Persönliche Einblicke auf die Schweiz in der Welt

Von Matthias Erzinger

 

Spannende persönliche Einblicke in die schweizerische Aussenpolitik der letzten 30 Jahre vermittelten der ehemalige EDA-Mitarbeiter Markus Heiniger und Ständerat Daniel Jositsch an der Sichtwechselbar der SP Töss.

 

«Man kann es nicht anders als eine humanitäre Katastrophe bezeichnen, wie die Staaten gegenwärtig mit der Flüchtlingsfrage umgehen», hielt Ständerat Daniel Jositsch ungewohnt emotional und glaubwürdig betroffen fest. Auslöser für sein Votum an der Sichtwechselbar der SP Töss war die Tatsache, dass die Schweiz den von ihr in jahrelanger Arbeit mitgestalteten Migrationspakt der UNO nicht unterzeichnete. Für Jositsch eines der Beispiele dafür, dass in der Aussenpolitik neue Visionen gefragt sind. «In den letzten 25 Jahren wurde verpasst, drängende globale Fragen wirklich einer Lösung zuzuführen, und heute stehen vielfach wieder die Nationalstaaten im Vordergrund».

Für Markus Heiniger, der unter anderem in Nepal nach dem Bürgerkrieg von 2007 bis 2010 drei Jahre als «Special advisor to the government in Peace-Building» tätig war, steht das EDA zurzeit an einem Scheideweg: Gelingt es die verschiedenen positiven Nischen der Friedens- und Menschenrechtsarbeit in den nächsten Jahren zu einem grundlegenden Bestandteil der Politik nicht nur im EDA, sondern auch des Bundesrates und des Parlamentes zu machen, oder begnügt man sich mit der fallweisen Unterstützung?

 

Rasante Entwicklung der Schweizer Sicherheitspolitik

 

An mehreren Beispielen aus seiner Tätigkeit zeigte Heiniger auf, wie nach dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989 auch in der Schweiz eine rasante Entwicklung der Sicherheitspolitik einsetzte. Bis 1989 lautete die Gleichung «Sicherheit gleich Alleingang und Armee», danach entstand schrittweise eine Friedens- und Menschrechtspolitik. 1996 noch wurde ein UNO-Beitritt abgelehnt. Sechs Jahre später hatte bereits ein Meinungsumschwung stattgefunden und die Schweiz trat der UNO im Jahr 2002 bei. Im EDA wurde die Abteilung menschliche Sicherheit (AMS) aufgebaut. Heiniger wirkte unter anderem in Sri Lanka: «Wenn wir zum Beispiel in einem tamilischen Dorf ein Trinkwasserprojekt durchführen wollten, mussten wir auch in einem singhalesischen Dorf und wenn möglich in einem muslimischen Dorf ebenfalls etwas investieren, sonst wäre das Projekt im tamilischen Dorf nicht umsetzbar gewesen und über kurz oder lang wieder zerstört worden…»

Heiniger würdigte die Schaffung der AMS sehr positiv. Von 2007 bis 2010 war er in Nepal tätig und beriet zusammen mit einem südafrikanischen Experten die neue Regierung beim Aufbau von Demokratie, staatlichen Strukturen und der Aufarbeitung des Bürgerkrieges. «Kurz vor den Wahlen für eine verfassungsgebende Versammlung ereignete sich dann ein Anschlag auf junge Maoisten. Uns war klar, dass der Friedensprozess gefährdet war. Dank meiner Position konnte ich rasch reagieren und einen Helikopter chartern, zusammen mit angesehenen Persönlichkeiten an den Ort des Anschlages fliegen.» Dort erreichten wir, dass die Maoisten keine Vergeltungsaktionen starteten, welche die Wahlen und damit den Friedensprozess gefährdet hätten. «Wunder hat unsere Arbeit nicht gebracht, viele notwendige Reformen müssen noch umgesetzt werden. Aber ein Rückfall in den Krieg ist nicht erfolgt.»

 

Als Lehre aus den letzten 30 Jahren zieht Heiniger den Schluss, dass sich die Schweiz bei der internationalen Zusammenarbeit noch stärker auf fragile Kontexte konzentrieren sollte und dass Entwicklung und humanitäre Friedenszusammenarbeit ins Zentrum rücken müssten. Dazu, so Heiniger abschliessend, müsse die UNO, trotz ihrer Fehler, gestärkt werden. Ein Sitz im Sicherheitsrat, wie er von der Schweiz für 2023/2024 angestrebt wird, sei eine grosse Chance, nach innen die neue Rolle der Schweiz zu thematisieren und aktiv Einfluss zu nehmen.

 

«Verpasste Chance»

 

Auch Daniel Jositsch anerkannte, dass innerhalb des EDA in den letzten 30 Jahren positive Entwicklungen stattgefunden hätten. «Für mich ist aber unverständlich, dass der Migrationspakt, den die Schweiz jahrelang mitgestaltet hat, nun ausgerechnet von der Schweiz nicht unterzeichnet wurde. «Dabei ist es eines der drängendsten Probleme, dass wir Menschen aus Konfliktgebieten wieder gewisse Strukturen bieten, wie sie aufgenommen werden können. «Es macht mich fast wahnsinnig, zu sehen, wie wir diese Menschen auf die Boote und aufs Mittelmeer treiben.» Der Pakt hätte nicht bedeutet, das «alle» aufgenommen worden wären», aber dass eine gewisse Rechtssicherheit hätte geschaffen werden können… Was für Jositsch unabdingbar ist: Wir müssen nicht immer nur schauen, was «gut für die Schweiz» ist, sondern auch stärker darauf, was Konflikte reduziert und Sicherheit schafft.

 

Da setzt auch seine Vision ein: Er plädiert als Gegenstück zur «regierungsgetriebenen» UNO für Demokratie ohne Grenzen – eine Art Weltparlament, welches stärker die Bevölkerung vertreten würde. Und: es braucht mehr Völkerrecht. An der Sichtwechsel-Bar wurde im Anschluss an die Inputreferate noch lange mit den beiden Referierenden diskutiert. Ein nächster Anlass, dann mit der stellvertretenden Leiterin der Abteilung menschliche Sicherheit im EDA, Barbara Schedler Fischer und Andreas Missbach, Mitglied der Geschäftsleitung von Public Eye, findet am kommenden Dienstag, 3. September ab 19.15 Uhr wieder im Güterschuppen beim Bahnhof Töss statt. Weitere Infos unter www.sichtwechsel-bar.ch

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