«Lieber stete Veränderung als eine Revolution»

Letzte Woche hat der Nationalrat die Volksinitiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen» mit 146:14 Stimmen bei 12 Enthaltungen abgelehnt. Was er von dieser Idee hält, erklärt GLP-Kantonsrat Michael Zeugin im Gespräch mit P.S.

 

Das bedingungslose Grundeinkommen fand im Nationalrat kaum AnhängerInnen. Wie hätten Sie gestimmt?

Michael Zeugin: Ich hätte die Vorlage mit der Mehrheit abgelehnt.

 

Warum?

Diese Volksinitiative wirft gute Fragen auf. Sie würde jedoch auch einen radikalen Bruch bedeuten, ja unser Gesellschaftssystem total umkrempeln.

 

Was wäre daran so schlimm?

Es spricht nichts dagegen, dass sich die Politik mit Fragen der materiellen Gerechtigkeit befasst und auch entsprechende Lösungsansätze liefert. Doch die Vorschläge der InitiantInnen wären schwer umsetzbar. Das fängt schon bei der Geografie an: Die Schweiz ist für eine solche Idee zu klein; es gäbe zu viele Abgrenzungsprobleme.

 

Was hat denn das Grundeinkommen mit der Geografie zu tun?

Wenn all jene, die in der Schweiz angemeldet sind, Anrecht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen haben und sich gleichzeitig jede EU-Bürgerin, jeder EU-Bürger im Rahmen des Personenfreizügigkeitsabkommens hierzulande niederlassen darf – und wenn obendrein niemand mehr auf einen Job angewiesen ist, um eine gewisse materielle Sicherheit zu erlangen, dann sind Probleme vorprogrammiert.

 

Das Grundeinkommen würde um die 2500 Franken pro Person betragen. Das reicht kaum zum Leben – in Zürich bekommt man dafür mit Glück eine 31/2-Zimmer-Wohnung.

Ein Ehepaar erhält gemäss diesem Ansatz 5000 Franken im Monat. Und davon leben auch in Zürich nicht wenige Paare.

 

Sie sind also gegen das Grundeinkommen, weil es zu viel kostet?

So einfach ist es nicht: Den Ansatz, das heutige Sozialsystem genauer anzuschauen und in ein neues, umfassendes System zu überführen, das mit weniger Bürokratie besser funktioniert, finde ich begrüssenswert.

Heute kommt es vor, dass ältere Menschen zwischen IV, AHV und Büro für Ergänzungsleistungen hin- und hergeschoben werden oder dass junge Leute sinnvolle und erfolgreich begonnene Arbeitsintegrationsprogramme zur Unzeit abbrechen müssen, nur weil sich die verschiedenen Stellen nicht einig sind, wer den Rest finanzieren müsste. Mit einem guten, umfassenden System hingegen könnten für möglichst viele Menschen möglichst gute Lösungen aus einer Hand gefunden werden.

 

Wenn es um einen Systemwandel geht, sollten sich doch gerade die Grünliberalen, die mit ihrer Initiative «Energie- statt Mehrwertsteuer» ebenfalls für eine grundlegende Änderung plädierten, vom bedingungslosen Grundeinkommen angesprochen fühlen.

Diese beiden Vorstösse sind von zu unterschiedlichem Kaliber, als dass sie sich so einfach vergleichen liessen: Wir wollten die Rahmenbedingungen eines kleinen Teils des politischen Systems ändern – wir befassten uns bloss mit der Energie.

Der Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens hingegen würde das Zusammenleben in unserer Gesellschaft aus einer grundsätzlich anderen Sichtweise betrachten. Es handelt sich somit um eine Utopie, die um einiges umfassender ist und erst noch auf einem anderen Menschenbild basiert.

 

Grundsätzliche Veränderungen bedingen doch zwangsläufig ein anderes Menschenbild.

Die InitiantInnen gehen davon aus, dass die Menschen dann, wenn die materielle Sicherheit gegeben ist, nur noch das machen, was sie gern machen. Das würde bedeuten, dass die Menschen sich komplett anders verhalten würden als bisher.

Die Schweiz ist jedoch dafür bekannt, laufend politische Verbesserungen vorzunehmen, nicht dafür, von einer Revolution zur nächsten zu schreiten. Zu krasse Veränderungen rufen Ängste hervor, und Angst ist ein schlechter Berater.

 

Die InitiantInnen berichten von einer Studie, bei der gefragt wurde, ob man mit einem Grundeinkommen noch arbeiten würde. 90 Prozent der Antwortenden sagten ja; gleichzeitig bejahten aber auch 80 Prozent die Aussage, die andern würden nicht mehr arbeiten wollen…

Das ist ein Indiz, wie sich die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens auswirken könnte: Tritt der erste Fall ein, haben wir kein Problem, tritt der zweite ein, hingegen sehr wohl.

Es erinnert mich an die Diskussionen um Sozialhilfemissbrauch oder aktuell um die Flüchtlinge: Fragen der Verteilung materieller Güter auf immer mehr Menschen lassen sich schlecht auf ein kleines Land wie die Schweiz beschränken, sondern müssen auf europäischer Ebene gelöst werden. Die Schweiz wäre deshalb gut beraten, sich ein unverkrampfteres Verhältnis zur EU zuzulegen.

 

Sie befürworten den EU-Beitritt?

Das habe ich nicht gesagt. Doch das Rad lässt sich nicht zurückdrehen, und Fragen, die alle betreffen, etwa zur Ökologie oder auch danach, wie viele Stunden pro Tag wir künftig arbeiten, sollten gesamteuropäisch beantwortet werden.

Es scheint zudem etwas in Vergessenheit geraten zu sein, dass die EU ein extrem erfolgreiches Friedensprojekt ist. Natürlich ist umgekehrt die Bürokratie ein Problem, aber angenommen, wir hätten die Wahl zwischen Bürokratie und Krieg – da ist der Fall doch klar.

Wahlen 2015
Bis zu den Nationalratswahlen vom 18. Oktober stellen wir an dieser Stelle jede Woche Kandidierende vor, die dem Nationalrat noch nicht angehören. Wer zum Zug kommt und zu welchem aktuellen Thema er oder sie befragt wird, entscheidet die Redaktion. Es werden nur KandidatInnen mit intakten Wahlchancen berücksichtigt. Heute mit: Michael Zeugin (GLP, Winterthur) zum Thema bedingungsloses Grundeinkommen.

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