, ohne zu bezahlen. Als sich knapp eine halbe Million Ausstände angehäuft hatten, stand der private Entsorger Mitte 2005 praktisch vor der Pleite.

 

FDP-Mann als Geburtshelfer der Rolf Bossard AG

Als Retter in der Not brachte sich ERZ in Position. Allerdings mit einem kleinen Problem: es fehlte die Knete und die erforderliche Kreditbewilligung für die Übernahme der privaten Beute. Zwar war das ERZ damals mit Martin Waser in SP-Hand, als Geburtshelfer wurde jedoch ein strammer FDP-Mann, Martin Wipfli, Inhaber der Zürcher Treuhandfirma Baryon AG, angeheuert. Es steht zu vermuten, dass die – von 1998 bis heute – vom FDP-Urgestein Franz Steinegger präsidierte Baryon AG schon in der Ära Martelli für das ERZ Aufträge ausführte. Im Juni 2005 übernahm die Baryon AG den Aktienmantel der kurz zuvor gegründeten Safino AG, firmierte ihn in Rolf Bossard AG (RBAG) um, zeichnete 450 000 Franken Aktienkapital und übernahm die marode Einzelfirma. Im November 2005 bewilligte der Gemeinderat dann mit einer FDP-SP-Mehrheit gegen starke Opposition einen Nachtragskredit von 470 000 Franken für die Übernahme der Bossard AG.

Der Stadtrat hielt dazu fest: «Mit Hilfe einer privaten Beratungsfirma wurde (…) die RBAG operativ konsolidiert. Damit sind heute die Voraussetzungen für die Beteiligung der Stadt Zürich an der RBAG durch die Übernahme des gesamten Aktienkapitals gegeben.» (GR 2005/353) Im Klartext: Von Juni bis November fungierten Wipfli und die Baryon AG offenbar treuhänderisch als Strohmänner für das ERZ, sehr wahrscheinlich mit vom ERZ vorgeschossenen Mitteln.

 

Skandalöse Arbeitsbedingungen bei RBAG

Politisch wurde die Übernahme als temporäre Notlösung zur Rettung des städtischen Guthabens von 439 000 Franken und der acht RBAG-Arbeitsplätze verkauft. Anschliessend setzte für Jahre Funkstille ein. Erst Ende 2008 erkundigten sich Albert Leiser (FDP) und Josef Widler (CVP) in einer Anfrage über das weitere Schicksal der RBAG (GR 2008/425). O-Ton der Antwort: «Eine Rückführung der Rolf Bossard AG in den freien Markt ist zurzeit kein Thema.» Offengelegt wurden in der Antwort die skandalösen Arbeitsbedingungen bei der RBAG. Die Angestellten erhielten bloss 12 Monatslöhne, 4 Wochen Ferien und das gesetzliche Minimum bei der Pensionskasse. Auf 13 Monatslöhne umgerechnet kamen die Lader brutto auf schäbige 3323 bis 3784 Franken, die Chauffeure auf 4476 bis 4800 Franken, während ihre vom gleichen städtischen Arbeitgeber beschäftigten ERZ-Kollegen bis zu 45 – 54 Prozent mehr verdienten. Die Zahlen lagen auf dem Tisch. Doch die Politik – auch die gesamte Linke einschliesslich AL – schaute weg, die Gewerkschaften blieben untätig. An den Dumpinglöhnen hat sich bis heute nicht viel geändert. 2017 verdienten die Lader im Schnitt 4013.– und die Chauffeure 5258.–.

 

RBAG expandiert

Statt die AG zu verkaufen oder die Beschäftigten ins ERZ zu integrieren, baute das ERZ die RBAG zielstrebig aus. Als Präsident des Vereins «Papier bleibt hier» vergab ERZ-Boss Pauli der von ihm präsidierten RBAG freihändig den Auftrag für die Papier- und Kartonsammlung. Für ein Entgelt von 400 000 Franken pro Jahr durfte die RBAG im Auftrag der Staatsanwaltschaft auch regelmässig beschlagnahmte Hanfplantagen räumen und vernichten. 2012 wurde in Oberhasli ein 13 400 m2 grosses Areal erworben und ein neues Werkgebäude errichtet, 2014 eine teure Ballenpresse Bollegraf HBC 100 angeschafft. 2017 war die Belegschaft von ursprünglich 8 auf 48 Angestellte angewachsen. Die RBAG akquirierte zwar Betriebskehricht auf dem freien Markt, blieb aber zu gut drei Fünfteln von Aufträgen des ERZ abhängig. Gemäss letzter Steuerveranlagung wies sie 2015 ein Eigenkapital von 6,9 Mio. und einen Reingewinn von 441 000 Franken aus.

 

Martin Wipfli und Petra Gössi: die Schwyzer FDP-Connection

Obwohl die RBAG seit Ende 2005 zu 100 Prozent der Stadt gehörte, blieb FDP-Mann Martin Wipfli, der inzwischen als Gemeindepräsident von Feusisberg (ab 2013) und als Wahlkampfleiter der FDP Schwyz politisch Karriere machte, bis heute im Verwaltungsrat. Wohl als Dank für geleistete Dienste und Stillschweigen darüber, nicht zuletzt wohl aber auch, weil ERZ für Auftragsvergaben an die RBAG einen aussenstehenden Dritten als Unterzeichner brauchte. Und Wipflis Baryon AG bekam regelmässig Aufträge, wenn im Pauli-Imperium eine neue AG aus der Taufe gehoben wurde: 2009 die Holzheizkraftwerk HHKW Aubrugg AG, 2010 die Fernwärme Zürich AG für den Weiterbetrieb der KVA Josefstrasse, 2011 die Biogas AG. Bei der Gründung der HHKW Aubrugg AG führte niemand anders als Wipflis Prokuristin, die spätere FDP-Präsidentin Petra Gössi, Regie. Mit ins Bild passt, dass die Abschlüsse der Rolf Bossard AG von der Schwyzer Wirtschafts-Treuhand AUCTOR SCHWYZ AG revidiert werden.

 

Freisinniger Bruder-Zwist

Die RBAG war Gegenstand einer pikanten politischen Fehde. Während der stramm rechte Schwyzer FDP-Mann Wipfli bei der RBAG in Amt und Würden stand, übte sein Zürcher Parteikollege, der umtriebige Robert E. Gubler, langjähriger Präsident des kantonalen Gewerbeverbands und politischer Strippenzieher von «Forum Zürich» und der aktuellen «Top5»-Kampagne der Bürgerlichen, scharfe Kritik. In einem programmatischen Aufsatz «Ungleiche Spiesse im Wettbewerb: Konkurrenz durch öffentliche Unternehmen aus der Sicht der KMU» warf er der RBAG staatlich gestützte Schmutzkonkurrenz auf dem Entsorgungsmarkt vor.

 

Wipfli übernimmt Präsidium

Im Mai 2017 mussten ERZ-CEO Urs Pauli und sein Finanzchef Thomas Pfister bei ERZ und parallel bei der RBAG den Hut nehmen. Am 19. Juni 2017 nahm die GV der RBAG von ihrem Rücktritt Kenntnis und wählte neben dem bisherigen städtischen Vertreter Thomas Bieri neu Christian Lindenmann, Leiter des ERZ-Rechtsdienstes, in den VR. Am 12. Juli 2017 meldete die RBAG diese Mutationen dem Handelsregister einschliesslich der Mitteilung, dass der bisherige Vizepräsident Martin Wipfli neu als VR-Präsident bestimmt worden sei. Bei den Handelsregisterakten liegt allerdings weder ein GV- noch ein VR-Beschluss über die Wahl von Martin Wipfli zum VR-Präsidenten der RBAG vor. Und die Nomination von Christian Lindenmann als RBAG-Verwaltungsrat erfolgte erst mit Stadtratsbeschluss 2017/882 vom 1. November 2017 – mehr als vier Monate nach seiner Wahl durch die RBAG-GV. Ungereimtheiten über Ungereimtheiten… Auch bleibt unverständlich, warum in einer entscheidenden Phase für die Zukunft oder Nicht-Zukunft der RBAG das Präsidium statt einem städtischen Vertreter ausgerechnet einem aussenstehenden Dritten und dazu noch einem Parteifreund des TED-Vorstehers übertragen wurde.

 

Filippo als Bestatter

Mitte Juli 2017 liess TED-Vorsteher Leutenegger zwei bisher von der RBAG ausgeführte Aufträge – die Kartonsammlung und die Bewirtschaftung der Sammelstellen rund ums Seebecken – öffentlich ausschreiben und vergab diese Anfang November äusserst kurzfristig auf Anfang 2018 an die Arbeitsgemeinschaft Loacker AG, Dübendorf / K. Müller AG, Wallisellen und die Rund-ums-grün AG, Wetzikon. Neun RBAG-Angestellte wurden gleich an die K. Müller AG mitverkauft. Damit verlor die RBAG auf einen Schlag Aufträge im Umfang von 0,5 Mio. Franken oder knapp 10 Prozent ihres Umsatzes, die Belegschaft schrumpfte von 47,6 auf 38,6 Vollzeit-Stellenwerte.

In seinem üblichen Haudrauf-Stil kündigte Filippo gleich auch per Ende 2018 vorzeitig sämtliche weiteren ERZ-Aufträge und entzog damit der zu rund drei Fünfteln von ERZ-Jobs abhängigen RBAG faktisch die Existenzgrundlage. Geht das so weiter, besteht die Substanz der RBAG bald nur noch aus dem Werkareal in Oberhasli, das mit 8,5 Mio. Franken in den Büchern figuriert. Obwohl der Gemeinderat für Liegenschaftsverkäufe ab 1 Mio. Franken Verkehrswert zuständig ist, stellt sich der Stadtrat in seiner Antwort auf eine AL-Anfrage auf den Standpunkt, für einen allfälligen Verkauf sei er allein zuständig, da es sich lediglich um eine Veräusserung der städtischen Kapitalbeteiligung an der RBAG in Höhe von 450 000 Franken handle (GR 2017/459).

 

40 Arbeitsplätze in Gefahr

Ob es zu einer kalten Liquidation oder einem Verkauf der RBAG kommt und wie es mit den knapp 40 Ladern und Chauffeuren der RBAG weitergeht, ist zurzeit völlig offen. Anlässlich der Budgetdebatte wurde einstimmig ein AL-Postulat überwiesen, das eine sozialverträgliche Reorganisation der Geschäftsbeziehungen zwischen ERZ und RBAG unter Einbezug der Gewerkschaften und eine Übernahme der Chauffeure und Lader durch die Stadt verlangt (GR 2017/426). Pendent ist zurzeit eine dringliche Interpellation der AL zum weiteren Vorgehen des Stadtrats (GR 2018/25). Affaire à suivre.

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