Rassistisch

Liam Neeson, bekannt durch seine Rolle als Oskar Schindler in Steven Spielbergs Film «Schindlers Liste», sagte in einem Interview, er habe nach der Vergewaltigung einer Freundin durch einen Schwarzen derart Rachegelüste gehabt, dass er tagelang durch die Stadt gezogen sei, in der Hoffnung, ein «black bastard» würde ihn angreifen, so dass er diesen totschlagen könnte. Vor 40 Jahren sei das passiert und deshalb sei es ihm nun nicht so schwer gefallen, sich in seine neueste Rolle hineinzudenken, in die eines Vaters nämlich, der zum Killer wird, nachdem sein Sohn ermordet wurde.

 

Sofort sind die Fronten klar. Hier der Rassismusvorwurf, da die Anhänger des «das wird man ja wohl noch sagen dürfen». Letzteres eine Haltung, die mir dermassen zuwider ist, dass sie in mir ganz automatisch den Reflex aktiviert, mich der anderen Seite anzuschliessen, aber so einfach ist das vielleicht nicht. Ich habe deshalb den Text von Nicole Althaus in der NZZ am Sonntag möglichst vorurteilslos gelesen. Ist es wirklich so, dass hier das Diktat der politischen Korrektheit auf das Denken ausgeweitet wird, dass man also einem Menschen aufgrund eines nicht verwirklichten Aggressionstriebs den Schauprozess macht, wie sie schreibt?

 

Ich habe grundsätzlich grösstes Verständnis für Aggressionen und Rachefantasien. Ich habe die auch, mehrmals täglich. Und ich halte ganz allgemein Menschen nicht für genuin gut, spätestens nicht mehr, seit ich Kinder habe und weiss: Geboren werden wir als Egoistinnen und Egoisten. Hätte man sich zivilisatorisch nicht darauf geeinigt, würden wir niemals teilen, niemals schützen, niemals verzichten, es sei denn, es wäre letztlich zu unserem eigenen Vorteil. Nun sind wir gezähmt und wir zähmen auch unsere Nachkommen, aber manchmal geht es dann doch noch mit uns durch, manchmal bricht es heraus und ist stärker als alles andere und wir hassen leidenschaftlich. Deshalb kann ich es nachvollziehen, dass man töten will, wenn jemandem aus unserer Familie, Freundinnen oder Freunden, Gewalt und Leid angetan wurde. Ich war 6 Jahre alt, als Marianne Bachmeier in einem Gerichtssaal den Mörder ihrer Tochter Anna erschoss. Da kannte ich erst Gefühle, aber noch nicht den Rechtsstaat, weshalb ich gut fand, was sie tat. Ist diese Geschichte hier also dieselbe? Da rächt die Mutter die Ermordung ihrer Tochter, hier der Mann die Vergewaltigung einer Freundin?
Nein. Diese Geschichte, die geht ganz anders: Ein weisser Mann will seine Freundin rächen, die von einem Schwarzen vergewaltigt wurde, indem er irgendeinen Menschen mit schwarzer Hautfarbe töten will.

 

Liam Neeson ist nicht Marianne Bachmeier, denn diese Mutter hat den Mörder erschossen, und nicht einfach stellvertretend einen anderen weissen Mann. Und hier ist er nun, der riesige Unterschied, weshalb es ganz und gar nicht um Denkverbote oder politische Korrektheit geht, sondern darum, dass einer nicht einmal merkt, dass nicht die Aggression an sich, nicht die Rachefantasie, sondern die selbstverständlich geäusserte Verunglimpfung von Menschen einer Hautfarbe das Problem ist.

 

Liam Neeson hat es nicht gemerkt, und Nicole Althaus auch nicht. Es geht darum, dass man ernsthaft der Meinung ist, man könne die Verfehlung eines Menschen einfach an einem anderen gleicher Hautfarbe rächen. Oder gleicher Herkunft. Oder gleichen Geschlechts. Oder gleicher sexueller Ausrichtung. Oder gleicher Religion.

 

Es geht darum, dass es rassistisch ist.

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