Love my life

Ich bin so ein Totsch, dachte ich. Ich stand in der Küche und kratzte die Käsereste aus dem Caquelon. Ich wollte nämlich eine Diät machen. Kurz nachdem ich den Entscheid gefällt hatte, kam mir aber ein Landjäger dazwischen, den ich im Kühlschrank vergessen hatte. Dann die blöden Restsüssigkeiten von Halloween. Dann wurden meine neuen Sporthosen und Laufschuhe nicht geliefert und ohne die konnte ich irgendwie nicht mit Joggen anfangen. Dann machte ich versehentlich einen Gugelhopf. Und nun eben dieses Fondue.

 

Ein Totsch also, fand ich, während im Radio gerade «Love my life» von Robbie Williams lief. Ich weiss schon, dass es ein wenig peinlich ist, Robbie Williams gut zu finden, aber bei diesem Lied bin ich immer furchtbar gerührt. Er singt es nämlich für seine Kinder, auf dass sie dereinst von sich werden sagen können, sie seien frei, stark, wundervoll, schön, sich selbst. Es gibt vermutlich keinen grösseren Wunsch, den ich für meine Kinder haben könnte. Und wie ich das mit Tränen in den Augen so dachte, kam ein Bericht über die Befragung, die der Schulgesundheitsdienst der Stadt Zürich zu Essverhalten und Körpergefühl bei Schülerinnen und Schülern durchgeführt hatte. Und so floss nun wundersam alles zusammen, meine gescheiterte Diät, der Käse und Robbie Williams. Die Umfrage ergab, dass die Hälfte aller Mädchen in der Stadt Zürich gerne schlanker wäre, obwohl sie normal- oder sogar untergewichtig sind. Und zwei Drittel der Buben wären gerne muskulöser. Diese Kinder achten deshalb sehr stark auf ihre Ernährung und treiben exzessiv Sport, machen Diäten, lassen Mahlzeiten aus. Nur eine Minderheit findet sich ok. Das ist natürlich nicht neu und genau das ist nicht so gut.
Wenn ich als Frau in meinem Alter an Diäten scheitere, dann ist das deshalb, weil Versuchung und Vernunft gross genug sind, um es nicht ungesund werden zu lassen. Das ist dann lustig. Als ich noch eine junge Frau war, klein und kräftig gebaut, war es weniger zum Lachen. Ich eiferte einem Körperbild nach, das ich schon rein physiologisch gar nicht erreichen konnte. Aber meine Bühne, auf der ich vermeintlich nicht bestand, war klein. Meine Schule, mein Dorf, meine Klasse. Heute gibt es Social Media und die Bühne dieser Jugendlichen ist so gross wie die ganze Welt. Und es dauert mich, dass diese immer noch mit den gleichen Essstörungen und Minderwertigkeitsgefühlen kämpfen wie wir, dass sie noch immer Idealbildern nacheifern, die nur auf Äusserlichkeiten beruhen – wie wir, bis wir älter wurden und entspannter und nun ein wenig reuig an diese verpassten Jahre zurückdenken, in denen ein guter Tag davon abhing, ob man 200 Gramm mehr oder weniger wog.

 

Es dauert mich vor allem auch deshalb, weil ich sehe, warum das unter anderem so ist. Meine Kinder werden schon in Kindergarten und Schule auf gesunde Znünis getrimmt, so dass sie beide plötzlich eine Aversion gegen Kohlenhydrate entwickelten. Ich wusste im Alter von 4 und 6 immerhin noch nicht, was Kohlehydrate sind und ich halte das eigentlich für besser so.

 

Claude Hunold, der Direktor der Zürcher Schulgesundheitsdienste, hält deshalb auch fest, dass in der Vergangenheit die Präventionsbemühungen der Stadt mit dem Fokus gesunde Ernährung etwas zu einseitig gewesen seien. Das wolle man nun ändern und auch den psychischen Aspekt des Körpergefühls mehr betonen. Die Botschaft sei nun, es komme nicht nur aufs Aussehen an, man solle sich mehr so akzeptieren, wie man ist.
Wenn das nur so einfach wäre.

 

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