Nein zur Burka und Nein zum Burka-Verbot

Ich bin gegen die Burka.
Wer sich total verhüllt, verweigert die Kommunikation. Kommunikation, ja unser ganzes Zusammenleben basiert darauf, dass wir erkennbar sind. Nur mit einem erkennbaren Gegenüber können wir in den Dialog treten. Wir können unsere Meinungen äussern, streiten, müssen aber auch dafür geradestehen und Kritik entgegennehmen.

 

Eine Gesichtsverschleierung durchschneidet diesen Zusammenhang. Die Person, die sich total verhüllt, ist für ihre Mitmenschen im Grunde nicht mehr wahrnehmbar. Sie wandelt als Mumie im Land der Lebenden. Sie verhält sich ähnlich wie jene, die sich im Internet hinter anonymen Namen verstecken. Diese äussern ihre Meinung, wollen sich aber nicht dafür verantworten. Genauso eine gesichtsverschleierte Frau: Sie erkennt die anderen, ist selbst aber nicht erkennbar. Sie wird im öffentlichen Raum zu einer anonymen Person.
Die Burka passe nicht zu uns, sagen einige. Ich finde, sie haben recht. Die Burka passt nicht zu einer fortschrittlichen, offenen Gesellschaft. Niemand will, dass sich ein solches Verhalten verbreitet. Heisst das nun, dass wir für ein Burka-Verbot sein müssen?
Ich bin nicht nur gegen die Burka. Ich bin auch dagegen, dass mich jemand belügt. Oder dass man sich gegenseitig nicht ausreden lässt. Oder dass Männer breitbeinig im Tram sitzen.
Gesetzlich verboten ist das alles nicht. Aber wir sind uns einig, dass wir es nicht wollen. Deshalb weisen wir jene zurecht – mal sanfter, mal deutlicher –, die sich so verhalten und keine guten Entschuldigungen haben.

 

Vieles in unserer Gesellschaft ist geregelt ohne rechtliche Normen. Wir nennen es Werte, Moral, Sitten oder Konventionen. Genauso das Tragen einer Burka. Wir lehnen diese Praxis ab und sagen das auch.
Die zentrale Frage ist: Wann macht man aus sozialen Normen rechtliche Normen? Wann soll die Moral zum Gesetz werden?
Es gilt der Grundsatz: Staatliche Verbote sind abzulehnen, wenn sie unnötig sind. Ein Burka-Verbot ist – das ist völlig offensichtlich – zurzeit in der Schweiz nicht notwendig. Es gibt wohl keine wirkliche Burka-Trägerin und nur ein paar Handvoll hier wohnende Niqab-Trägerinnen. Und wer sich an den Touristinnen aus den Golfstaaten stört, soll sich bei Schweiz Tourismus dafür stark machen, dass diese Staaten nicht mehr prioritär beworben werden.

 

Natürlich geht es den Verfechtern des Burka-Verbots aber gar nicht um die Burka, sondern um «den Islam». Man will gegenüber den Musliminnen und Muslimen den Tarif durchgeben. Es geht um die eigene Verunsicherung als Teil einer Gesellschaft, die sich rasch verändert. Mit einem staatlichen Verbot kann man endlich wieder einmal Stärke und Entschlossenheit demonstrieren. Dass das Burka-Verbot praktisch keine Auswirkungen hätte, ist dabei kein Hindernis, im Gegenteil: Eine Stärke-Demonstration, die faktisch nichts kostet und im Grunde keine Konsequenzen hat, ist besonders attraktiv. Gratis-Mut sozusagen.
Natürlich geht es den Initianten auch nicht um die Frauen. In ihrer ganzen politischen Biographie haben sie sich nie um Frauenanliegen gekümmert. Ginge es ihnen ernsthaft um Frauenrechte, hätten wir viele Vorschläge bereit: Aufenthaltsrechte, soziale Absicherung, ausreichend finanzierte Frauenhäuser als Schutz vor häuslicher Gewalt: Massnahmen, die Frauen tatsächlich und dauerhaft befähigen, selbstbestimmt zu handeln.
Doch darum geht es ihnen nicht. Die Initianten wollen ihre Vorstellung von Gesellschaft erzwingen; einer Gesellschaft, die einheitlich, bevormundend und gegenüber allem Fremden feindlich gesinnt ist. Es ist der Traum der Rechten: Damit alles so bleibt, wie es nie war.

 

Doch damit streuen sie ihren Anhängern Sand in die Augen. Denn kulturelle Festigkeit – nie real, aber immerwährend gesucht – ist mit rechtlichen Normen nicht zu gewinnen. Gesetze können gesellschaftliche Prozesse nicht ersetzen. Es bleibt in einer liberalen Gesellschaft unsere wichtigste Aufgabe, in einem ständigen Prozess auszuhandeln, wie viele Freiheiten wir uns zugestehen und wie viel Anpassung an Normen wir erwarten.
Was die Burka angeht, erfüllt die Gesellschaft ihre Rolle bereits. Es gibt einen Konsens, dass wir uns so nicht kleiden wollen, und niemand stellt das ernsthaft infrage.
Ich bin gegen die Burka und ich bin gegen das Burka-Verbot.

 

Jacqueline Fehr, Regierungsrätin,
Vorsteherin der Justizdirektion des Kantons Zürich

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