«Parlamentarische Instrumente gilt es zu pflegen»

Seit letztem Mittwoch präsidiert der Sozialdemokrat Peter Küng den Zürcher Gemeinderat. Was er sich von seinem Jahr als höchster Stadtzürcher erhofft, erklärt er im Gespräch mit Nicole Soland.

 

 

Wer GemeinderatspräsidentIn wird, ist politisch drei Jahre lang «weg vom Fenster». Sie beschäftigten sich zuvor mit spannenden Themen wie dem Datenschutz und Polizeifragen. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, auf den Bock zu wechseln?
Peter Küng: Es kann mitunter schwierig sein – wenn ich gern mitdiskutieren oder einen Vorstoss machen möchte, wurmt es mich bisweilen schon. Doch die Hintergrundsarbeit hat mich schon immer interessiert. Ich war lange Mitglied der Geschäftsprüfungskommission, und schon damals fand ich die Abläufe spannend. Zudem ist das Formale wichtig, damit das Parlament gut funktionieren kann. Und mehr als drei Jahre nicht mittun zu können, ist mir insofern leichter gefallen, als ich ja davor schon einige Jahre im Gemeinderat war.
 

 

Dennoch ergriffen Sie am Mittwoch die günstige Gelegenheit, in Ihrer Antrittsrede ‹politisch› zu werden…
Der Vorwurf, den ich ansprach, kommt regelmässig – wir Linken würden «fremdes Geld mit beiden Händen zum Fenster raus werfen». Oder konkret, Entwicklungshilfe, Berghilfe etc. seien keine städtischen Aufgaben, und es gehe nicht an, auf schlimme Zustände andernorts, etwa in unserer Brückenschlags-Stadt Diyarbakir, hinzuweisen. Dem hielt ich entgegen, dass die Stadt Zürich ihren Reichtum auch Menschen verdankt, die von auswärts zu uns gekommen sind, seis aus anderen Gemeinden, Kantonen oder Ländern. Vor kurzem habe ich mit meinen SchülerInnen den Film «Die göttliche Ordnung» angeschaut, der den langen Weg bis zur Einführung des Frauenstimmrechts beschreibt. Meine Schulklasse fragte sich, wie es nur sein konnte, dass man die Frauen so lange von der Beteiligung am politischen Leben ausgeschlossen hat – und ich bin überzeugt, dass sich die nächste Generation junger Leute genauso befremdet fragen wird, warum die AusländerInnen nicht schon viel früher abstimmen durften.
 

 

Zurück zu den Abläufen der Ratsarbeit: Was interessiert Sie daran speziell?
Ich bin dezidiert der Ansicht, dass formale Abläufe wichtig sind. Da geht es um unsere parlamentarischen Instrumente, und die sollten wir pflegen. Es kommt vor, dass jemand findet, «mein Anliegen ist wichtig, also mache ich kein Postulat, sondern gleich eine Motion». Dabei gibt es klare Vorgaben: Wenn etwas nicht motionabel ist, dann ist es nicht motionabel. Wenn wir unsere eigenen Regeln selbst nicht ernst nehmen, nehmen uns die StadträtInnen irgendwann auch nicht mehr ernst. Oder nehmen wir den Fall, dass die RednerInnenliste geschlossen ist, aber jemand trotzdem noch etwas sagen will: Dann meldet er einfach eine persönliche Erklärung an, angeblich nicht zum gleichen Thema. Natürlich wird dann nichtsdestotrotz zum Thema geredet – und niemand reklamiert.
 

 

Das Parlament müsste sich öfter an der eigenen Nase nehmen?
Ich denke schon; auch an gegenseitigem Anstand und Respekt mangelt es uns bisweilen. Mir geht es nicht darum, gleich einzugreifen, wenn mal jemand einen Kraftausdruck benutzt. Aber wenn man den politischen Gegner, seine Haltung und seine Meinungen diffamieren kann, ohne dass jemand Notiz davon nimmt, dann finde ich das schwierig.
 

 

An diesem Punkt greift Ratspräsident Küng künftig ein?
Ich sage nicht, dass es mir immer gelingen wird, solche Vorkommnisse in den Griff zu bekommen. Aber es ist mir wichtig, dass nicht so viel unwidersprochen im Raum stehen bleibt, wie es in letzter Zeit der Fall war. Weiter würde ich mir natürlich auch wünschen, dass es ruhiger wäre im Saal, aber da mache ich mir keine Illusionen…
 

 

Vor dem Formalen im engeren Sinne hingegen haben Sie Respekt – oder jedenfalls liess ein Passus in Ihrer Antrittsrede dies vermuten?
Dass ich einmal auf dem Bock landen würde, hätte ich bei meinem Eintritt in den Rat vor zehn Jahren tatsächlich nicht gedacht: Es war während meiner ersten Budgetdebatte, Christoph Hug war Ratspräsident, und ich war gottenfroh, dass er dort oben sass und nicht ich… Damals waren die Formalitäten der Ratsarbeit für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Doch je besser ich mich im Lauf der Zeit damit auskannte, desto mehr Spass habe ich daran. Dennoch gehe ich nicht davon aus, dass ich jetzt alles weiss und vor allem gefeit bin, im Gegenteil. Ich bin sehr froh über die Parlamentsdienste, die uns helfen und unterstützen.
 

 

Als Ratspräsident ist man nicht nur der stille Schaffer im Hintergrund, sondern repräsentiert das Parlament auch gegen aussen: Mit welchen Gefühlen blicken Sie diesem Teil des Jobs entgegen?
 

 

Ich freue mich sehr darauf, auch darauf, verschiedene Anlässe zu besuchen – gerade solche, an denen ich sonst wohl nicht unbedingt teilnehmen würde.
 

 

Keine Angst vor Jodlerchörli, SVP-Buurezmorge und Co.?
Nein, warum sollte ich? Auch das ist Zürich. Quartieranlässe haben auf jeden Fall ihren Reiz, und auch rein bürgerliche Veranstaltungen schrecken mich nicht ab. Zudem ist der Ratspräsident der Präsident aller ZürcherInnen, und das ist gut so.
 

 

Wo gehts denn so hin in den nächsten Wochen?
Bereits gebucht sind einige Parteiveranstaltungen. Ich freue mich darauf, an der Pride eine Rede halten zu dürfen. Auch der TCS hat mich eingeladen – an diesen Anlass gehe ich sicher mit dem öV… (lacht). Was regelmässig anstehen wird, sind Führungen durchs Rathaus, die ich wenn immer möglich übernehme. Solche Führungen buchen häufig Schulklassen, aber auch auswärtige Politiker­Innen und nicht zuletzt ein Integrationsprojekt, in dem MigrantInnen und Einheimische gemeinsam aktiv sind und das alle paar Monate im Rathaus zu Gast ist.
Worauf freuen Sie sich besonders?
Auf die Anlässe, darauf, mit Menschen in Zürich in Kontakt zu kommen. Und ich freue mich durchaus auch auf die Auftritte und Reden.
 

 

Wirklich? Im Rat haben Sie, zumindest in meiner Erinnerung, nicht allzu oft geredet…
Der schnelle Schlagabtausch im Rat ist nicht mein Spezialgebiet, das stimmt. Da gibt es andere, die das viel besser können. Doch wenn ich mich darauf vorbereiten und einlesen, wenn ich gründlich, differenziert und dialektisch an die Sache herangehen kann, dann halte ich gern Reden.
 

 

Was schwebt Ihnen für diese Reden thematisch vor?
Ein Thema wird sicher das 125-Jahre-Jubiläum des Zürcher Gemeinderats sein, das wir 2018 feiern können. Das könnte man zum Anlass nehmen, den Gemeinderat etwas mehr an den Mann bzw. die Frau zu bringen, beispielsweise über die Zusammenarbeit mit Schulen. Nicht zuletzt Kantonsschul- und Berufsschulklassen würde ich gerne den Gemeinderat und dessen Funktionsweise und Abläufe erklären und, hoffentlich, näherbringen.
 

 

Planen Sie im Hinblick aufs Jubiläum einen speziellen Aufruf an die Schulen?
Ja, wobei mir ein etwas weiterer Rahmen, beispielsweise Angebote für Projektwochen oder Projekttage für Schulen, vorschwebt. Zum Beispiel zum Thema «Errungenschaften der Demokratie», aufgezeigt anhand des Gemeinderats als eines funktionierenden Gremiums der Demokratie. Doch konkret ist noch nichts aufgegleist, und natürlich kann ich das auch gar nicht allein entscheiden, wären doch auch die beiden Vize und die Parlamentsdienste involviert. Aber es würde sich lohnen, denke ich – nicht zuletzt, weil dann die Jugendlichen gleichzeitig lernten, wohin sie sich mit Fragen oder Inputs wenden können.
 

 

Sie sind von Haus aus Historiker: Keine Lust, eine Festschrift zum 125. Geburtstag des Gemeinderats aufzugleisen?
Das wäre sicher auch spannend, doch der direkte Austausch mit jungen wie älteren Menschen reizt mich mehr.
 

 

Kommen in Ihrem Präsidialjahr auch Jobs auf Sie zu, die Sie nicht unbedingt haben müssten?
Da fallen mir weniger einzelne Geschäfte oder Themen ein als die Tatsache, dass es manchmal ganz schön schwierig sein kann, wenn in einem komplexen Geschäft spontan neue Anträge kommen und es dann gleichzeitig noch laut ist im Rat und man subito wissen sollte, wie es weitergeht. Doch da müssen alle RatspräsidentInnen einmal durch. Was ich sehr anspruchsvoll finde ist, stets darauf zu achten, ob sich die einzelnen RednerInnen ans Thema halten oder sich allzu weit davon wegbewegen – und natürlich auch, ob die Redner­Innenliste stimmt.
 

 

Wie werden Sie sich verhalten, wenn in einer Debatte sehr viele GemeinderätInnen das Wort verlangen?
Man soll durchaus etwas ausholen, einen bestimmten Aspekt ins Ganze einordnen dürfen. Effizienz ist gut und recht, aber aus meiner Sicht eine Sekundärtugend: Primär geht es doch darum, dass wir im Gemeinderat besprechen können, was uns Parlamentarier­Innen wichtig ist. Kommen an einem Mittwoch mehr neue Vorstösse herein, als alte abgearbeitet werden, finde ich das nicht schlimm. Es ist denn auch nicht mein Ziel, die RednerInnenliste möglichst rasch zu schliessen. Ist sie aber einmal geschlossen, dann muss man hart bleiben.
 

 

Wo lauern sonst noch allfällige Stolpersteine und Schwierigkeiten?
Eine Schwierigkeit wird sicher darin bestehen, noch einigermassen genug Zeit für die Familie zu haben. Da ist gute Planung gefragt, und womöglich muss ich auch mal etwas absagen: Ich will nicht zuhause ein Jahr lang abwesend sein. Mein berufliches Pensum habe ich für dieses Jahr von 90 auf 60 Prozent reduziert.
 

 

Die grosse BZO-Debatte ist durch – steht in Ihrem Amtsjahr ein vergleichbar grosser Brocken auf dem Programm?
Ein wichtiges Thema ist sicher das neue kantonale Gemeindegesetz, dessen Umsetzung in eine neue Geschäftsordnung für den Gemeinderat münden dürfte. Konkret behandelt wird dieses Geschäft zwar erst in der nächsten Legislatur, aber das Büro des Gemeinderates und die Interfraktionelle Konferenz müssen jetzt damit beginnen, es aufzugleisen. Immerhin müssen neue Strukturen geschaffen werden, und es kommen neue In­strumente für die parlamentarische Arbeit dazu.
 

 

Zum Beispiel?
Grundsätzlich geht es darum, dass dereinst alle Parlamentsgemeinden die gleichen Instrumente haben werden. Im Detail kenne ich das neue Gesetz auch noch nicht. Auf jeden Fall bietet es uns aber die Chance, unsere geltenden Regeln und Abläufe zu überdenken. Wir könnten zum Beispiel strukturierte Debatten einführen, wie der Kantonsrat sie abhält – das wäre allerdings eine Möglichkeit, die ich persönlich nicht unbedingt ergreifen möchte. Angebracht fände ich es hingegen, wenn die FraktionspräsidentInnen von der Stadt entschädigt würden; immerhin üben sie diese Funktion im Parlament aus, nicht in ihrer Partei. Aber natürlich können wir dereinst auch lediglich das übernehmen, was der Kanton verlangt; dazu gehört, dass der Gemeinderat die parlamentarische Initiative einbauen muss, wie der Kantonsrat sie bereits kennt.
 

 

Und nach Ihrem, hoffentlich ereignisreichen, Präsidiumsjahr werden Sie wieder ‹gewöhnliches› Ratsmitglied?
Nein, dannzumal werde ich rund elf Jahre im Gemeinderat gewesen sein, und ich habe mich entschieden, bei den nächsten Wahlen nicht mehr anzutreten. Das Jahr als Gemeinderatspräsident wird somit der Abschluss meiner Zeit als Gemeinderat. Primär steht danach mehr Familienzeit im Vordergrund. Ob ich später in der Partei oder Sektion ein Amt übernehmen oder mich sonstwie politisch engagieren werde, wird sich weisen; darüber mache ich mir aktuell noch keine Gedanken.
 

 

Ihr Vater Willy Küng war Stadtrat – wäre das nichts für Sie?
Nein, ein Exekutivamt hat mich erstens nie gereizt, und zweitens gibt es andere Leute in der Partei, die dafür besser geeignet sind. Vor allem gefällt mir mein Beruf viel zu gut.

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